© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    29/02 12. Juli 2002

 
Mörderisches Kammerspiel
Kino: "8 Frauen" von Françoise Ozon
Ellen Kositza

Eine verschneite Villa in hochherrschaftlichem Park, eine Vorweihnacht der fünfziger Jahre. Die Studentin Suzon, ein "flottes Mädel" kehrt heim und wird liebevoll empfangen von Mutter, Großmutter, jüngerer Schwester und der dicken Köchin, eher skeptisch von der permanent geifernden Tante Augustine und von Louise, dem neuem Hausmädchen. Der Herr des Hauses ruht noch in seinem Gemach, er ruht lange in den hellichten Tag hinein, bis Louise ihm das Frühstück bringen soll und mit einem gellenden Schrei die Schwelle nicht zu übertreten wagt: Der Familienvater liegt blutüberströmt auf seinem Bett, einen Dolch in seinem Rücken.

Die Polizei kann nicht herbeigerufen werden - der Mörder hat die Telefonleitung gekappt, und bald stellt sich heraus, daß auch das Auto manipuliert wurde und selbst die Tore des hoch ummauerten Anwesens nicht zu öffnen sind. Eine der anwesenden Damen - die achte in Gestalt der mondänen Schwester des Hausherren vervollständigt bald die Szenerie - muß die Mörderin sein, doch wer hätte ein Motiv? In den folgenden Stunden wird durch gegenseitige Verhöre, intime Geständnisse und einige Zusammenbrüche deutlich, daß jede der Frauen einen, meist gar mehrere Gründe zur Mordtat hätte. Selbst die scheinbar harmloseste der acht hat ihre verwesenden Leichen im Keller ...

Soweit das inhaltliche Grundgerüst dieses als Kammerspiel inszenierten Films, das vielleicht als dürftig erscheinen würde, wenn hier nicht Skandalregisseur Françoise Ozon verantwortlich zeichnete, und - was zunächst gar nicht dazu passen mag - die gesamte französische Schauspielriege erster Klasse die Rollen besetzte: Catherine Deneuve gibt die Hausherrin Gaby, Fanny Ardant ihre Schwägerin Pierrette, Emmanuelle Béart das kesse Hausmädchen Louise, Isabelle Huppert die schräge Tante. Zu einem deutsch-französischen Gipfeltreffen wird der aberwitzige Streifen durch die deutschen Synchronstimmen, die auch ausnahmslos von den populärsten Fernseh- und Leinwandakteurinnen geliefert werden. Ob das dem Kinobesucher sogleich unverwechselbar auffällt, mag zwar fraglich sein, auf dem Filmplakat immerhin empfehlen sich Namen wie Hannelore Elsner, Ruth-Maria Kubitschek, Katja Riemann und Jasmin Tabatabai vorzüglich.

Ozons filmische Vorgänger wie "Sitcom" oder "Tropfen auf heißen Steinen", die ebenfalls als Kammerspiele angelegt waren und, genau wie jetzt in "Acht Frauen", ein häusliches Familienidyll als Hort verborgener Sexualtriebe verfremdeten. So heftig und unverblümt inzestuös wie in seinen vorherigen Filmen geht es hier freilich nicht zu, mehr als auf die Unappetitlichkeiten deftiger Kost und "Tabubruch" setzt Ozon hier auf hintergründig Schräges und Skurriles. Der Film ist stilecht in der Technicolor-Manier der fünfziger Jahre gedreht und greift auf die damalige Mode zurück, einzelne Musical-Einlagen der Darsteller in das Geschehen einzubetten. Das allein bereits treibt einem Tränen des Lachens in die Augen, wenn etwa Isabell Huppert als zickige, bis zur Neurose frustrierte Jungfer kurz ihre hysterischen Angriffe auf ihre Familienangehörigen unterbricht, um sich mit plötzlich verklärtem Gesichtsausdruck ans Klavier zu setzen, und eine wehmütige "Message personell" anzustimmen: ich will doch nur geliebt werden...

Die acht Verdächtigen handeln als übertrieben typisierte Charaktere und werden auch durch äußere Details als solche in Szene gesetzt, absichtlich - ohne ins eindeutig Groteske hineinzuspielen - wird auf Künstlichkeit, auf Stilisierung gesetzt. So kommt der Witz durch die Hintertür, mit den Tränen der melancholisch aus dem Fenster blickenden Frau, mit jedem Klischee, daß hier zitiert wird. Wie oft Ozon überhaupt in die Zitatenkiste der Kinogeschichte zurückgreift, wird im ganzen Ausmaß überhaupt nur dem passionierten Filmkenner deutlich sein, so ist Tante Pierette alias Fanny Ardant inklusive Originalschmuck eine Ava-Gardner-Kopie, zitiert die wollüstige Louise eifrig aus Bunuels "Tagebuch einer Kammerzofe" und sind ganze Szenen eine hochkomische Adaption des Klassikers "Blondinen bevorzugt". Daß der Handlungsvorgang sich dabei mitunter ganz leicht den Gesetzen der Logik entzieht, ist dabei absichtliches Detail, genau wie die Aufklärung der Mordtat als moralische Konsequenz erscheint.

Auf der Berlinale 2002 wurde der in der Tat außergewöhnliche Film als Großereignis gefeiert und mit dem "Silbernen Bären" für die Schauspielleistung des Ensembles ausgezeichnet


 
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