© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    30/02 19. Juli 2002


Feste feiern und viel schreiben
In der kommenden Woche jährt sich zum 200. Mal der Geburtstag des französischen Literaten Alexandre Dumas
Charles Brant

Nachdem sie Victor Hugo gebührend gewürdigt haben (JF 28/02), machen die Franzosen sich bereit, dem nächsten literarischen Giganten die Ehre zu erweisen und auch Alexandre Dumas - zu Lebzeiten von seinen Schriftstellerkollegen beneidet und gehaßt, vor allem aber viel gelesen - zum 200. Geburtstag zu gratulieren.

Dramen, Gedichte, Novellen, Romane, historische Werke, Reiseberichte: Es gibt kaum eine literarische Form, an der Dumas sich nicht versucht hätte. Im Laufe seines Lebens hat er 91 Theaterstücke, um die hundert Romane, Memoiren und Reiseberichte produziert. Die meisten Franzosen kennen seine Abenteuerromane - ein Genre, das er meisterhaft beherrschte: "Die drei Musketiere" und "Der Graf von Monte Christo" sind Lesern auf der ganzen Welt ein Begriff.

Dieses schillernde Kleinod der französischen Romantik erblickte am 24. Juli 1802 in Villers-Cotterêts das Licht der Welt. Seinen Vornamen verdankte das uneheliche Kind seinem Großvater, dem Marquis Alexandre Antoine Davy de la Pailleterie. Seinen Familiennamen gab ihm die Großmutter Marie Dumas, eine schwarze Sklavin dominikanischer Herkunft. Sie gebar dem Aristokraten Marquis de la Pailleterie zwei Söhne und zwei Töchter. Der Älteste, Thomas Alexandre, verdankte der Revolution seine Beförderung zum General. Er war ein Sturkopf, der sich weigerte, in den Krieg zu ziehen, um die antirevolutionäre Provinz Vendée zu "befrieden". Dafür wurde er während des Italienfeldzuges für seine Tapferkeit ausgezeichnet. Napoleons Plünderungen erregten sein Mißfallen, und er blieb - genauso wie Victor Hugos Vater - im Kaiserreich seinen republikanischen Idealen treu.

Dumas war ein begnadeter Geschichtenerzähler

Sein Sohn Alexandre verdingte sich zunächst als Laufbursche bei einem Notar, später war er Sekretär des Herzogs von Orleans. Der künstlerische Durchbruch gelang ihm 1829, als sein Historienspiel "Henri III. et sa cour", das er innerhalb von zwei Monaten geschrieben hatte, an der Comédie française aufgeführt wurde. Von diesem Erfolg beflügelt, begann er Romane zu schreiben und erwies sich als begnadeter Erzähler, der ein besonderes Talent für pitoreske und spannungsgeladene Handlungen zeigte. Romanfiguren aus Fleisch und Blut lagen ihm mehr als philosophische Abhandlungen, und sie eroberten ihm einen einzigartigen Platz in der französischen Literatur. Der Zeitgenosse Chataubriands, Balzacs, George Sands und Franz Liszts erregte Neid, Spott und Mißtrauen. Er wurde als "Feuilleton-Unternehmer", als "Pop-Literat", als schamloser Ausbeuter verlacht.

Dumas wußte den Luxus zu genießen, den ihm sein schöpferischer Fleiß bescherte. Am Stadtrand von Paris ließ er sich ein Schloß bauen. Er war in jeder Hinsicht ein Gourmet, der sich sexuelle Eroberungen genauso schmecken ließ wie feines Essen und Wein. Für seine Freunde kochte er sogar höchstpersönlich und veröffentlichte ein "Großes Küchenwörterbuch". Er begab sich auf Entdeckungsreisen in die Schweiz, nach Rußland, Deutschland, Spanien und Algerien. Sein aufbrausendes Wesen verwickelte ihn in Duelle und unzählige Abenteuer. Sein ausschweifender Lebensstil brachte ihm 1851 den finanziellen Ruin.1860 schloß er sich Garibaldis sizilianischer Expedition an. Zum Dank vertraute Guiseppe Garibaldi (1807-82) ihm die Oberaufsicht über die neapolitanischen Museen an. Dumas nutzte die Gelegenheit, einen Roman mit dem Titel "San Felice" zu schreiben, der in Neapel spielte. Am 5. Dezember 1870 starb er im Haus seines Sohnes in Dieppe. Die Académie française, die Hugo, Vigny und Mérimée in ihre Reihen aufnahm, hat diesem vielseitigen Genie bis heute die Anerkennung verweigert.

1838 war das Jahr, in dem Alexandre Dumas Deutschland bereiste. Seine Fahrt begann in den ersten Augusttagen mit einem Festmahl in Lüttich, bei dem er einen Schinken aus Mainz mit einer Flasche Mosel- und einer Flasche Rheinwein herunterspülte. Seinen Aufzeichnungen zufolge trank er abwechselnd "mal ein Glas Braunberger, mal ein Glas Liebfrauenmilch". Von dort aus brach er nach Aachen auf, wo er "mit nicht weniger Emotion als Karl V." zum Grab Karls des Großen pilgerte. In Köln bestaunte er den "unvollendeten Dom, dessen eine Seite schon baufällig wird, während man an der anderen noch weiterbaut". Mit einem Dampfer fuhr er den Rhein entlang: von Bonn über Koblenz, wo er das Grab General Marceaus besuchte, nach Mainz. Über Gutenbergs Denkmal notierte er: "Ich bedauere den Erfinder des Buchdrucks, aber er hätte besseres verdient."

Am 27. August traf Dumas in Frankfurt ein, wo er mit dem Dichter Gérard de Nerval (1808-55) verabredet war. Die beiden Schriftsteller wollten gemeinsam ein Theaterstück über die Ermordung August von Kotzebues verfassen. In Frankreich galt Nerval, obwohl er die deutsche Sprache nur mittelmäßig beherrschte, als Deutschlandkenner. Unter dem Einfluß Madame de Staëls hatte er sich schon als junger Mann lebhaft für die deutsche Literatur interessiert, 1827 Goethes "Faust" ins Französische übersetzt und drei Jahre später eine Anthologie mit dem Titel "Poésies allemands" herausgebracht, die den französischen Leser mit Goethe, Schiller, Bürger, Körner und Hoffmann bekanntmachte. Deutschland betrachtete dieser Romantiker, dessen Mutter in Schlesien begraben war, als seine "zweite Heimat".

Vier Tage später erhielt Dumas eine Nachricht von Nerval, der den Rhein in Straßburg überquert hatte und wegen Schulden im Gefängnis saß. Dumas schickte ihm 140 Francs. Während er die Ankunft des Dichters erwartete, vertrieb er sich die Zeit damit, Frankfurt zu erkunden. Er besichtigte das Haus Goethes und das jüdische Ghetto, veranstaltete rauschende Feste, machte den Damen den Hof und ließ sich von Anselm Rothschild zur Jagd einladen. Am 15. September traf Nerval endlich ein.

Gemeinsam pilgerten die beiden Männer nach Mannheim. Dort besuchten sie Kotzebues Haus, besichtigten das Zimmer, in dem er erdolcht worden war und sein Mörder, der Student Karl Sand, Selbstmord zu begehen versucht hatte. Danach begaben sie sich zu "Sands Himmelfahrtswiese" und sprachen mit dem Gefängniswärter, der Sand sechs Monate lang bewacht hatte. Auf dem Friedhof suchten sie Sands und Kotzebues Gräber auf. Später schrieb Dumas: "Ich brach einen Ast von dem Pflaumenbaum bei Sands Grab ab und riß einen Efeuzweig von Kotzebues Grabstein, und dann verschlang ich sie miteinander." Als nächstes reisten sie nach Heidelberg, um den Sohn des Mannes zu treffen, der Sand hingerichtet hatte. Doktor Widmann konnte ihnen zwar die Klinge zeigen, mit der sein Vater Sand den Hals durchgeschnitten hatte, war aber zu jung, um sich an die Ereignisse erinnern zu können.

Eindrücke aus Deutschland wurden literarisch genutzt

Dumas und Nerval fuhren weiter nach Worms und Baden-Baden. Aus den Eindrücken dieser Reise entstand das Stück "Léo Burckart", die Geschichte eines "Erleuchteten", der Minister in einem deutschen Fürstentum wird und am eigenen Leib erfährt, wie Macht einen Menschen verderben kann. Diese Meditation über die Schimären der Politik hatte kaum etwas mit dem Thema zu tun, dem sich die beiden Dichter ursprünglich widmen wollten: dem Leben und Sterben des Kotzebue-Mörders Karl Sand. Die einzige Verbindung war der Studentenchor, der "Lützows wilde Jagd" von Theodor Körner singt. Das Renaissance-Theater gab dem Druck der Zensur nach und lehnte das Stück ab. Später übersetzte Nerval die Werke Kotzebues und brachte verschiedene Artikel unter dem Titel "Les Illuminés" ("Die Erleuchteten", 1852) neu heraus. Diese Sammlung porträtiert Pseudo-Mystiker und notorische Exzentriker wie Cagliostro, Restif de la Bretonne und Louis Claude de Saint-Martin. Karl Sand findet keine Erwähnung. Im selben Jahr stellte er unter dem Brentano entlehnten Titel "Loreley, souvenirs d'Allemagne" alle Texte zusammen, die während seiner zahlreichen Deutschlandreisen entstanden waren. Hier findet sich auch die berühmte Liebeserklärung, die er diesem Land anläßlich seiner ersten Rheinüberquerung machte: "Deutschland: die Heimat Goethes und Schillers, das Land Hoffmanns; das alte Deutschland, unser aller Mutter. Teutonia ...". Auch Dumas schöpfte die gemeinsame Reise literarisch aus: Er veröffentlichte "Crimes célèbres" ("Berühmte Verbrechen", 1839), "Impressions de voyage" ("Reiseeindrücke", 1840) und seine dreibändigen "Excursions sur les bords du Rhin" ("Ausflüge an den Ufern des Rheins", 1841), die eine Kurzbiographie Sands enthalten. Mit dem anderen literarischen Jubiliar dieses Jahres verbindet ihn nicht nur das gemeinsame Geburtsjahr: Schon vor Hugo erkannte Dumas die Bedeutung des mächtigen Flusses für die deutsche Vorstellungskraft - und wußte sie noch ausdrucksvoller in Worte zu fassen.

"Uns Franzosen fällt es schwer, die tiefe Ehrfurcht zu ermessen, die die Deutschen dem Rhein entgegenbringen", schrieb Dumas. "Er ist ihnen eine Art Schutzgott, der in seinen Wassern nicht nur Karpfen und Lachse beherbergt, sondern auch Nymphen, Seejungfrauen und gute wie böse Geister - Erscheinungen, die die poetische Phantasie bei Tage durch den Schleier seiner blauen Wasser wahrnimmt und bei Nacht mal am Ufer sitzen, mal herumirren sieht. Für die Deutschen ist der Rhein ein universelles Symbol: der Rhein ist Kraft; der Rhein ist Unabhängigkeit; der Rhein ist Freiheit."

Dumas beteiligte sich genausowenig wie Hugo und Nerval an der deutschlandfeindlichen Hysterie, die in der Pariser Literaturszene seiner Zeit in Mode war. Noch bei den offiziellen Feierlichkeiten im heutigen Frankreich kommen jene Literaten zu kurz, die zu Lebzeiten ihre Stimmen gegen Adolphe Thiers (1797-1877), Alfred de Musset (1810-1857) oder Edgar Quinet (1803-1875) erhoben. Deren hetzerische Propaganda mündete 1870 in dem Krieg mit Preußen und vergiftete die Beziehungen zwischen Frankreich und Deutschland auf Generationen hinaus.

 

Bildtext: Alexandre Dumas (l.) im Kreise seiner Zeitgenossen und Freunde: George Sand, Victor Hugo, Nicolo Paganini, Gioacchino Rossini und Marie-Catherine Sophie Comtesse d' Agoult - die Mutter von Cosima Wagner - lauschen dem ungarischen Komponisten Franz Liszt beim Klavierspiel


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