© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    29/02 12. Juli 2002

 
Pankraz,
die Bibel und der schwitzende Roboter

Treffend zum sommerlichen Schwitzliegen an heißen Stränden haben jetzt chinesische Forscher in Hongkong bekanntgegeben, sie hätten "den schwitzenden Roboter" entwickelt. Das ist nun freilich kein Gerät, an das man sein Schwitzen bequemerweise delegieren kann, das einem das Schwitzen also abnimmt, sondern es sollen damit - wie die Forscher etwas kleinlaut einräumen - lediglich neue Stoffe für schweißdurchlässige Tropenkleidung getestet werden.

Bei weiterem Nachfragen kommt heraus, daß der schwitzende Roboter, welche Stoffe man ihm auch auflegt, gar keinen Schweiß absondert, sondern bloßes Wasser. Daß Schweiß (lat. Sudor) außer aus Wasser auch aus Kochsalz besteht, ferner aus Ammoniak, Harnsäure und allen möglichen Fettsäuren, könne man, so die Mitteilung aus Hongkong, "vernachlässigen", da diese Bestandteile höchstens ein einziges Prozent der Schweißlösung ausmachen. Wichtig sei, daß der neue Roboter (er heiße übrigens Walter) genau wie der Mensch und allerlei Getier durch Wasserabgabe seine innere Temperatur reguliere oder zumindest anzeige. Auf dieses Ziel habe man hingearbeitet, und man sei mit dem Ergebnis sehr zufrieden. Walter funktioniere perfekt.

Offenbar haben die Hongkonger nicht viel Schweiß in ihre Erfindung investiert. Es sind allem Anschein nach Buddhisten und Konfutsianer, die noch nie etwas von dem Bibelgebot "Im Schweiße deines Angesichts sollst du dein Brot essen" gehört haben, auch nichts von dem altgriechischen Seufzer des He- siod: "Vor die Trefflichkeit setzen den Schweiß die unsterblichen Götter". Walter reagiert ausschließlich auf äußere Hitzeeinwirkung, und sein "Schweiß" riecht auch nicht, weil eben die Fettsäuren fehlen. Er taugt nicht einmal als Testfigur gegen Achselhöhlen- und Fußgeruch, geschweige denn als Helfer für die Lösung diffiziler psycho-physiologischer Schweißprobleme.

Warum schwitzt man in manchen Situationen zuerst an der Stirn und bei anderen zuerst an den Händen oder an den Füßen? Warum schwitzen viele kranke oder ältere Menschen auch beim Essen, selbst wenn es sich um kalte Speisen handelt und der Speisesaal ungeheizt und eiskalt ist? Warum schwitzen wir bei Prüfungsangst und überhaupt bei Angst, wo uns doch eher die jache Kälte ins Gebein fahren sollte? Warum fließt der Schweiß, wenn er denn fließt, nur selten kontinuierlich, warum gibt es "Schweißausbruch", und warum ist uns solcher Schweißausbruch meistens überaus peinlich und macht uns seinerseits Angst? Das sind Fragen, die nicht einmal der berühmte "Schweißprofessor" und Physiologe F. R. Schmidt von der Universität Würzburg mit hundertprozentiger Sicherheit beantworten mag.

In der Geistes- und Kulturgeschichte ist in Sachen Schweiß ein merkwürdiges Auf und Ab der Hochachtung bzw. Geringschätzung zu beobachten. Schweißabgabe galt, wie oben erwähnt, sowohl bei Juden als auch bei Griechen als Gottesgebot, keineswegs nur für Sklaven, sondern auch und gerade für Eliten. Wer etwas herauskriegen wollte, mußte schwitzen. Der Schweiß war sicherer Ausweis echter und ehrlicher Anstrengung, und noch Francis Bacon am Beginn der maschinellen Neuzeit wetterte (in seinem Essay über den Reichtum) gegen die "Wucherer", die sich anmaßten, sin sudore vultus alieni, im Schweiße des Angesichts eines anderen, zu Geld zu kommen.

Andererseits ist von Anbeginn an versucht worden, die Schweißabgabe zu minimieren und möglichst ganz abzuschaffen, ja, die Schweißvermeidung gedieh geradezu zum sozialökonomischen Grundgesetz jeglicher Höherentwicklung. Man verlagerte das Schwitzen im Dienste der Arbeit auf Pferde, Ochsen und Elefanten. Später erfand man Maschinen von immer höherer Komplexität, die einem nicht nur die physische Verausgabung, sondern auch das anstrengende Denken abnehmen sollten, das Rechnen und Formelauflösen, das Formulieren und sogar Spekulieren und Wuchern. Es gab nicht nur mehr simple Kraftmaschinen, sondern schließlich auch raffinierte Rechenmaschinen, Denkmaschinen, Computer und chipüberladene Roboter.

Parallel dazu entwickelte sich ein Lobpreis des Schwitzens im Dienste der Schönheit und der sogenannten Freizeit. Kaufmännische Angestellte, die während ihrer Arbeit faktisch keinen Finger mehr rührten und alles den Computern überließen, strömten nach Feierabend ins Fitneß-Studio, wo sie in ödester Routine und unter ungeheurer Schweißabgabe (und strenger Duftentwicklung) mit Hanteln und Expandern operierten, um dadurch schöner und menschengemäßer zu werden, kräftige Muskeln, Waschbrettbäuche und stramme Hinterteile "aufzubauen".

Weiß, die Hautfarbe der Intellektuellen und der gehobenen Stände, geriet außer Kurs. Braun, die Farbe der Handarbeiter und der unter praller Sonne Schwitzenden, gewann Hochkonjunktur. "Von der Stirne heiß/Rinnen muß der Schweiß", allerdings nicht beim Gießen von Glocken, sondern beim Herumliegen auf dem "Germanengrill" unter südlicher Sonne. Und eine gewaltige Deodorant-Industrie sorgt dafür, daß die streng riechenden Fettsäuren beim Grillen von ätherischen Parfümen niedergehalten werden, welche nach Blumen und Limonen duften und die Illusion erzeugen, daß man es gar nicht mit Schweiß zu tun habe, sondern mit trockener Frische, "wilder" Frische.

Dies alles ist fast noch verwunderlicher als die Phänomene des Angst- und Prüfungsschweißes. Aber Walter, der schwitzende Roboter aus Hongkong, kann uns keine Auskünfte darüber geben. Er ist, so wie er dasteht und Tropenhemden testet, der blechgewordene Beweis dafür, daß alle Versuche, die Roboter endlich menschenähnlich zu machen, auf Sand gebaut sind. Walter kann nicht einmal richtig schwitzen. Und das ist irgendwie gut so. Etwas Ureigenes, ein Differentium specificum, wollen wir Menschen doch behalten. Ist es nicht die Arbeit und ist es nicht das Denken, so immerhin das Schwitzen.


 
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