© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    29/02 12. Juli 2002

 
Ideenchemiker mit unklaren Visionen
Michel Grunewald: Moeller van den Brucks Geschichtsphilosophie
Bernd Gräber

Der an der Universität Metz lehrende Germanist Michel Grunewald hat aus dem Nachlaß des Publizisten Arthur Moeller van den Bruck (1876-1925) ein Manuskript mit dem Titel "Rasse und Nation" veröffentlicht. Wie wir Armin Mohlers Handbuch über "Die Konservative Revolution in Deutschland" leicht entnehmen können, handelt es sich dabei um den "Vorband" einer von Moeller geplanten großen Buchreihe zum Thema "Werte der Völker", die für 1909 angekündigt war, von der aber nur das voluminöse Werk "Die italienische Schönheit" (1913) erschienen ist.

Grunewald fügt den knapp 150 Seiten dieses Nachlaß-Textes noch zwanzig kulturkritische Artikel Moellers an, die am Vorabend des Ersten Weltkriegs veröffentlicht wurden, sowie eine grundsätzliche Auseinandersetzung mit Oswalds Spenglers "Der Untergang des Abendlandes", die man 1920 in der Deutschen Rundschau lesen konnte. Insoweit ist der Untertitel des 370 Seiten starken zweiten Teilbandes, der suggeriert, es handle sich hier um "Drei Texte zur Geschichtsphilosophie" irreführend, da Moellers Zeitungsartikel allein durch Grunewalds Überschrift ("Meinungen über deutsche Dinge") zu einem Text verklammert werden. Die Verwirrung wird noch gesteigert dadurch, daß Grunewald den ersten Teilband, der auf 130 Seiten seine Interpretation dieser Geschichtsphilosophie Moellers präsentiert und mit der Untertitel-Trias "Ewige Urzeugung", "Ewige Auseinandersetzung", "Ewige Weitergabe" versieht, so daß man meinen könnte, hier erwarten einen nochmals "Drei Texte" des "Ideenchemikers" (Stefan Breuer, 2000) der "Konservativen Revolution".

Grunewalds Verdienst besteht primär darin, "Rasse und Nation" im Nachlaß des "Preußenmystikers" (Mohler) Hans Schwarz (1890- 1967), einem geistigen Erben und, was dessen in den dreißiger Jahren besorgten Editionen der Moeller-Schriften angeht, alles andere als sorgfältig verfahrenden Testamentsvollstrecker, aufgefunden und zugänglich gemacht zu haben. Grunewalds Verdienst endet hingegen dort, wo seine Deutung der Geschichtsphilosophie Moellers, die "Rasse und Nation" in den Mittelpunkt stellt, beginnt. Über die ideengeschichtlichen Ursprünge jener nach 1918 so wirksamen Spekulationen über "junge Völker" und die Verheißungen des "Dritten Reiches" erfährt man hingegen mehr aus Moellers Text als aus Grunewalds Interpretation, die nicht von ungefähr wesentlich kürzer als ihre Vorlage ist.

Daß sich Moellers Vorkriegsproduktion als eine an Hegels Geschichtsphilosophie orientierte neuidealistische "Erziehung zur nationalen Weltanschauung" (Paul Fechter, 1934) verstehen läßt, die den Deutschen als kommendes "Weltvolk" die Herkulesaufgabe der Kreation einer "Weltkultur" zumutet, ist seit langem bekannt. Daß Moellers Konstruktionen dabei von Anfang an, also schon in der nationalpädagogisch konzipierten, achtbändigen Porträtgalerie über "Die Deutschen" (1904-1910), auf jegliche biologisch-deterministische Fundierung verzichteten und sich damit sein Verständnis von "Rasse" mehr im Reich der Ideen, geistiger "Kräfte", als im Materialismus des "Blutes" ansiedelte, haben bereits nationalsozialistische Kritiker des jungkonservativen "Herrenklub-Philosophen" präzise erfaßt. Vor allem Helmut Rödels Leipziger Dissertation über "Rasse, Raum und Reich" bei Moeller (1939) zieht hier deutliche Trennlinien zum "letzten Konservativen" und verbannt, aus NS-Perspektive sehr stringent, das gesamte Werk ins Museum des 19. Jahrhunderts. Hans-Joachim Schwierskott (1962) und - ausführlicher- Denis Goel-del (1984) untersuchten dann das in den Bohème-Kreisen des fin de siècle sich ausbildende Denken des "politisierenden Literaten", der sich bis 1914 vom "Theoretiker der Varietékunst" zwar zum "Historiker des 'preußischen Stils' in der Architektur" entwickelte, der aber den "Realitäten der Politik" mit seinen "unklaren Visionen" kaum gewachsen war (Günter Maschke, 1980).

Nach diesen Vorarbeiten von Schwierskott und Goeldel hätte Grunewald seinen Textfund also nutzen können, um einerseits Moellers Standort in spätwilhelminischen "Diskursen" zwischen Ernst Haeckels Naturalismus und Rudolf Euckens Neoidealismus genauer zu bestimmen, andererseits geistige Einflüsse des 19. Jahrhunderts, vor allem Anregungen des "verschwärmten Deutschen" (Moeller) und "panpsychistischen" Naturphilosophen Gustav Theodor Fechner (1801-1887), und nicht so sehr evidente Anleihen bei Hegel und Nietzsche, herauszuarbeiten.

Weder das eine noch das andere gelingt Grunewald. Diesen authentisch historischen Zugriff auf Moellers Werk lassen weder Grunewalds Ausbildung als Germanist noch seine gänzlich ahistorisch-"systematische" Fixierung zu, die insoweit seine eigentümlich französische geistige Schulung verrät. So bleibt ihm nur, planlos jeden im philosophischen Wörterbuch verzeichneten Terminus Moellers mit einem Hegel-, Schelling- und Nietzsche-Zitat zu verknüpfen oder über weitere "mögliche Quellen" zu sinnieren. Was dazu führt, daß die Hälfte der Grunewald-Deutung aus assoziativ verknüpften Zitaten besteht, die soweit es Moellers Ausführungen betrifft, bequem im zweiten Teilband nachzulesen sind. Solche Redundanzen korrespondieren unangenehm mit penetranten Wiederholungen des Grunewaldschen Deutungsschemas. Danach sollte der eklektische, "metaphysisch" aufgeladene "integrale Nationalismus" des wenig originellen Publizisten bis 1914 das Vertrauen der Deutschen in ihre welthistorische Sendung stärken. Dieses Konzept mußte aber dann dazu herhalten, für die deutschen "Ideen von 1914" zu werben, um schließlich, ab 1918, in Abgrenzung zu Oswald Spenglers "Untergang"-Metaphorik, die neue "Achsenrichtung" der Geschichte im Osten, wo sich die "jungen Völker", die Deutschen und Russen begegnen, zu legitimieren. Bei Moellers "Geschichtsdiskurs" im Schatten von Versailles sollte weniger der Einfluß naturwissenschaftlich verkleideter "Rotationstheorien" oder geschichtsphilosophischer Spekulationen über "Spiralbewegungen" (Kurt Breysig) ermittelt werden, wie Grunewald dies umständlich vorführt, sondern realpolitische Gegebenheiten, die für Moellers Ostkonzeption entscheidender waren.

Geradezu hilflos fallen dabei manche Reflexionen über Moellers geistige Abhängigkeiten aus. Einmal ist es der Neukantianismus und sein Verständnis der "Werte", dann "ist nicht auszuschließen", daß Moeller Max Webers Kulturdefinition gekannt haben könnte, vielleicht sind sogar "platonische Reminiszenzen" nachzuweisen. Kindlich wirkt es, wenn Grunewald vermutet, die Werke des baltischen Physiologen Karl Ernst von Baer (1792-1876) habe Moeller "entweder dank seiner zweiten Frau oder Ludwig Schemanns" kennengelernt. Warum nicht gleich durch seine Zugehfrau oder seinen Patenonkel? Mit anderen Worten: Die Geschichtsferne Grunewalds, der in den letzten Jahren drei Aufsatzsammlungen über den "Europadiskurs im Spiegel deutscher Zeitschriften" zwischen 1871 und 1939 herausgegeben hat, läßt für künftige Rekonstruktionen der Geschichtsphilosophie Moeller van den Brucks noch viel Raum. 

 

Michel Grunewald: Moeller van den Brucks Geschichtsphilosophie, Band 1: Ewige Urzeugung, Ewige Anderswerdung, Ewige Weitergabe; Band 2: Rasse und Nation, Meinungen über deutsche Dinge, Der Untergang des Abendlandes, Peter Lang Verlag, 158 und 375 Seiten, 69 Euro für beide Bände.


 
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