© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    31-32/02 26. Juli / 02. August 2002

 
Politische Hygiene rechts von der Mitte
Schill-Partei: In Berlin wurde das Wahlkampfbüro eröffnet / Unruhe um Thüringer Parteimitglied
Matthias Bäkermann

Berlin - Lindenkorso, Unter den Linden 21, die Adresse des Wahlkampfbüros der Partei Rechtsstaatlicher Offensive könnte für den Bundestagswahlkampf kaum repräsentativer gewählt werden. Am 18. Juli lud die Schill-Partei zur Eröffnung ihrer Zentrale für die nächsten zwei Monate bis zur Bundestagswahl am 22. September ein.

Neben den Vertretern der Berliner Sektion der Schill-Partei waren auch die Listenführer der Bundesländer Schleswig-Holstein, Mecklenburg-Vorpommern, Brandenburg und Sachsen in die Spreemetropole gereist, um sich der geladenen Presse vorzustellen und untereinander erste länderübergreifende Strategien für den Wahlkampf abzustimmen. Der Spitzenkandidat Brandenburgs und Wahlkampfleiter für die neuen Bundesländer, Dirk Weßlau, konnte am 18. Juli, Stichtag für die Eingabe an die Landeswahlleiter, auch gleichzeitig verkünden, daß in 15 der 16 Bundesländer die Aufstellung der Landeslisten trotz der kurzen Vorlaufzeit geglückt ist.

Frust und Verärgerung war den Anwesenden jedoch anzumerken, daß die Aufstellung der Landesliste Sachsen-Anhalt nicht geglückt ist. Dem "Schuldigen", Sachsen-Anhalts Landesvorsitzenden Ulrich Marseille, warfen einige Anwesende Hochverrat vor. Gegenüber der JUNGEN FREIHEIT stellte Dirk Weßlau den Umstand, daß der nach Hamburg zweite Landesverband in Magdeburg sich der Erstellung einer Landesliste verweigerte, als "Unding" dar, welches ihn überrascht hätte. Entgegen vorheriger Absprachen habe Marseille nur kurz vorher den Bundesvorstand darüber aufgeklärt, daß in Sachsen-Anhalt keine Landesliste aufgestellt würde. Die Initiative innerhalb seines Landesverbandes habe er dadurch abgewürgt, daß er die Befürworter mit einem imaginären Wahlkampfbetrag von 2,4 Millionen Euro einschüchterte, die der Landesverband im Falle des Bundestagswahlkampfes aufbringen müßte. Weßlau kündigte ebenso wie der Norbert Frühauf vom Bundesverband aus Hamburg an, daß man "in notwendigen Gesprächen mit Herrn Marseille Erklärungen für sein Handeln erwarte".

Die Sprecherin der Berliner Gründungskommission, Anke Soltkahn, lud die anwesenden Listenführer ein, kurz über den aktuellen Stand in den jeweiligen Bundesländern zu referieren. Dabei glitt die Vorstellung teilweise in eine programmatische Diskussion ab. Der Listenführer der Schill-Partei in Schleswig-Holstein, Dieter Schreck, berichtete über die Erwartungen, die man in Schleswig-Holstein bei der Bundestagswahl habe. "Über zwanzig Prozent ist durchaus realistisch", urteilte Schreck, dessen Landesverband sich offiziell am 23. August konstituieren wird. Das Hamburger Bürgerschaftsmitglied Bodo Theodor Adolphi, Landeskoordinator in Schleswig-Holstein und Niedersachsen, pflichtete Schreck bei, daß die euphorische Stimmung, die seit dem Beschlußparteitag herrsche, den nördlichsten Landesverband zu diesem Ergebnis ohne weiteres beflügeln könnte. Gleichzeitig kündigte Adolphi die Gründung des Landesverbandes Niedersachsen für den 17. August an.

In der programmatischen Ausrichtung für die Bundestagswahl konnten die Anwesenden sich in wesentlichen Punkten auf Gemeinsamkeiten einigen. Mittelstandspolitik, Arbeitsmarkt- und Bildungspolitik waren einige der Punkte, die man zur Lösung der Probleme insbesondere in den neuen Bundesländern ins Auge fassen wollte. Die Aussage eines Mitgliedes der Berliner Schill-Partei, "wir sind die Partei der wahren Mitte" blieb nicht unwidersprochen. Weßlau stellte eindeutig fest, wo er seine Partei positioniert: "Wir sind die Partei rechts von der Mitte." Der Frage seitens der Pressevertreter, ob sich die Schill-Partei, ähnlich wie im Hamburger Wahlkampf, in einem bestimmten Thema wie Innere Sicherheit oder Zuwanderung profilieren wolle, wurde einmütig entgegnet, daß man keinesfalls ein bestimmtes Nischenthema besetzen wolle. Trotzdem sei die Innere Sicherheit und die Zuwanderungsfrage ein Kernthema des Wahlkampfes.

Die Listenführer in Mecklenburg-Vorpommern wiesen darauf hin, daß man es in ihrem Bundesland bei der gleichzeitig stattfindenden Landtagswahl auch auf das Protestwählerpotential der PDS abgesehen hätte. "Diese Menschen wählen nicht PDS, weil sie Kommunisten sind, sondern weil sie gegen die Vernachlässigung der 'Westparteien' demonstrieren", sagte der Listenerste Harald Urban aus Mirow. Durch die Zusammensetzung des Landesverbandes mit Mecklenburgern und Pommern könne man diese Interessenvertretung glaubhaft machen.

Auf die jüngsten Irritationen im Landesverband Thüringen gingen die Anwesenden nicht ein. Dort steht nach Berichten in verschiedenen Tageszeitungen über seine vorherige Mitgliedschaft in der Freiheitlichen Deutschen Volkspartei (FDVP) der Landeslistenzweite Günter Steinert unter Beschuß. Laut NDR habe der Sprecher der Schill-Partei in Hamburg, Marc März, einen Rücktritt von der Landesliste befürwortet. "Wir würden einen Mandatsverzicht von Herrn Steinert im Interesse der politischen Hygiene begrüßen", sagte März. Auch juristische Schritte würden geprüft.

Dabei sei, wie März gegenüber dem NDR eingestand, die Mitgliedschaft Steinerts in der FDVP von Anfang an bekannt gewesen. "Die FDVP sei den zuständigen Gremien in der Partei Rechtsstaatlicher Offensive nicht bekannt gewesen", entschuldigte März. Dabei war die FDVP bis zur letzten Landtagswahl in Sachsen-Anhalt als Fraktion im Magdeburger Parlament vertreten. Die von einigen DVU-Mandatsträgern gegründete Abspaltung blieb jedoch ein regionales Phänomen in Sachsen-Anhalt.

Gegenüber der JUNGEN FREIHEIT sagte Steinert, er sei im Juli 2000 auf die Partei gestoßen, die sich damals in Thüringen formierte. "Ich fand Interesse an dieser Gruppe, die sich programmatisch der CSU zuordnete, von den Inhalten der DVU hatte ich keine Ahnung. Es war schließlich eine ganz neue Partei." Der nur aus wenigen Mitgliedern bestehende Thüringer Landesverband lief sich jedoch schon nach wenigen Monaten tot. "Wir hatten bestenfalls zwanzig Mitglieder", resümierte Steinert.

Trotzdem wurde diese unbedeutende Sektion vom Thüringer Verfassungsschutz beobachtet - im Gegensatz zu dem weitaus größeren Landesverband in Sachsen-Anhalt, der sogar Sitze im Landesparlament hatte. Nach einem halben Jahr sei Steinert wieder aus der Partei ausgetreten. Den Vorwürfen steht der Rechtsanwalt, dem 1987 wegen mangelnder Übereinstimmung mit Zielen der Deutschen Demokratischen Republik die Konzession entzogen wurde, gelassen gegenüber. "Meine Unterlagen werden vom Bundesverband geprüft. Außer eines einzigen Aufrufes 'Gegen Gewalt und Rassismus und für Recht und Ordnung' ist der damalige Landesverband gar nicht aktiv geworden - und das kann nun beim besten Willen nicht als rechtsextremistisch gedeutet werden.


 
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