© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    30/02 19. Juli 2002

 
Noch kein Nachfolger in Sicht
Spanien I: Premier Aznar hat zur Halbzeit überraschend sein Kabinett umgebildet / Druck der Gewerkschaften / Aufbegehren im Baskenland
Carlos E. Izquierda

Mit einer überraschenden Kabinettsumbildung verblüffte der spanische Ministerpräsident José María Aznar politische Gegner wie Freunde und sicherte sich die Titelseiten aller Tageszeitungen seines Heimatlandes. Insgesamt entließ der 49jährige konservative Politiker letzte Woche sechs Minister aus seinem Kabinett und stellte fünf neue ein.

Dabei besetzte Aznar, der seit 1996 Premier ist, sogar so wichtige Ressorts wie das Außen- und Innenministerium neu. Das wegen der Unabhängigkeitsbestrebungen im Baskenland strategische Innenministerium übernimmt der bisher sehr erfolgreich im Sinne Aznars agierende Justizminister Ángel Acebes. Der 44jährige hatte zuletzt das Parteiengesetz, mit dem die ETA-nahe Partei Batasuna verboten werden soll, durchs Parlament gebracht. Sein Vorgänger im Amt, Mariano Rajoy, bleibt stellvertretender Regierungschef und wird zusätzlich Präsidialamtsminister und Regierungssprecher. Neben Wirtschaftsminister Rodrigo Rato behielten ihr Amt nur der Verteidigungsminister Federico Trillo-Figueroa, Finanzminister Cristóbal Montoro, Bauminister Francisco Álvarez-Cascos, Agrarminister Miguel Arias Cañete, Umweltminister Jaume Matas sowie Bildungsministerin Pilar del Castillo.

Nicht geschont wurde der bisherige Außenminister Josep Piqué, der nunmehr die weniger attraktive Aufgabe des Ministers für Forschung und Technologie erhält. Der Katalane wurde von der Opposition oft mit Korruptionsskandalen in Verbindung gebracht. Ferner waren seine unverblümten Aussagen zur Duldung des illegalen Exodus von Marokkanern und anderen Afrikanern nach Spanien durch die marokkanischen Behörden der Auslöser der Krise zwischen beiden Staaten, die in der Abberufung des marokkanischen Botschafters ihren vorläufigen Höhepunkt fand.

Während der EU-Ratspräsidentschaft ist es der spanischen Außenpolitik darüber hinaus nicht gelungen, die von ihr vorgeschlagenen Sanktionsmaßnahmen für kooperationsunwillige Drittländer bei der Bekämpfung der illegalen Einwanderung (wie zum Beispiel die Kürzung der Entwicklungshilfe) durchzusetzen. Ohne reale Sanktionsmaßnahmen ist ein effektives Eindämmen der illegalen Einwanderung nicht erreichbar. Spanien als erste Anlaufstelle von vielen illegalen Immigranten aus Afrika steht mit seinem Problem daher weiterhin allein da; und dies, obwohl ein Großteil der Einwanderer nicht in Spanien bleibt, sondern weiter nach Norden zieht. Als Hauptbetroffene müßten die anderen EU-Mitglieder ein Interesse an der wirksamen Eindämmung haben.

Seit über einem Jahr verhandelte Piqué ebenfalls mit seinem britischen Amtskollegen Jack Straw über den zukünftigen Status der sechs Quadratkilometer großen, seit 1713 britischen "Kronkolonie" Gibraltar. Trotz Kompromißbereitschaft der britischen Labour-Regierung konnte zum "Affenfelsen" noch keine Einigung erzielt werden. Dies war sicherlich in gleicher Weise ausschlaggebend für seinen Wechsel in ein anderes Ressort. Seine Amtsnachfolgerin ist die 53jährige Juristin und EU-Parlamentarierin Ana de Palacio. Sie ist die ältere Schwester der EU-Kommissarin für Verkehr und Energie, Loyola de Palacio, und gilt als ausgesprochene Pro-Europäerin. In der Delegation des EU-Parlaments für die Beziehungen zu dem Palästinensischen Legislativrat war sie auch über Europa hinaus politisch aktiv.

Seitdem sie bei einer schwierigen Krebsbehandlung dem Tode sehr nahe war und ihr gesamtes Kopfhaar verloren hat, gilt sie als besonders widerstandsfähig und couragiert. Ana de Palacio war aber nicht Aznars Wunschkandidatin. Doch der katalanische Spitzenpolitiker Miguel Roca (Ex-Fraktionssprecher der katalanischen Partei Convergència i Unió/CiU im Madrider Parlament), sagte ab. Der Streit um die Petersilien-Insel könnte die erste Bewährungsprobe für die neue Ministerin werden. (siehe zweiten Spanien-Beitrag unten)

Ansonsten mußte der eloquente, aber streitbare Regierungssprecher Pío Cabanillas sein Amt räumen. Der von der Opposition als "offizieller Lügner" Gescholtene, weicht der neuen Allzweckwaffe Aznars, Mariano Rajoy. Durch diese Entscheidung dürfte die Regierungspolitik weniger kämpferisch an die Öffentlichkeit getragen werden. Daß die spanische Volkspartei vor zwei Jahren die absolute Mandatsmehrheit erreichte, wird wesentlich als Verdienst des damaligen Wahlkampfleiters Rajoy angesehen, so daß ihm die Rolle als Sprachrohr der Regierung liegen dürfte. Die Verlagerung der - 1990 aus der "Franco-nostalgischen", rechtskonservativen Allianza Popular hervorgegangenen - Volkspartei (PP) in die politische Mitte gilt als seine Maxime.

Der Anlaß für die umfassende Regierungsumbildung wird in mehreren Gründen gesehen: Zum einen war Aznar anläßlich des EU-Gipfels von Sevilla Ende Juni innenpolitisch stark unter Druck geraten, als am 20. Juni ein Generalstreik gegen die Regierung ausgerufen wurde. Mit ihrer absoluten Mehrheit verabschiedete die Regierung nämlich eine Reform des Arbeitsrechtes, die die Arbeitlosenunterstützung mit strengeren Auflagen versieht und den Kündigungsschutz einschränkt.

Diese Reform war den Gewerkschaften, Sozialisten (PSOE) und der kommunistischen Vereinigten Linken (IU) willkommener Anlaß, gegen die Regierung auf die Straße zu gehen. Ohne es zu wollen stellte die Regierung so den Schulterschluß zwischen allen oppositionellen Kräften her.

Der 46jährige Präsident der autonomen Region València, Eduardo Zaplana, darf nun als neuer Arbeitsminister versuchen, den "sozialen Dialog" mit den Gewerkschaften wieder herzustellen, um sie von weiteren Streiks abzuhalten. Eine harte Nuß, die seinem Vorgänger, Juan Carlos Aparicio, den Posten kostete. Als Vorbild gilt in diesem Zusammenhang im übrigen die erfolgreiche Arbeitsmarktpolitik des italienischen Ministerpräsidenten Silvio Berlusconi. Auch die wahlkampfbedingten Konzepte der deutschen Parteien zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit finden bei der spanischen Regierung großen Anklang.

Unter Druck geriet die Regierung Aznars zunehmend auch durch Forderungen nach weiteren Kompetenzen, die von den baskischen und katalanischen Regionalregierungen erhoben wurden. Die Baskische Regionalregierung drohte jetzt sogar offen einen Bruch mit dem spanischen Staat an, falls dieser dem Baskenland nicht binnen zwei Monaten weitere Kompetenzen überträgt. Ein entsprechendes Ultimatum wurde mit den Stimmen der regierenden christlich-konservativen Baskischen Nationalpartei (Partido Nacionalista Vasco-Eusko Alderti Jetzalea/PNV-EAJ) und dank der Enthaltung der - vom Verbot bedrohten - linken ETA-nahen Partei Batasuna von einem Ausschuß des Regionalparlaments in Vitoria beschlossen.

Die Initiative sieht zudem eine Volksbefragung über das Recht auf Selbstbestimmung dieser spanischen Provinz vor. Dabei sind in dem Text nicht nur die baskischen Provinzen in Nordspanien, sondern auch diejenigen in Südfrankreich aufgezählt worden. Die Regierung der autonomen Region verlangt von Madrid auch die Übertragung weiterer Zuständigkeiten, etwa die Verwaltung der Arbeitsämter und der Sozialversicherung oder die Kontrolle über Flughäfen und Bahnhöfe. Dies geht weit über das Autonomiestatut aus dem Jahre 1979 hinaus.

Dadurch, daß PP-Generalsekretär Javier Arenas nunmehr zusätzlich das Ministeramt für Öffentliche Verwaltung übernimmt, liegt es an ihm, den immer radikaler formulierten Selbstbestimmungsdrang der Basken und auch der Katalanen zu beschwichtigen. Er gilt als guter Unterhändler, doch darf bezweifelt werden, ob es ihm gelingt, speziell die aus den letzten Regionalwahlen gestärkt hervorgegangene PNV wieder zu besänftigen.

Denn spätestens seit der Aufkündigung des Regierungspaktes zwischen PP und PNV im Dezember 1999 ist das Verhältnis der spanischen und baskischen Konservativen zerrüttet - speziell das zwischen Aznar und PNV-Chef Xabier Arzallus. Hatte doch Aznar im Oktober 1999 dafür gesorgt, daß die PNV - wegen ihres Unabhängigkeitskurses - aus der Europäischen Volkspartei (EVP) ausgeschlossen wurde. Der PNV-EU-Parlamentarier Josu Ortuondo Larrea hat inzwischen übrigens "Asyl" in der Europa-Fraktion der Grünen gefunden - zusammen mit anderen spanischen Regionalisten.

Als weiterer Grund für die überraschende Kabinettsumbildung wird eine Art Ablenkungsmanöver vermutet, denn der Ministerpräsident mußte vor der traditionellen Rede zur Lage der Nation im spanischen Cortes (Abgeordnetenhaus) am 15. Juli mit einem Paukenschlag wieder aus der Defensive heraustreten und die Hegemonie des politischen Diskurses erneut übernehmen. Das Büro des Ministerpräsidenten gab die Kabinettsumbildung daher eine Woche vor diesem Termin bekannt.

Die Ministerrochade ist insbesondere interessant im Hinblick auf die Frage, welches Mitglied seines neuen Kabinetts die Nachfolge im Ministerpräsidentenamt antreten wird. Aznar hat wiederholt betont, daß er für eine weitere Amtszeit als spanischer Premier nicht zur Verfügung stehen wird. Über seinen Favoriten für seine Nachfolge schweigt er sich jedoch beharrlich aus. Das Rennen ist offen und wird wohl zwischen dem Innenminister Acebes, Wirtschaftsminister Rato oder dem Vizepremier Rajoy entschieden. Doch treten von Zeit zu Zeit neue Aspiranten hinzu und andere scheiden aus, so daß es hier noch Überraschungen geben kann. Auch der prospanische Baske und Ex-Innenminister Jaime Mayor Oreja, der für Aznars Volkspartei die Gemeindewahlen organisiert, kann sich Chancen ausrechnen.


 
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