© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    30/02 19. Juli 2002


Börsenkrise
Der Tip eines guten Bekannten
Dieter Stein

Ist er Ihnen auch im Frühjahr 2000 begegnet? Jener gute Bekannte, der Sie schon seit längerem mit
seinen Kenntnissen über einen sogenannten Neuen Markt beeindruckte, der unverständliche Namen wie Comroad, Phenomedia, Gigabell, Kabel New Media, EM.TV wie ein Gedicht aufsagen konnte und dabei wissend auf die Brieftasche klopfte? Dort waren wohl die Aktien verstaut, als er mir - ich glaube es war im Mai 2000 - zuraunte: "Kaufen Sie! Wenn Sie irgendwie 100.000 Mark übrig haben (sehr komisch!) kaufen Sie! Sie machen ein Riesengeschäft!"

Ich kam mir richtig schrullig vor, als ich damals sagte, mir seien Aktien generell suspekt, sie kämen mir vor wie die Kettenbriefe aus der Schulzeit. Damals ging es noch um Schokoladentafeln, die sich auf geheimnisvolle Weise versechsfachen sollten, wenn man einen Kettenbrief mit Schokolade an Freunde verschickte. Auch damals habe ich nicht mitgemacht. Ich ließ mir aber von dem guten Bekannten in groben Zügen erklären, wie die Börse funktioniere. "Wer verliert eigentlich das Geld, das ich gewinne?", wollte ich wissen. Es kam mir merkwürdig vor, daß es angeblich so einfach sein sollte, sein Geld zu vermehren. "Natürlich muß ein anderer Geld in die Börse gesteckt haben, damit Sie es herausbekommen!", sagte der gute Bekannte. Mich beschlich das ungute Gefühl, daß ich zu den Tröpfen zählen würde, die ihr Geld in den großen Topf stecken, damit es andere als "Gewinnmitnahme" einkassieren können.

Inzwischen - Sie wissen es - befinden sich die Börsen weltweit seit dem Herbst 2000 auf einer Talfahrt. Erst platzte die Blase der angeblich so lukrativen Technologie-Märkte mit irgendwelchen Telefonzellen-Firmen, die nie irgendetwas produziert hatten. Dann purzeln jetzt auch die traditionellen Standardwerte der Industrie, Versicherungen und Banken. Anlaß zur Schadenfreude bietet das nicht. Denn eins ist sicher: Die Großen trifft dieser Abwärtstrend nicht. Verlierer sind unsere unzähligen "guten Bekannten", die sich wie im Rausch von "Volksaktien" wie Telekom und Post-Aktie elektrisieren ließen und Erspartes an die Börse trugen. Zum Teil wurden Aktien weit über Wert gekauft. Viele hofften, eine kleine Rente durch Aktien aufbessern zu können. Angesichts fallender Kurse fehlen den meisten Kleinanlegern die Nerven und sie verkaufen in der Not ihre Aktien nun unter Wert. Wer den Gewinn einstreicht, kann man nur ahnen.

So erleben wir das Schrumpfen der überbewerteten Börsen und ihres Umfeldes auf ein Normalmaß. Zurück bleiben ernüchterte und enttäuschte Bürger, die sich haben beschwatzen lassen und es hätten besser wissen können. Der Jahrmarkt zieht fort und man hat wieder nur Nieten aus der Lostrommel gezogen. Bedenklich ist aber die Rolle des Staates, der bei der Etablierung der "Volksaktien" Telekom und Post eine maßgebliche Rolle gespielt hat.

Übrigens: Ist Ihnen auch schon aufgefallen, daß Ihnen Ihr guter Bekannter schon seit längerem nicht mehr begegnet ist? Bitten Sie doch bei Ihrer nächsten Taxifahrt den Fahrer, sich einmal zu Ihnen umzudrehen ...


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