© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de   29/02 12. Juli 2002


Mut zur Geschichte
Mit dem Stadtschloß vesöhnt sich die Berliner Republik mit der Vergangenheit
Alexander Barti

Was konnte man in den vergangenen zwölf Jahren nicht alles lesen, wenn es darum ging, über die Zukunft des Platzes vor dem "Palast der Republik" in Berlin-Mitte zu debattieren. Schnell war man ein Reaktionär, wenn man die weitgehende Wiedererrichtung des 1950 gesprengten Hohenzollernschlosses forderte. Denn schließlich hatte SED-Chef Walter Ulbricht die "Junkertrutzburg" sprengen lassen, um auf dem so entstandenen Areal den "Aufbauwillen des Sozialismus" demonstrieren zu können - und alles was "fortschrittlich" klingt, ist erst mal "gut" in der Bundesrepublik. Undenkbar, daß die in den modernen Verirrungen des 20. Jahrhunderts geläuterte Republik die Symbolsprache des Spätfeudalismus reaktivieren würde. Und doch kam es so: Am 4. Juli 2002 stimmten 384 Volksvertreter für eine weitgehende Rekonstruktion des Schlosses; 133 Abgeordnete stimmten dagegen, 149 Mandatsträger enthielten sich der Stimme.

Aber was bedeutet diese Entscheidung? Handelt es sich wirklich nur um eine ästhetische Streitfrage? In der jahrelangen Auseinandersetzung war besonders auffällig, daß immer wieder vehement bestritten wurde, der Wiederaufbau der ehemaligen Residenz habe politische Implikationen. Dabei war für die Schloß-Befürworter die Fixierung der Öffentlichkeit auf das Dritte Reich von großem Vorteil. Da aber die Hohenzollernresidenz in der Hauptstadtplanung zwischen 1933 und 1945 keine Rolle spielte, dort in jener Zeit keine einzige bedeutende Veranstaltung stattfand, waren die schärfsten Waffen der Gegner schon stumpf, bevor sie losschlagen konnten.

Hinzu kam, daß selbst in der Weimarer Republik das Schloß keine politischen Bezüge mehr hatte: in den über 1.000 Räumen waren viele unterschiedliche, zum Teil wissenschaftliche und museale Verwaltungen untergebracht. Und letztlich war auch in der Kaiserzeit das Schloß nicht mehr Zentrum der Macht; der sich entfaltende moderne Staat brauchte schon lange größere Verwaltungsapparate und ein Heer von Beamten, um seinen Aufgaben gerecht zu werden. Ein muffiges Schloß war dafür denkbar ungeeignet.

Während also der normale Zeitgenosse bis in die dreißiger Jahre des 20. Jahrhunderts noch recht gut zu schauen glaubt, trübt sich für die Zeit davor der Blick dramatisch ein, und spätestens vor 1870 herrscht dichter Nebel. Dabei lohnt es sich, die kargen Informationen über die erste Grundsteinlegung näher in Augenschein zu nehmen.

Im 14. Jahrhundert hat sich die Doppelstadt Berlin/Cölln zu einem wichtigen Zentrum der Region gemausert; ihre Bürger sind wohlhabend und selbstbewußt. Es ist auch die Zeit, in der die Macht sich von den Burgen in die Städte verlagert und verarmende Ritter diesen Prozeß durch allerlei Bandentum aufzuhalten versuchen. Um in der Mark wieder Ordnung herzustellen, schickt König Sigismund den Nürnberger Burggrafen Friedrich aus dem Geschlecht der Hohenzollern in die Region. Innerhalb weniger Jahre ist der marodierende Adel besiegt, und Friedrich darf sich zur Belohnung "Kurfürst des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation" und "Markgraf von Brandenburg" nennen.

Aber Jahre später gibt es wieder Ärger, diesmal können sich die miteinander rivalisierenden Berliner und Cöllner nicht einigen und rufen den Kurfürsten - inzwischen regiert Friedrich II. - zur Vermittlung. Diesem kommt der Clinch mit den Städtern sehr gelegen, denn er möchte die Unabhängigkeit der Bürger brechen, was ihm letztlich auch gelingt. Von nun an müssen die Berliner nicht nur die landesherrliche Rechtsprechung bedingungslos anerkennen, der Kurfürst zwingt die Bürger auch, ihm ein strategisch günstiges Grundstück abzutreten, um sich eine Residenz bauen zu können. Im Jahre 1443 legt er höchstpersönlich den Grundstein für seine Zwingburg - die wiederzuerrichten sich 559 Jahre später demokratische Abgeordnete entschließen. Ironie des Schicksals.

Aber so schnell wie heute gaben sich die Berliner im 15. Jahrhundert nicht geschlagen. Als der Kurfürst versucht, sich große Teile ihres Besitzes unter den Nagel zu reißen, kommt es 1448 zum "Berliner Unwillen": Vertreter des Landesherren werden verjagt, Dokumente und Urkunden verbrannt, der Bauplatz geflutet. Vergeblich. Friedrich II. kann den Aufstand niederschlagen, die Revoluzzer bestrafen und den Bau seiner Residenz fortsetzen. Danach wird das Schloß immer wieder erweitert und umgebaut; 1540 hat es einen Renaissance-Umbau hinter sich, 1578 wird es noch mal erweitert.

Erst in der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts bekommt die Berliner Mitte ungefähr ihren heutigen Grundriß: 1645 beginnt man mit der Anlage des Lustgartens, zwei Jahre später erhält der Weg zwischen Tiergarten und Schloß eine sechsreihige Baumbepflanzung ("Unter den Linden") und 1695 erfolgt die Grundsteinlegung für das Zeughaus. 1688 kommt Friedrich III. an die Macht, der die geschickte Politik seines Vorgängers weiterspinnt und 1701 am Ziel seiner Träume angelangt ist: Die Dynastie der Hohenzollern reiht sich ein in die königlichen Geschlechter. Um der gesteigerten Repräsentation gerecht zu werden, wird das Schloß zwischen 1698 und 1716 erneut umgebaut, zuerst von Andreas Schlüter und dann von Johann Eosander von Göthe. Es bekommt in jener Zeit die barocke Fassade, die nun wieder rekonstruiert werden soll. Die gewaltige Kuppel über dem Westportal, deren Rekonstruktion zwar nicht beschlossen, aber auch nicht endgültig verworfen ist, wurde erst kurz vor dem Revolutionsjahr 1848 errichtet - sie wölbte sich über eine neue Schloßkapelle, um so das arg in Bedrängnis gekommene Gottesgnadentum zu betonen. Umsonst, wie wir heute wissen, denn kaum 70 Jahre später war es vorbei mit der königlichen Herrlichkeit.

Obwohl sich das Berliner Stadtschloß zu einer modernen Demokratie verhält wie ein asketischer Mönch zu den halbnackten Massen der "Love Parade", ist seine Rekonstruktion eine wichtige Botschaft: Die barocke Fassade zeigt uns die Grenzen einer aufdringlichen Fortschrittsgläubgigkeit, auf dessen Altar viele Überlieferungen nutzlos geopfert wurden; sie zeigt uns, daß der Mensch ewige Harmonien in sich trägt, die kein noch so aggressiver Dekonstruktivismus dauerhaft zu zerstören vermag. Das Schloß symbolisiert darüber hinaus eine unverkrampfte Anknüpfung an die deutsche Geschichte, die zwar mit demokratischen Normen wenig gemein hat, aber trotzdem als wertvoll erachtet wird. Wenn dadurch die sinnlosen ideologischen Gräben eingeebnet werden, könnte die politische Klasse endlich auch den Kopf frei bekommen für die Aufgaben des 21. Jahrhunderts - diese Vorstellung ist zwar naiv, aber so funktioniert nationale Legendenbildung. Auch in der Berliner Republik.


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