© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de   31-32/02 26. Juli / 02. August 2002


Die Keimzelle wird zersetzt

Das Karlsruher Urteil zur Homo-Ehe trägt zur Zerstörung der Familie bei
Michael Wiesberg

Dies sei "ein Sieg auf ganzer Linie und ein gigantischer Tag für die Schwulen und Lesben in Deutschland", krakeelte der rechtspolitische Sprecher der Bündnisgrünen, Volker Beck, letzte Woche nach dem Urteilsspruch des Bundesverfassungsgerichtes, das die sogenannte Homo-Ehe für verfassungskonform erklärte. Die Bundesvorsitzende der Bündnisgrünen, Claudia Roth, meinte sogar, von einem "Sieg der Demokratie" reden zu können und kündigte an, nicht ruhen zu wollen, bis Homosexuellen auch ein Adoptionsrecht eingeräumt werde.

Unionskanzlerkandidat Edmund Stoiber beeilte sich zu versichern, auch nach einem Wahlsieg der Unionsparteien das Karlsruhe Homo-Ehen-Urteil respektieren zu wollen. Stoiber stellt sich damit ganz in die Linie der "neuen Familienpolitik", die sich die Union auf ihrem kleinen Parteitag Mitte Dezember 1999 in Berlin zurechtgelegt hat. Seitdem gibt es zwischen der Union und ihren rot-grünen Antagonisten im Prinzip nur noch einen Unterschied: nämlich ob gleichgeschlechtlichen Paaren ein Adoptionsrecht eingeräumt werden soll oder nicht. Damit hat die Familie im Deutschen Bundestag praktisch keinen Anwalt mehr.

Es kann deshalb mit Blick auf das Karlsruher Urteil von einem Dammbruch gesprochen werden. Was die Stunde geschlagen hat, konnte an dem Sondervotum abgelesen werden, das zwei Verfassungsrichter, darunter Gerichtspräsident Hans-Jürgen Papier, abgegeben haben. Diese sind der Auffassung, daß der Gesetzgeber nicht befugt sei, unter einem anderen Namen ein der Ehe entsprechendes Institut zu schaffen. Papier kritisierte, das Urteil setze "keinerlei Grenzen für eine substantielle Gleichstellung gleichgeschlechtlicher Partnerschaften mit der Ehe". Genau dies aber, nämlich die "substantielle Gleichstellung", ist das Ziel der rot-grünen "Gesellschaftsreformer".

Rot-Grün wird im Falle einer Wiederwahl die grundgesetzlich verbriefte Privilegierung von Ehe und Familie einer homosexuellen Partnerschaft faktisch gleichzusetzen versuchen. Und wie immer bei derartigen Vorhaben wird ein entsprechender Begriffsnebel erzeugt, mit dem dieser Staatsstreich von oben "sozialkompatibel" kommuniziert wird. Dies fängt schon bei dem Begriff "Homo-Ehe" an. Die Ehe ist im europäischen Raum als eine Lebensgemeinschaft zweier Menschen verschiedenen Geschlechts definiert. Daß der Begriff "Homo-Ehe" nun zu einer Art terminus technicus geworden ist, können die rot-grünen Gesellschaftsveränderer durchaus auf der Habenseite verbuchen.

Mit dem Urteil des Verfassungsgerichts kommt das seit den Tagen von 1968 anhaltende linke Gesellschaftsprojekt "Befreiung von der Familie" so langsam auf die Schlußgerade.

Ein so bedeutendes Institut wie die Familie kann natürlich nicht einfach mit einem Federstrich abgeschafft werden. Deshalb wählten die "Reformer" zwei Wege. Einmal den Weg der begrifflichen Verwässerung. Heute ist für Bündnisgrüne und SPD Familie überall dort, wo Kinder sind. Wenn es vor diesem Hintergrund auch noch gelingen sollte, ein Adoptionsrecht für Homosexuelle durchzusetzen, dann ist schließlich alles Familie und damit nichts mehr Familie. Das Leitbild der Familie, dem in der Verfassung ein "besonderer Schutz" zugebilligt wird, wäre somit hinfällig.

Zum anderen wurde der Weg durch die Instanzen gewählt. Das einmal das vom Parteienproporz völlig entstellte Bundesverfassungsgericht den rot-grünen Gesellschaftsingenieuren hilfreich zur Seite springen würde, wird zukünftige Juristengenerationen mit Sicherheit noch beschäftigen.

Im gleichen Maße, wie das bündnisgrüne Randgruppensujet in den Mittelpunkt des politischen Interesses gerückt worden ist, wird die schleichende Krise der Familie in Deutschland, die immer noch der natürliche Ort der Kinder ist, mit einem auffallenden Phlegma hingenommen - und dies trotz der sich abzeichnenden demographischen Katastrophe, vor der die Deutschen stehen. Dieses Phlegma hat, anders kann es nicht gedeutet werden, ganz offensichtlich System. Schließlich ist die "Multiminoritätengesellschaft", die der Bevölkerungswissenschaftler Herwig Birg den Deutschen für das Jahr 2050 voraussagt, durchaus kompatibel mit den Zielen linker Gesellschaftsreformer. Die Deutschen werden dann nur noch eine Minderheit unter anderen sein. Dies wäre dann kein "Sieg der Demokratie" mehr, wohl aber ein Sieg der Demographie. Bereits Ende Mai 2000 stellte der Bevölkerungswissenschaftler Josef Schmid in einem Artikel fest: "Das Dilemma gewinnt Gestalt: die demographische Entwicklung tendiert rechnerisch zum Verschwinden des Staatsvolks."

Die entscheidende Frage lassen Reformpolitiker wie Roth allerdings unbeantwortet: nämlich wie mit einer multiethnischen Gesellschaft, um noch einmal Josef Schmid zu zitieren, "eine leistungsstarke, arbeitsteilige Gesellschaft aufzubauen wäre, die allein mit den sozialen Kostenbergen fertig" würde. Sagen wir es deutlich: die "Homo-Ehe" genauso wie die multiethnische Gesellschaft sind Teil eines rot-grünen Menschenexperimentes, dessen Folgen heute niemand voraussehen kann.

Das Karlsruher Urteil hat aber auch noch eine andere Facette der Gesellschaftsveränderung von oben offenbar werden lassen. Der Staat wird mehr und mehr in die weltanschauliche Neutralität abgedrängt. Das Urteil suggeriert, daß es den Staat im Prinzip nichts anginge, wie seine Bürger zusammenleben wollen. Und wenn dem so ist, sind auch die Privilegien, mit denen das Ehe-Institut bisher ausgestaltet war, fragwürdig. Der Staat wird damit in eine Nachtwächterrolle abgedrängt. Dem Staat als Protégé der Spaßgesellschaft, auf den die rot-grünen Reformer ihn gerne herunterdestillieren möchten, bleibt einzig die Aufgabe, das Treiben seiner "hochindividualisierten Bürger" möglichst reibungslos zu gestalten.

Private Moralvorstellungen, wie die der Lesben und Schwulen und ihrer ständig gegen angebliche "Diskriminierungen" trommelnden Lobbyisten, verdrängen das öffentliche Interesse bzw. negieren, daß es ein derartiges überhaupt gebe. Kein Wunder, daß Begriffe wie "Bindung" und "Verantwortung", die in Zusammenhang mit der Familie eine zentrale Rolle spielen, aus der veröffentlichten Meinung mehr oder weniger verschwunden sind. Daß die Erfahrungen von "Bindung" und "Verantwortung" in der Familie aber für die Mehrheit der Deutschen nach wie vor prägend sind, zeigt die Tatsache, daß die überwältigende Zahl der Jugendlichen allen Reformen zum Trotz immer noch heiraten und eine Familie gründen will. Es bleibt zu hoffen, daß diese Mehrheit der offensichtlichen Zerstörung der Familie endlich die rote Karte zeigt. Viel Zeit bleibt freilich nicht mehr.


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