© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    29/02 12. Juli 2002

 
Adriastrände mit Militär sichern
Italien II: Lega Nord nutzt die Einwanderungsfrage zur Profilierung in der Regierung
Christian Roth

In der Politik eines Landes sind 15 Monate für gewöhnlich eine kurze Zeit. In Italien aber, wo sich seit Kriegsende die Ministerpräsidenten die Klinke des Palazzo Montecitorio in schöner Regelmäßigkeit in die Hand geben, läßt diese Zahl schon aufhorchen. Seit April 2001 regiert der Mailänder Medienzar Silvio Berlusconi mit seinem Mitte-Rechts-Bündnis Casa delle libertà (Haus der Freiheiten) und in seinem ersten Amtsjahr geschah dies trotz aller Unkenrufe relativ stabil.

Anders als 1994, als der Multiunternehmer seine in Windeseile aus dem Boden gestampfte Sammlungsbewegung Forza Italia an der Seite der norditalienischen "Padanien-Bewegung" Lega Nord und der "postfaschistischen" Alleanza Nazionale (AN) zu einem äußersten kurzlebigen Sieg führte, präsentierte sich das bunte Bündnis diesmal ziemlich geschlossen. Eine Massendemonstration von insgesamt etwa 13 Millionen aufgebrachten Arbeitern überstand Berlusconi ebenso unbeschadet, wie den Rücktritt des EU-freundlichen Außenministers Renato Ruggiero und den Wirbel um die Nominierung des AN-Vorsitzenden und Vize-Premiers Gianfranco Fini für den EU-Konvent. Es könnte alles nach Plan laufen für den Strahlemann aus Mailand, wären da nicht diese Regionalwahlen vor vier Wochen gewesen.

Den ersten Urnengang hat das "Haus der Freiheiten" unbeschadet überstanden, doch bei den Stichwahlen acht Tage später hat sich Berlusconis Block eine herbe Ohrfeige abgeholt. Mehrere "sichere" Bastionen, darunter Verona, gingen gegen das Linksbündnis Ulivo (Olivenbaum) verloren und kaum waren die letzten Stimmen ausgezählt, ging Reformminister und Lega-Führer Umberto Bossi in die Offensive. "Diese alten Christdemokraten haben unser Bündnis und unseren Wählerauftrag verraten. Ich werde mir mit meinen Freunden in den kommenden Wochen sehr genau ansehen, wohin sich diese Regierung entwickelt notfalls marschieren wir wieder alleine", tobte Bossi.

Unterstützung erhielt Bossi ausgerechnet von seinem "Intimfeind" Gianfranco Fini: Diese bemängelte die "zahlreichen Alleingänge" Berlusconis und kündigte an, daß die AN "erheblich mehr Einfluß" auf die Regierungsgeschäfte nehmen werde. In der vergangenen Woche ließen Bossi und Fini erstmals ihren markigen Worten Taten folgen. Unverhohlen und am Ende erfolgreich forderten beide den Rücktritt des Innenministers Claudio Scajola, der den von den Roten Brigaden ermordeten Arbeitsrechtsexperten Marco Biagi als Nervensäge bezeichnet hatte. Am vergangenen Mittwoch verabschiedete sich der Forza Italia-Politiker entnervt aus der Regierung und bei der Neubesetzung meldeten sowohl Fini als auch Bossi umgehend eigene Ansprüche an.

Daß Berlusconi schließlich seinem Parteifreund Giuseppe Pisanu den Vorzug gab, dürfte die Wogen nicht unbedingt geglättet haben. Denn die kleinen Koalitionspartner wagen unverhohlen die Kraftprobe. Mit markigen Worten zur Einwanderungsfrage ("wir sollten die Flüchtlinge abweisen und ihre Boote versenken") hatte Bossi Berlusconis Forza Italia bei den Regionalwahlen den Rang abgelaufen. Seitdem mehren sich im Lager der norditalienischen "Grünhemden" wieder die Stimmen, die auf eine stärkerer Regionalisierung hoffen, und denen das Finanzgebaren des Mailänder Medienmoguls suspekt ist.

Auch AN-Chef Gianfranco Fini ist bemüht, eigene Akzente zu setzen. Hatte ihm die Nähe zu Berlusconi in den vergangenen Jahren eine stetige Reputationssteigerung eingebracht, so muß er nun den Preis der Anpassung fürchten. In zahlreichen Städten des Nordens hat die AN Wähler an die Lega verloren und im Süden müssen die Rechtsnationalen mittlerweile mit einem halben Dutzend Abspaltungen kämpfen, allen voran der neofaschistischen Sozialbewegung MSI-Fiamma Tricolore. Die Mussolini-Nostalgiker um Pino Rauti und Luca Romagnoli sind in ihren Hochburgen stets für zweistellige Ergebnisse gut.

Mit dem neuen Einwanderungsgesetz "Legge Bossi/Fini" versuchten die föderalistische Lega und die zentralistische AN ihre Anhänger bei Laune zu halten und machten so Front gegen die kleinen christdemokratischen Koalitionspartner Rocco Buttiglione (Europaminister) und Pierferdinando Casini (Präsident der Abgeordnetenkammer), die Abänderungsanträge stellen wollten.

Zwar hat Berlusconis Intervention dem Gesetz die parlamentarische Mehrheit gesichert und damit ein Auseinanderbrechen des Mitte-Rechts-Bündnisses verhindert, doch hinter den Kulissen gehen die Wogen immer noch hoch. "Notfalls müssen wir die Strände der Adria von den Militärs sichern lassen", regte Bossi an und forderte Berlusconi auf, sich ein Beispiel an Australien zu nehmen: "Dort werden Flüchtlingsschiffe einfach nicht an Land gelassen. Das ist vorbildlich." Offensichtlicher könnte der Widerspruch zu den Positionen Berlusconis und des Helmut Kohl-Freunds Buttiglione kaum sein, die beim EU-Gipfel vor zwei Wochen zunächst forsche Töne anschlugen, sich aber dann doch auf eine gesamteuropäische Kompromißlinie einigten.

"Sie können eben nicht raus aus ihrer christdemokratischen Haut", höhnte Bossi und kündigte eine Art regierungsinterner Opposition an: "Unsere Politik wird sich auch in Zukunft ausschließlich nach dem Willen der Lega-Wähler richten." Dies darf durchaus als Drohung verstanden werden.


 
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