© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    29/02 12. Juli 2002

 
"Eine heilsame Entwicklung"

Der Architekturhistoriker Goerd Peschken über den beschlossenen Wiederaufbau des Berliner Stadtschlosses
Moritz Schwarz

Herr Professor Peschken, der Bundestag hat am Donnerstag vergangener Woche eine zwölfjährige Debatte beendet: Das Parlament hat den Wiederaufbau des 1950 vom SED-Regime gesprengten Berliner Stadtschlosses beschlossen. Was genau wird aber nun am Ende der historischen Prachtstraße Unter den Linden wiedererstehen?

Peschken: Es wird vor allem die städtebauliche Figur des Schlosses wiedererstehen, also das Schloß in seinen räumlichen Ausmaßen. Damit wird der jetzt städtebaulich entstellte Raum an diesem Ort wieder definiert.

Ist es nur eine Bausünde oder auch eine historische Sünde, die damit wieder gutgemacht wird?

Peschken: Damit wird in Zukunft wieder materiell dargestellt, was in der Geschichte stattgefunden hat, nämlich daß Deutschland von Preußen aus geeinigt worden ist.

Genau das bemängeln die üblichen Kritiker.

Peschken: Ob einem diese Geschichte gefällt, steht nicht zu Debatte, der Punkt ist, daß es unsere Geschichte ist.

Also eine Frage der Identität?

Peschken: Ja, wir Deutschen müssen endlich lernen, unsere Geschichte anzunehmen.

Bei der Bundestagsdebatte ging es allerdings um mehr als nur den Baukörper in seinen historischen Maßen, schließlich setzte sich der Antrag, die historische Barockfassade wiederherzustellen durch - was in den Augen der Menschen das Schloß überhaupt erst wieder zum Schloß macht.

Peschken: Das ist richtig, allerdings auch wenn das Schloß nun von den Linden aus gesehen wiedererstehen wird, von innen betrachtet wird es sich um einen modernen Bau handeln. Ich hoffe natürlich, daß zumindest die bedeutendsten Räume wenigstens in ihren Grundrissen und Maßen wiederhergestellt werden, und vielleicht auch der eine oder andere Raum rekonstruiert wird. Die Vorstellung, es werde geschlossene historische Raumreihen geben, ist aber irrig.

Warum war das Stadtschloß architektonisch so bedeutend?

Peschken: Es handelte sich beim Berliner Stadtschloß um ein herausragendes Zeugnis europäischer Architektur, und der von Andreas Schlüter gestaltete erste Innenhof ist wohl der bedeutendste Barockhof nördlich der Alpen gewesen.

Allerdings wird der Schlüterhof vermutlich nur von drei Seiten wiederhergestellt werden.

Peschken: Die vierte Seite stammte nicht von Schlüter und wurde stilmäßig verdorben, dort wird wohl eine moderne Front entstehen.

Und der zweite, der sogenannte Eosanderhof?

Peschken: Auch Eosanders Hof war aller Ehren wert, ist aber nie richtig fertig geworden, und ist dann auch noch durch Umbauten entstellt worden. Er wird wohl nicht wiederhergestellt werden, sondern mit Nutzfläche überbaut.

Es geht aber nicht nur um die Wiederherstellung eines Kunstwerkes, sondern auch um die Heilung einer städtebaulichen Wunde.

Peschken: Ja, denn die Achse Unter den Linden läuft heute nicht nur ins städtebaulich Nichts, auch das historische Hohenzollern-Ensemble ist zerstört. Die historische Bebauung am unteren Ende der Museumsinsel war Ausdruck des damaligen preußischen Staatsverständnisses. Die drei Säulen, auf denen sich der absolutistische Staat gründete, waren das Militär, repräsentiert durch das Zeugheus - die Neue Wache entstand später -, die Kirche, repräsentiert durch den damaligen Dom - von Kaiser Wilhelm II. durch den heutigen Dom ersetzt - und eben die Krone, repräsentiert durch das Schloß. Im 19. Jahrhundert, als die Künste eine immer wichtigere gesellschaftliche Rolle zu spielen begannen, ließ König Friedrich Wilhelm III. zwischen Zeughaus und Kirche das heutige Alte Museum errichten - mit der Münchner Glyptothek der erste Museumsbau Deutschlands -, um Wissenschaft und Kunst zu integrieren und als vierte und gleichberechtigte Säule des Staates darzustellen. Das Fehlen eines Elementes, nämlich des Schlosses, zerstört natürlich die ganze historische Struktur.

Allerdings haben Sie das Alte Museum in einem Interview mit der "Welt" als "faschistisch" bezeichnet. Was haben Sie gemeint?

Peschken: Bei der Planung des Museums erwies sich der Bau als zu klein gegenüber dem Schloß, also mußte sich Karl Friedrich Schinkel etwas ausdenken, um dem Museum mehr Gewicht zu geben. So setzte er die achtzehn, sehr monumental wirkenden ionischen Säulen vor die Front des Museums. Heute fehlt das Gegenüber, und so wirken die Säulen in der jetzigen Situation faschistisch.

Halten Sie das für eine angemessene Bezeichnung angesichts dessen, daß das Museum bereits vor 172 Jahren fertiggestellt wurde?

Peschken: Tut mir leid, als Solitär hat es etwas Gewaltsames, sprich Faschistoides.

Schinkel als "Wegbereiter" des Faschismus?

Peschken: Nein, denn im Zusammenhang mit dem Schloß sind die Säulen nicht zu dick, und das war die Situation während Schinkels Planung. Aber wenn wir diese Situation nicht in irgendeiner Art wiederherstellen, haben wir es weiterhin mit einem "faschistischen Mißverständnis" zu tun.

Sie gelten als Nestor der Stadtschloßforschung und haben ein grundlegendes, dreibändiges Werk über das Schloß geschrieben. Woher rührt Ihr besonderes Interesse am Berliner Schloß?

Peschken: Sehr beschäftigt hat mich immer schon das deutsche Bürgertum und seine Verklemmungen und Defizite. Seine erste Revolution, nämlich die von 1848, hat es nur mit einem Unentschieden, seine zweite, nämlich den Verfassungskonflikt von 1862 bis 1866, mit einer Niederlage beendet. Als Architekturhistoriker hat mich natürlich interessiert, wie sich das in der Architektur widerspiegelt. Die obrigkeitliche Tradition wurde architektonisch zum letzten Mal mit dem Berliner Stadtschloß überzeugend formuliert, und von da an kann man abzählen, was das Bürgertum auf die Beine gebracht hat.

Das heißt, für Sie ist das Schloß in erster Linie politische Architektur?

Peschken: Selbst die Denkmalpflege bedenkt beide Aspekte, nämlich Bauwerke von kunsthistorischer, wie von historischer Bedeutung zu erhalten. Das Schloß ist hinsichtlich beider Gesichtspunkte ein erstrangiges Monument.

Vom alten Schloß existieren noch zahllose Trümmerstücke. Werden diese bei der Rekonstruktion wiederverwendet?

Peschken: Nein, die überkommenen Einzelteile werden lediglich noch dazu dienen, historisch korrekte Repliken herstellen zu können. Sie selbst sind aber wohl zu verwittert und beschädigt, um verwendet werden zu können. Allerdings ist die Suche nach Bruchstücken sehr wichtig. Wir müssen jetzt in den Schutthalden, auf denen die Trümmer des Schlosses 1950 abgeladen wurden, graben, um so viele Originalteile wie möglich zu finden. Dann wird man Abdrücke nehmen und sie in ein Depot einlagern, um sie als Kontrollstücke vorzuhalten.

Im ehemaligen Staatsratsgebäude am Werderschen Markt befindet sich noch ein komplettes Fassadensegment, das die Kommunisten als Erinnerungsstück an die Ausrufung der sozialistischen Republik 1918 durch Karl Liebknecht von einem Balkon des Schlosses einmauern ließen. Wird wenigstens dieses einzige erhaltene Stückchen Schloß wiederverwendet werden?

Peschken: Das sogenannte "Liebknecht-Portal" ist selbst weitgehend eine Rekonstruktion. Es wird also wohl keine Verwendung finden, zumal der Denkmalschutz das ehemalige Staatsratsgebäude erhalten will.

Die Rekonstruktion des Schlosses soll auch ein Zeichen des wiedervereinigten Deutschlands sein. Wie ist allerdings der Abriß des Palastes der Republik zu werten, der auch ein Zeugnis deutscher Geschichte und für so manchen Deutschen in den neuen Ländern Bestandteil seiner historischen Identität ist?

Peschken: Ich bin empört, wie man mit dem Palast der Republik umgegangen ist, man hat ihn einfach entkernt und bis auf Musterstücke alles weggeworfen. Eigentlich bin ich gegen solche Lösungen à la Ulbricht. Deshalb habe ich auch favorisiert, die spreeseitige, also rückseitige Fassade des Palastes und den historischen Volkskammersaal selbst in den Schloßneubau zu integrieren. Die Schloßkommission hat das auch offen gelassen.

Daß die Debatte schließlich vom Deutschen Bundestag entschieden wurde, zeigt, daß es sich offenbar nicht nur um eine Berliner, sondern um eine Angelegenheit der ganzen Nation handelt.

Peschken: Natürlich hängt der Wiederaufbau des Schlosses mit dem Selbstwertgefühl Deutschlands zusammen. Auch wenn es mir nicht paßt, daß Deutschland historisch so zustande gekommen ist, wie es zustande gekommen ist, so sind das doch nun einmal die Tatsachen. Die Geschichte der gewaltsamen Einigung durch Preußen kann man nicht dadurch beseitigen, daß man eine Rekonstruktion des Hohenzollernschlosses verweigert. So, wie sich die Geschichte ereignet hat, müssen wir sie annehmen, und deshalb ist der Wiederaufbau richtig, um uns die Möglichkeit zu geben, wieder zu uns selbst zu finden und uns unserer Geschichte bewußt zu sein.

Ein Akt nationaler Normalisierung?

Peschken: Ich glaube, in der Entscheidung des Bundestages kommt das Bestreben zum Ausdruck, sich international als ein zurechnungsfähiges, normales Gemeinwesen darzustellen und nicht als ein Gemeinwesen, das von Minderwertigkeitskomplexen, Masochismus und Heuchelei zerrissen ist. Denn solch eine Gesellschaft ist politisch unzuverlässig. Wir müssen begreifen, daß es nicht darum geht, daß wir uns heute als endlich geschichtlich "gut" darstellen, sondern als politisch berechenbar.

Was meinen Sie mit "Heuchelei"?

Peschken: Den ständigen drohenden Verweis auf die deutsche Geschichte. Wer entbehrt denn heute etwas, zum Beispiel wegen Auschwitz? Unser Land ist reich, wir leben in Wohlstand, da sind diese dauernden, folgenlosen Schuldbekenntnisse doch wohlfeil. Wo ist denn wirkliche Buße? Diese ständigen Redensweisen zum Thema Auschwitz sind also die reine Heuchelei. Und das Berliner Stadtschloß soll nun entgelten, was wir sonst nicht zu opfern bereit sind. Ich glaube, unsere Nachbarn erwarten von uns, daß wir uns zu uns selbst bekennen. Tun wir das nicht, bleiben sie mit Recht mißtrauisch. Im übrigen halte ich zum Beispiel die Antisemitismus-Debatte der letzten Wochen im Grunde für einen Generationenkonflikt: die Älteren wollen den Jüngeren ein Schuldgefühl anhängen, das die Jüngeren aber gar nicht als ihr Problem empfinden. Ich glaube, die jungen Leute kennen überwiegend ihre staatsbürgerliche Verantwortung, aber wenn sie etwas als Unrecht empfinden oder eine Tatsache so aussprechen, wie sie sich ihnen darstellt, dann nehmen sie es nicht mehr hin, dafür mit Antisemitismus-Vorwürfen mundtot gemacht zu werden.

Also eine Art Auschwitzkeule auch in der Schloßdebatte?

Peschken: Die Auschwitzkeule wird als Moralkeule geschwungen gegen jeden, der den Leuten etwas sagt, was sie nicht gerne hören, und ganz besonders gegen jene, die die Leute daran erinnern, daß ihr Moral-Gerede von Auschwitz nicht echt ist. Das ist schizophren und diese Schizophrenie macht uns unberechenbar.

Das Deutsche Eck in Koblenz, die Dresdner Frauenkirche, das Berliner Stadtschloß, die von Rolf Hochhuth angeregte Rückversetzung des Berliner Bismarck-Denkmals vom Großen Stern vor den Reichstag. Lokale Ereignisse, oder die Wiederherstellung des Nationalstaates, wie er bis heute eben als politisch erfolgreiches Konzept in Europa existiert?

Peschken: Ich denke, das ist eine heilsame Entwicklung in Deutschland, denken Sie nur daran, daß vor einigen Jahren in Köln das Reiterstandbild König Friedrich Wilhelm III. wieder vor das Rathaus zurückgekehrt ist. Das wäre vor 30 Jahren noch nicht möglich gewesen. Der Nationalstaat ist in Deutschland im 19. Jahhundert unglücklicherweise gegen die Demokratie gebaut worden, jetzt gilt es, ihn mit und für die Demokratie zu bauen.

Das Schloß soll privat finanziert werden, würde nicht gerade eine staatliche oder besser noch öffentliche Finanzierung den Charakter als "Projekt aller" betonen?

Peschken: Alle werden Gelegenheit erhalten, etwas beizutragen. Ich bin überzeugt, daß es ein "Projekt aller" werden wird, wenn es erst einmal losgeht. Das allerdings wird noch ein paar Jahre brauchen.

 

Prof. Dr. Goerd Peschken: geboren 1931 in Nordhausen / Thüringen. Nach einer Tischlerlehre ging er 1953 zum Studium der Architektur nach Berlin. Von 1970 bis 1975 lehrte er an der Technischen Universität Berlin, von 1975 bis zu seiner Emeretierung 1996 an der Hochschule der Künste in Hamburg. Er gilt als Nestor der Berliner Stadtschloßforschung. Sein dreibändiges Werk "Das königliche Schloß" (Deutscher Kunstverlag, 1992) gehört zu den wichtigsten Quellen für die Rekonstruktion der Barockanlage. 1991 trug er mit einer Ausstellung in Berlin dazu bei, die Debatte um den Wiederaufbau des Hohenzollernschlosses anzuregen. 1997 initiierte er die Verhüllung des Palastes der Republik mit einer gemalten Schloßfassade. Zuletzt war er Mitglied der "Internationalen Expertenkommission Historische Mitte", deren Empfehlung die Grundlage war für den Bundestagsbeschluß der letzten Woche zum Wiederaufbau des Stadtschlosses.

 

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