© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    30/02 19. Juli 2002

 
Kanzlerbonus als letzter Trumpf
Parteien: SPD-Affären in Nordrhein-Westfalen und Babcock-Pleite machen auch Gerhard Schröder zu schaffen / Wahlkampfzentrale verbreitet Optimismus
Paul Rosen

Die Sozialdemokraten erinnern an den Mann, der durch den dunklen Wald schleicht und ein Liedchen pfeift, um die Angst zu vertreiben. Die sozialdemokratische Wahlkampfzentrale "Kampa" will allen Ernstes eine Optimismus-Kampagne starten, um die Bundestagswahlen doch noch zugunsten von Gerhard Schröder zu entscheiden. Zwar ist die Wahl noch lange nicht entschieden, und die letzten Umfragen sagen keinesfalls einen Sieg für Unionskandidat Edmund Stoiber und die FDP voraus. Aber einen Sieg für Schröder und die Grünen weisen die demoskopischen Befunde ebensowenig aus. Im bevölkerungsreichsten Bundesland Nordrhein-Westfalen will die SPD wenige Wochen vor Öffnung der Wahllokale doch noch die Wende erzwingen. Denn alle Bundestagswahlen, das wissen die Wahlkämpfer der Parteien genau, wurden bisher in NRW gewonnen.

Dabei sieht es ausgerechnet in Nordrhein-Westfalen überhaupt nicht gut für die Genossen aus. Die letzten Emnid-Umfragen wiesen im sozialdemokratischen Stammland 40 Prozent für die SPD aus, während die eher kampfschwache CDU unter ihrem Landesvorsitzenden Jürgen Rüttgers der Regierungspartei mit 37 Prozent dicht auf den Fersen ist. Zu lang ist das Sündenregister der SPD in Nordrhein-Westfalen: Die Kölner Müll- und Spendenaffäre führte zu Verhaftungen sozialdemokratischer Kommunalpolitiker. Der Wuppertaler Oberbürgermeister Kremendahl steht unter Verdacht, von einem Bauunternehmer Spenden angenommen und diesem Vorteile bei Aufträgen in Aussicht gestellt zu haben.

Der Höhepunkt des sozialdemokratischen Niedergangs zwischen Rhein und Weser ist jedoch die Pleite des Babcock-Borsig-Konzerns in Oberhausen. Die SPD wird sich von ihrer doppelten Verantwortung nur schwer reinwaschen können: Zum einen mischte das sozialdemokratische Geflecht aus Wirtschaft und Politik unter Führung des früheren WestLB-Herrschers Friedel Neubert auch bei Babcock viele Jahre kräftig mit. Als der Mischkonzem, dessen Beteiligungen an etwa 300 Firmen in vielen Fällen politische und nicht wirtschaftliche Gründen haben sollen, in Konkurs ging, waren sofort Ministerpräsident Wolfgang Clement und Kanzler Schröder zur Stelle, um eine Rettungsoperation einzuleiten. Das ging bekanntlich schief. Im Stoiber-Lager ist man inzwischen sicher, daß die SPD für Schröder neue Ruhrfestspiele aufgeführt hätte, wenn der Kanzler es geschafft hätte, den Konzern zu retten. Doch die Großbanken vertrauten dem Genossenfilz nicht mehr und versagten die notwendigen Kreditlinien, Tausende von Arbeitsplätzen könnten jetzt verlorengehen.

Für Matthias Machnig, den Manager der SPD-Wahlkampfzentrale Kampa in Berlin, ist das alles jedoch kein Thema. Machnig setzt auf mehr Schröder-Auftritte in NRW und mehr Großplakate. Die Bürger wüßten genau, worum es bei der Wahl am 22. September gehe, nämlich nicht um Nordrhein-Westfalen oder Babcock, sondern um Schröder. Dabei sind die Bilanzen der Regierung auf Bundesebene, abgesehen von den nordrhein-westfälischen Korruptionsaffären, nicht besser. Deutschland liegt beim Wirtschaftswachstum in der EU auf dem letzten Platz, die Arbeitslosigkeit ist höher als noch vor einem Jahr. Von Schröders Ziel, die Zahl der Arbeitslosen auf unter 3,5 Millionen zu senken, ist die Regierung weiter entfernt denn je. Dafür streben die Unternehmenspleiten von einer Rekordzahl zur nächsten. Die Rentenreform ist mißlungen, die Gesundheitsreform erst gar nicht in Angriff genommen worden.

Die "Kampa" sucht in dieser Lage ihr Heil in besseren Prognosen. Wenn die Bilanzen so schlecht sind, darf sich der Blick nicht nach hinten, sondern muß sich nach vorne richten. Man hält Stoiber dort für einen Kandidaten, der bisher kein Profil gezeigt und keine Zukunftskompetenz habe. Genau diese will Schröder zeigen. Die Pisa-Studie mit ihren verheerenden Ergebnissen für die deutsche Schulpolitik wischte er mit zwei Manövern beiseite: Zum einen gab er sofort die Devise aus, der Bund müsse künftig Schulthemen an sich ziehen und mit einem Rahmengesetz für bessere Bildung sorgen. Dieser Vorstoß war schon Teil des Ablenkungsmanövers, schlechte Ergebnisse sozialdemokratischer Bildungspolitik mit Hinweis auf künftige Maßnahmen zu kaschieren. Pisa war endgültig erledigt, als Schröder die Hartz-Kommission aus dem Hut zauberte. Die Ankündigung der Kommission, innerhalb der nächsten Jahre die Arbeitslosigkeit um zwei Millionen senken zu können, faszinierte die Öffentlichkeit so sehr, daß die Schrödersche Negativbilanz der letzten vier Jahre fast in Vergessenheit geriet. Drei Wochen gingen ins Land, bis Stoiber und sein Wirtschaftsfachmann Lothar Späth mit ihrem Anti-HartzProgramm konterten.

Schröders Konzept der Zukunftskompetenz richtet sich allerdings nach einem bewährten Grundsatz. Die meisten Bürger schätzen es nicht, wenn alles schlechtgemacht wird und wenn man ständig erfährt, daß man auf dem letzten Platz steht. Denn in Wirklichkeit, so die Kampa-Propaganda, seien die Leute doch zufrieden. 68 Prozent hätten sich in einer Infratest-Umfrage zufrieden mit ihrer persönlichen finanziellen Lage gezeigt. Immerhin meinen auch 36 Prozent, die wirtschaftliche Lage in Deutschland werde sich verbessern, während 30 Prozent eine Verschlechterung erwarten. Als Erfolg rechnet es sich Schröder an, daß die Inflationsrate nach dem amtlichen Index sinkt, auch wenn die meisten Wähler einen gegenteiligen Eindruck haben dürften.

Schröder hat allerdings ein Problem. Selbst wenn er den knappen Abstand zur Union noch aufholen sollte, hätte er immer noch keine Mehrheit, sondern wäre für eine Regierungsbildung auf die Tolerierung der SED-Nachfolgepartei PDS angewiesen. Das Problem wird in der Kampa als nicht so gravierend angesehen. Die "wirklich linken" Wähler würden letztlich nicht für die PDS votieren, sondern bei einer stärker polarisierten Stimmung eher für SPD oder Grüne, weil jede Stimme für die PDS nur Stoiber helfe.

Deshalb wird in der SPD-Führung nicht ausgeschlossen, daß die PDS, die in den Umfragen bei fünf Prozent liegt, nicht mehr in den Bundestag kommt. Da ein direktes Bündnis mit der PDS bei einem Wiedereinzug in den Bundestag keinesfalls in Frage kommt (die Ost-SPD-Abgeordneten würden nicht mitziehen), wäre Schröder auch zu einer Großen Koalition mit CDU-Chefin Angela Merkel bereit. In der Tat muß Stoiber aufpassen. Wenn es Schröder gelingt, seine virtuellen Themen einer goldenen Zukunft im Wahlkampf durchzusetzen, hat der Bayer die Wahl verloren.


 
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