© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    31-32/02 26. Juli / 02. August 2002

 
Vorgeschmack auf den Kampf der Zivilisationen
Spanien: Der Streit um die Petersilien-Insel scheint nach der Vermittlung durch die USA vorerst beigelegt / Ungelöste Probleme bleiben
Carlos E. Izquierda

Letzten Montag haben die Außenminister von Spanien und Marokko erste Gespräche über die umstrittene Felseninsel Perejil aufgenommen. Das Treffen in der marokkanischen Hauptstadt Rabat war möglich geworden, nachdem Spanien unter Vermittlung der USA einem Rückzug seiner Truppen von der Petersilien-Insel zugestimmt hatte. Laut US-Außenministerium habe man sich darauf geeinigt, auf dem Eiland den Zustand wiederherzustellen, der vor der Besetzung durch Marokko bestanden hatte. Nach dieser Einigung zog Spanien am Samstagabend seine 75 Legionäre von der Insel ab und flog sie per Helikopter in die spanische Enklave Ceuta.

Nach Besetzung der Petersilien-Insel durch marokkanische Soldaten am 11. Juli bereitete das Madrider Verteidigungsministerium sofort die Rückeroberung von Perejil vor. Es wurde zwar zunächst versucht, die Krise auf diplomatischem Wege zu bewältigen; doch nach dem die neue Außenministerin, Ana Palacio, die Gespräche mit ihrem marokkanischen Kollegen Mohammed Benaissa für gescheitert erklärte und sich die spanische Regierung die Unterstützung der wichtigsten EU-Mitgliedsstaaten, der Uno, der Nato und der USA sicherte, gab Premier José María Aznar grünes Licht für den Blitzangriff auf die marokkanischen Inselbesetzer.

Kurz zuvor wurde der spanische Botschafter in Rabat abberufen, um nicht als Geisel festgehalten werden zu können. 28 Soldaten der Eliteeinheit "boinas verdes! (grüne Baretts) machten sich dann in den frühen Morgenstunden, per Hubschrauber auf den Weg zum Eiland. Zuvor hatten sie die Militäroperation auf einer ähnlichen Insel in der Nähe von Alicante mehrfach erprobt. Die sechs marokkanischen Soldaten konnten im Schlaf überrascht und alle unverletzt festgenommen werden.

Später wurden sie bei der spanischen Exklave Ceuta den marokkanischen Grenzbeamten übergeben. Als das Einsatzkommando die spanische Fahne auf dem Eiland ohne Blutvergießen hißte, ließ sich der überglückliche Verteidigungsminister Federico Trillo-Figueroa per Funk zum patriotischen Schlachtruf "Viva España" hinreißen.

Daß die Rückeroberung der kleinen Insel so gut gelang, war jedoch keine Überraschung. Spanien spielte seine volle Militärüberlegenheit aus: Zwei Flugzeugträger, zwei Korvetten und ein U-Boot sowie mehrere Kampfflugzeuge vom Typ F-18 und Hubschrauber sicherten die Operation ab. Auch waren die sechs marokkanischen Soldaten weder in Ausrüstung noch in Ausbildung mit ihren spanischen Kontrahenten ebenbürtig.

Die englische Presse macht sich deshalb ein wenig lustig über das ungleiche Scharmützel und die morgenländische Übertreibung beider Parteien. In Anspielung auf die nur von Ziegen besiedelte Insel titelte der Daily Telegraph nicht frei von Ironie: "Jetzt gehören die Ziegen wieder zu Spanien".

Der 12 Kilometer westlich der spanischen Exklave Ceuta und 200 Meter von der marokkanischen Mittelmeerküste entfernte Felsen, war 1668 von Portugal an Spanien übertragen worden. 1808 richtete die spanische Armee auf dem 150.000 Quadratmeter großen und bis zu 74 Meter hohen Eiland einen Militärposten ein, um den Schiffsverkehr in der Meerenge von Gibraltar zu überwachen. Als sich Madrid und Paris während der Kolonialzeit 1912 auf die Grenzen des spanischen Protektorats in Marokko einigten, wurde die Insel in dem Abkommen nicht erwähnt. Sie taucht auch nicht in dem Autonomiestatut Ceutas von 1995 auf.

Marokko rechnet die Insel somit zu seinem Territorium, da sie in seinen Hoheitsgewässern liegt und nennt sie nicht Perejil, sondern Leila. Ob das Eiland wirklich zu Spanien gehört oder bei der Räumung des Marokko-Protektorats vergessen wurde, ist im Grunde zweitrangig. Marokkos Blick ist auf die Exklaven Ceuta und Melilla gerichtet; dies ist der eigentliche Dorn im Auge der Nordafrikaner.

So haben marokkanische Islamisten bereits zu einem "Volksmarsch" zur "Befreiung" der spanischen Exklaven Ceuta und Melilla wie auch der vor Marokkos Küste liegenden Zaffarinen-Inseln aufgerufen. Die islamistische "Gerechtigkeits- und Entwicklungspartei" forderte am Donnerstag alle politischen und gesellschaftlichen Kräfte auf, "sich unter Benützung aller verfügbaren Mittel zur Verteidigung der marokkanischen Souveränität zu mobilisieren". Außerdem solle die Regierung in Rabat "alle Beziehungen, sowohl politische als auch wirtschaftliche" mit Spanien kappen, so ihr Parteiführer Abdelkrim Jatib. Der Konflikt zwischen den nur durch die Meerenge von Gibraltar getrennten Mittelmeerstaaten hat tiefe Wurzeln.

Sie reichen zurück bis ins Mittelalter, als die Mauren weite Teile der Iberischen Halbinseln eroberten und die christlichen Könige jahrzehntelang gegen die Invasoren kämpften. Aus der Zeit stammt auch das Heldenepos "El Cid" eine Art Mischung aus Nibelungenlied und "Prinz Eugen"-Erzählung. In Anlehnung an diese Überlieferungen werden die Nordafrikaner im spanischen Volksmund ein wenig abschätzig als "moros" bezeichnet.

Die Zwietracht ist auch vor dem Hintergrund des seit über einem Vierteljahrhundert andauernden Westsahara-Konflikts zu sehen, zu dem in Kürze eine Entscheidung des UN-Sicherheitsrates fällig ist. Marokko, das die Westsahara besetzt hält, verübelt der ehemaligen Kolonialmacht Spanien das Festhalten am Prinzip eines Selbstbestimmungs-Referendums und der wenig diskreten Unterstützung der sogenannten Polisario-Befreiungsfront. An der fischreichen Küste der Westsahara tauchen auch sehr zum Ärgernis der marokkanischen Regierung immer wieder spanische Fischerboote auf.

Unterdessen rächt sich Marokko für die zurückliegende Schmach, indem es kaum Anstalten macht, den Zuzug von jährlich schätzungsweise hunderttausend illegalen Einwanderern nach Spanien zu unterbinden. Täglich starten unzählige Boote mit Immigranten aus ganz Afrika unbehelligt vom marokkanischen Ufer, um über die Wasserstraße ins gelobte Land Europa zu gelangen. Auch der Haschischschmuggel wird fast allein von der spanischen Guardia Civil ohne Hilfe der marokkanischen Behörden bekämpft.

Laut der spanischen Außenministerin Palacios soll der Status quo der Besetzung durch Marokko vor dem 11. Juli so schnell wie möglich wieder hergestellt werden. Marokko scheint nunmehr kleinlaut einzuwilligen und versprach zuletzt die Insel nicht wieder zu besetzen, wenn die spanischen Legionäre wieder abziehen sollten.

Es ist offensichtlich, daß es in der arabischen Welt schon lange brodelt. Die spanische Militäraktion dürfte als erneute Demütigung durch das christliche Abendland empfunden werden. Um den sich immer stärker abzeichnenden Kampf der Zivilisationen nicht noch mehr anzuheizen, wäre mehr Fingerspitzengefühl und weniger Säbelrasseln zu wünschen - von beiden Seiten.


 
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