© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    30/02 19. Juli 2002

 
Grobe Widersprüche
Familienpolitik: Die Kehrtwende der CDU /CSU stößt viele Christen vor den Kopf
Helmut Matthies

Zunächst - trotz allem - ein Lob auf den Kanzlerkandidaten der CDU/CSU! Hat er doch offen und nicht verklausuliert einen der weitreichendsten Positionswechsel in seiner Partei überhaupt vorgenommen - und das bei Themen, die für viele Christen bisher ein Hauptmotiv waren, CDU/CSU ihre Stimme zu geben. Edmund Stoiber bezeichnete es als "Grundsatzentscheidung", eine zweifache Mutter, die in "wilder Ehe" mit einem CDU-Landtagsabgeordneten zusammenlebt, in sein "Kompetenzteam" für die Bereiche Familie, Jugend und Frauen zu berufen. Die 28jährige Katherina Reiche aus Brandenburg soll nichts weniger als ein Beleg dafür sein, daß die CDU/CSU keine "rückwärts gewandte Ehe- und Familienpolitik" betreibe. Werden mit dieser Formulierung aber nicht alle Christen, die an der Ehe aus biblischen Gründen festhalten, ins Abseits gestellt? Bedeutet das jetzt, daß die sogenannte "wilde Ehe" (eine Gemeinschaft ohne jede bindende Verantwortung füreinander) für die Unionsparteien nun für die "moderne und aufgeschlossene Familienpolitik" steht, von der Stoiber bei der Vorstellung seines fünften Kompetenzteam-Mitgliedes sprach? Stoiber hätte die Entscheidung für Frau Reiche auch anders, christenfreundlicher begründen können. Er hätte sagen können, er stehe weiterhin für das am christlichen Menschenbild orientierte Ehe- und Familienmodell, aber man wolle mit Frau Reiche eine junge Mutter aus den neuen Bundesländern ins Kompetenzteam holen, auch wenn man nicht mit ihrer privaten Beziehungssituation einverstanden sei. Doch Stoiber sagt es ganz offen: Die CDU hat sich für eine andere Politik entschieden.

Wie viele junge Leute werden sich jetzt gegenüber ihren Eltern darauf berufen? Scheint es doch jetzt geradezu von "konservativer" Seite abgesegnet zu sein, "wild" zusammenleben zu dürfen? Katherina Reiche wird durch ihre neue Position natürlich zum Vorbild werden! Für christliche Eltern ist es nun noch schwerer, ihren Kindern deutlich zu machen, daß es besser ist, vor dem Staat und der Gemeinde die Ehe zu schließen. Doch es geht nicht nur darum. Katherina Reiche steht auch bei einem ganz anderen, für Christen höchst wichtigen Thema für eine völlig andere Politik, als sie bisher für die Unionsparteien als gültig angesehen wurde. So gehörte sie im Bundestag zu den Initiatoren des am weitesten gehenden Antrags zur Einfuhr embryonaler Stammzellen. Dabei sprach sie sich in der Debatte auch für das Töten sogenannter "überzähliger" Embryonen (also Kindern) in Deutschland selbst aus. Genau das aber sind Christen geradezu gezwungen, abzulehnen, widerspricht es doch fundamental dem Fünften Gebot. Bedeutet die Berufung Frau Reiches also auch in der Bioethik eine Kehrtwende der CDU/CSU? Stoiber hat sich jedenfalls ohne Wenn und Aber hinter Reiche gestellt. Damit setzte er sich über die Interventionen der katholischen Kirche hinweg, die gegen die Berufung war. Auch aus dem Evangelischen Arbeitskreis soll es intern Widerstand gegeben haben.

Es fragt sich: Warum das Ganze? Warum hat Stoiber nicht eine 40- bis 50jährige Mutter aus den neuen Bundesländern genommen, deren Kinder inzwischen erwachsen sind, die von daher frei für neue Aufgaben wäre und die durch eine längere Lebenserfahrung auch viel mehr Kompetenz hätte als eine 28jährige? Ganz abgesehen davon, daß deren Kinder klein bzw. das zweite noch ungeboren ist. Sie bräuchten also ihre Mutter dringend - ist doch der Vater selbst berufstätig. Warum also brüskierte Stoiber mit seiner Entscheidung für Katherina Reiche und seiner Neupositionierung seine Stammwähler? Meint er, auf die Stimmen der engagierten Christen, von denen es mindestens vier bis sechs Millionen in Deutschland gibt, verzichten zu können? Hofft er statt dessen, mehr im liberalen bzw. atheistischen Bereich "fischen" zu können?

Ein weiteres: Der frühere Generalsekretär der CDU, Heiner Geißler, hat jetzt alle die, die für die bisherige Ehe- und Familienvorstellung eintreten, also vor allem die Christen, als "religiöse Ayatollahs" bezeichnet. Merkwürdigerweise hat ihm bisher niemand in der CDU öffentlich widersprochen. Ist das also jetzt Konsens?

Eine der einflußreichsten Christinnen, deren Bücher die höchste Auflage unter allen frommen Autoren erreicht haben, Christa Meves, schrieb jetzt an Stoiber: "Sie sollten Ihre Entscheidung für Katherina Reiche schnellstens wieder rückgängig machen - sonst ist die Wahl verloren!" Aber noch sind es zehn Wochen bis zur Bundestagswahl. Christen - auch außerhalb der CDU/CSU - können ihren Einfluß geltend machen. Die Frage jedenfalls, wer die Stimmen der meisten Christen bekommt, ist noch nicht entschieden.

Der klare Widerspruch aus der katholischen Kirche, von Evangelikalen und manchen Medien sollte Unionspolitiker nicht dazu verleiten, sich nun in die Schmollecke zurückzuziehen und nach dem Motto "Jetzt erst recht" sogar weiterhin Profil auf Kosten bisheriger Stammwähler zu suchen. Keine siegeswillige Partei kann es sich kurz vor einer Bundestagswahl erlauben, Stammwählerschichten so zu verärgern.

Die Union sollte sich darüber klar werden, daß feste Grundsätze auf Dauer wichtiger sind als kurzfristig medienwirksame Signale an diese oder jene vermeintlich neue Wählerschicht.

 

Helmut Matthies ist Chefredakteur der Evangelischen Nachrichtenagentur idea.


 
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