© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    31-32/02 26. Juli / 02. August 2002

 
Gefallen im freundlichen Feuer
Bundesregierung: Die Entlassung Rudolf Scharpings offenbart die Nervosität des Kanzlers / Schröder steuert auf politischen Ruhestand zu
Paul Rosen

Rudolf Scharping trug zum Schlu? die Züge einer tragischen Figur. Das private Glück stand im Gegensatz zur politischen Fortune. Knapp 60 Tage vor der Bundestagswahl stürzte der Herr der Bundeswehr ab. Und möglicherweise kippt Kanzler Gerhard Schröder, der mit Scharpings Ablösung einen Befreiungsschlag versuchte, am Wahlabend gleich noch mit. Die SPD hat, das wurde bei der Hauruck-Aktion gegen Scharping deutlich, ihr letztes Aufgebot aufgestellt. Der Wahlsieg des Bayern Edmund Stoiber ist zum Greifen nahe.

Schröder hätte, und das wird ihm als Fehler angerechnet, gegen Scharping viel früher durchgreifen müssen. Die Zahl der Affärchen und Affären war Legion. Lustreisen mit seiner Lebensgefährtin in den Orient sowie das Ausplappern von Aufmarschplänen der westlichen Alliierten auf dem Balkan trübten das Bild eines Mannes, der einmal von sich und nicht zu Unrecht gesagt hatte, er käme durchaus als Kanzler in Betracht, wenn Schröder scheitern würde. Das war nicht einmal übertrieben. 1999 befand sich Schröder in einem absoluten Tief. Die Aufhebung der sozialversicherungsfreien 630-Mark-Jobs, Gesetze gegen Scheinselbständigkeit und Schwarzarbeit machten den Bürgern das Leben zur Qual. An den Tankstellen verteuerte die Ökosteuer den Spritpreis. Wäre Schröder gestürzt, hätte Scharping ohne weiteres die Nachfolge antreten können.

Doch das Blatt wendete sich. Schröders Regierungsstil der "ruhigen Hand" brachte Genossen und Grüne wieder in entsprechend ruhiges Fahrwasser. Die Regierung tat nur noch wenig, was den Bürgern an die Geldbörsen ging. Dafür sorgte Scharping immer stärker für negatives Aufsehen. Unvergessen ist die Flugaffäre von Ende August 2001, als Scharping nach einer Sondersitzung des Bundestages mit einem Regierungsflugzeug zu der angeheirateten Gräfin Pilati nach Mallorca jettete, von dort zu einem Truppenbesuch nach Mazedonien flog und sich wieder nach Mallorca zurückbringen ließ. Kurz zuvor hatte die Bunte Fotos von einem im Schwimmbadpool mit seiner Gräfin plaschenden Verteidigungsminister veröffentlicht. Dies wurde besonders in der Truppe, die mit uraltem Gerät immer mehr Auslandseinsätze stemmen muß, als Affront empfunden. Nachdem er noch über den deutschen Aufmarschweg im Balkan geplaudert hatte, wurde es im September letzten Jahres dann richtig peinlich: Scharping warf in einer Sitzung des Verteidigungsausschusses des Bundestages in Berlin den Briten vor, die deutschen Einsatzkräfte im Balkan zu behindern. Der außenpolitische Affront hätte, da waren sich die Beobachter damals sicher, zum Rücktritt geführt, wenn er nicht ausgerechnet am 11. September stattgefunden hätte. An diesem Tag steuerten Terroristen bekanntlich zwei Flugzeuge in die WTC-Türme in New York. Scharpings Ausrutscher geriet in Vergessenheit.

Die Arbeit des Ministers blieb aber unter Dauerfeuer. Aus der Truppe häuften sich die Berichte über eine unzureichende Ausstattung, und aus dem Ministerium kamen immer neue Hiobsbotschaften, was die Finanzierung der Bundeswehr betrifft. Die nach dem 11. September vorgenommenen Steuererhöhungen brachten nur eine geringe Linderung des Finanzproblems. Bis 2006 fehlen in der Kasse des Verteidigungsministeriums zusammengerechnet 4,6 Milliarden Euro.

Auch der Streit um das neue Transportflugzeug Airbus A 400 M, der Scharping vor das Verfassungsgericht brachte und international lächerlich machte, ist bis heute nicht ausgestanden. Das fast 18 Milliarden Mark teure Flugzeug ist bis heute nicht finanziert. Scharpings Planung sah die Ausgabe ungedeckter Schecks vor: Die Industrie finanziert die Maschinen vor, und erst ab 2009 wollte sich der Minister ans Bezahlen machen, wohl wissend, daß er bis dahin nicht mehr im Amt sein würde. Nun muß er dem Haushaltsausschuß einmal mehr die letzte Airbus-Vorlage liefern. Auch andere Großprojekte, zum Beispiel der neue Schützenpanzer "Panther", den das Heer dringend braucht, sind nicht finanziert.

Die Privatisierungsbemühungen bei der Bundeswehr, im Prinzip von einer vernünftigen Idee ausgehend, scheiterten allesamt. Und die wenigen öffentlichkeitswirksamen Aktionen wie die Übergabe neuer Autos durch eine Fahrzeugmanagement-Gesellschaft sollten nur verdecken, daß die Maßnahmen insgesamt nicht ausgereift sind. Doch Scharping steigerte sich in immer neue Wolkenkuckucksheime hinein, träumte von Milliardeneinsparungen, die seine Kooperation mit der Wirtschaft bringen würde. Die Realität nahm er zum Schluß nicht mehr wahr. "Lieber ein Ende mit Schrecken, als ein Schrecken ohne Ende", rief eine SPD-Abgeordnete auf der Fraktionssitzung, als Schröder das Aus für Scharping verkündete und den bisherigen Fraktionsvorsitzenden Peter Struck als Nachfolger vorstellte.

Das Ziel, Scharping loszuwerden, hatte Schröder schon lange. Es ist feste Regel der Politik und schon in der römischen Geschichte nachzulesen, daß Triumvirate nicht lange halten. Drei SPD-Politiker führten 1998 die Partei in den Wahlsieg gegen Kohl: Da war zunächst Schröder, dann der Saar-Napoleon Oskar Lafontaine und Scharping, der damalige Fraktionsvorsitzende. Alle drei verband als Gemeinsamkeit nur die gegenseitige Abneigung. Lafontaine hielt sich immer für den besseren Kanzler. Als er merkte, daß er Schröder nicht mehr schassen konnte, schmiß der damalige SPD-Vorsitzende alles hin und zog sich aus der Politik zurück. Schröder sagte damals im Kreise von Getreuen über Lafontaine und Scharping: "Den einen habe ich geschafft, den anderen schaffe ich auch noch."

Als Scharping vor Journalisten Gehässigkeiten über Schröder plauderte und sich als besseren Kanzler empfahl, war Schröders Urteil endgültig. Aber so leicht war Scharping nicht wegzukommen. Als stellvertretender Vorsitzender der Partei hatte er eine starke Position. Erst seit dem Parteitag Ende 2001, als die Sozialdemokraten ihren Vorstand neu wählten, bekam Schröder Raum zum Handeln: Scharping stürzte bei der Vorstandswahl wegen massiver öffentlicher Kritik an Amtsführung und privater Darstellung bei den Delegierten auf ein Sympathietief von unter 60 Prozent. Der Kanzler, so hieß es damals, halte Scharping nur, "um jemanden zum Rauswerfen zu haben", falls bei einem der Auslandseinsätze etwas schiefgehe.

Das gab allerdings noch keinen Grund her, den vom Pech verfolgten Verteidigungsminister noch vor der Wahl "rauszuwerfen". Schröder war seit etwa zwei Wochen wieder auf dem aufsteigenden Ast, auch wenn die Wahl selbst aus Sicht von SPD-Berufsoptimisten noch nicht gewonnen ist. Schröder hatte sich voll auf das von der Hartz-Kommission entwickelte Arbeitsmarktkonzept konzentriert, das sein Trumpf-As für die letzte Runde des Spiels gegen Stoiber werden sollte. Dann tappte der Kanzler in die von Stoiber geschickt aufgestellte Telekom-Falle. Millionen von Aktionären fühlen sich von der Regierung mit falschen Versprechungen in die Irre geführt und um ihr Geld betrogen. Der Versuch von Schröders Kanzleramt, Telekom-Chef Ron Sommer durch einen verdienten Genossen zu ersetzen, ging nach hinten los. Schröder saß in der Falle, als offenkundig wurde, daß die SPD Telekom als ihre Verfügungsmasse ansah. Damit hing er in der Verantwortung. Parallel dazu liefen die Kölner SPD-Schmiergeldaffäre und der Korruptionsskandal um den Wuppertaler SPD-Oberbürgermeister Kremendahl (die JF berichtete).

Noch ein Negativ-Thema, diesmal die 140.000 Mark, die Scharping von dem Frankfurter PR-Berater Moritz Hunzinger bekommen hatte, konnte sich der Kanzler nicht mehr leisten. Scharping bekam erst gar nicht die Chance zur Aufklärung des Sachverhalts. Es spielte, und auch das ist in der Politik nicht neu, gar keine Rolle mehr, ob der Verteidigungsminister gegen geltendes Recht verstoßen hatte oder nicht. Scharping, von dem Schröder noch vor Jahresfrist gesagt hatte, "von Rudi lernen heiße siegen lernen", mußte weg, um das Feuer einer weiteren Schmiergeldaffäre auszutreten, ehe es richtig zu brennen begonnen hätte.

Die Aktion gegen Scharping wurde generalstabsmäßig geplant. Zuerst kam ein Beitrag über die Kontakte Hunzingers mit Scharping in der Süddeutschen Zeitung, gut versteckt im Medienteil, der nicht so stark beachtet wird. Die Nachrichtenagenturen gingen nicht darauf ein. Als die SPD-internen Reaktionen nicht für Scharping sprachen, legte der Stern massiv nach. Regierungssprecher Uwe-Karsten Heye goß Öl ins Feuer, als er die Verdächtigungen der Illustrierten nicht als haltlos zurückwies, sondern den Verteidigungsminister zur Aufklärung aufforderte. Das nennt man, um einen Begriff aus der US-Kriegsführung aufzugreifen, "freundliches Feuer": Tödlich ist es trotzdem.

Scharpings Entlassung zeigt, in welcher Panik Schröder sich befindet. Sein letztes Thema, die Hartz-Vorschläge, ist in der Affären-Berichterstattung untergegangen. Personelle Reserven sind nicht mehr da. Die Berufung des Bayern Ludwig Stiegler als Fraktionschef ist eine Notlösung. Es kann sein, daß sich das Triumvirat Schröder, Lafontaine und Scharping bald wieder vereint: im politischen Ruhestand.


 
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