© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    31-32/02 26. Juli / 02. August 2002

 
Profile der Gegnerforschung
Joachim Lerchenmüller über Historiker im politischen Einsatz des Sicherheitsdienstes der SS (SD)
Joachim Trampe

Im allgemeinen reserviert historische Erinnerung für den Sicherheitsdienst der SS (SD) vage einen Platz im NS-Terrorsystem. Die Teilnahme von SD-Angehörigen an Aktionen der SS-Einsatzgruppen im Rücken der Ostfront einerseits, die propagandistische "Manipulation der Massen" dienende demoskopische Erforschung der "Stimmungslage" andereseits, dokumentiert in den "Meldungen aus dem Reich", bestimmen bis heute das Bild vom SD als eine Art "NS-Stasi". Da wirkt es wie eine Ironie der Geschichte, daß ausgerechnet das Ende der DDR und die Öffnung der Archive des Ministeriums für Staatssicherheit mit ihren reichen Beständen aus SD-Überlieferung Zeithistorikern neue Einsichten in Organisations- und Personalstruktur dieses "Apparates" bescherten. Der Tübinger Keltologe Joachim Lerchenmüller, seit langem auf der Spur von SD-Wissenschaftlern, hat die Editio einer 1938 von Hermann Löffler verfaßten Denkschrift über "Entwicklung und Aufgaben der Geschichtswissenschaft in Deutschland" genutzt, um sich genauer mit dieser intellektuellen NS-Avantgarde zu beschäftigen. Seine "Einführung", doppelt so lang wie Löfflers Text, spannt den Bogen von der Gründungsgeschichte als Inlandsgeheimdienst der NSDAP über die Rekrutierung junger Akademiker zum Zweck der "Gegnerforschung" bis zu den seit 1938 Kontur gewinnenden Versuchen, an den Universitäten Fuß zu fassen und primär die Geisteswissenschaften rassenideologisch umzubauen. Ein Unternehmen, das trotz ansehnlicher Zahl von Habilitationen und Dissertationen mißlang: Im Sinne wissenschaftlicher Relevanz sei der SD-Versuch, neue Forschungsschwerpunkte zu setzen als "insignifikant" einzustufen.

Diese Darstellung ist vor allem als biographische Fundgrube zu nutzen, die jedoch viel von dem widerholt, was Lerchenmüller mit seinem Ko-Autor Gerd Simon im Zuge der "Schneider/Schwerte-Affäre"(1995) über SD-Germanisten publiziert hat. Wirklich neu ist dabei lediglich, was uns über das Nachkriegsschicksal Löfflers mitgeteilt wird, das Lerchenmüller einbindet in die "Restauration" der Adenauer-Ära, die der NS-Elite vorzügliche Gelegenheiten zur "Wiedereingliederung" geboten habe. Viel Raum gibt er dabei der Frühgeschichte der Wissenschaftlichen Buchgesellschaft (WB) durch Löfflers Kameraden Ernst Anrich. Wie der Spiegel hat also auch die Darmstädter WB, deren Literaturprogramm heute den Plan politischer Korrektheit übererfüllt, eine SD-Vergangenheit, die man 1999 zum 50. Jubiläum sorgsam verschwieg. Wer Lerchenmüllers frühere, von wildem Moralismus zeugenden Publikationen kennt, wird jetzt über die zurückhaltende Art seiner Beurteilung solch "deutscher Kontinuitäten" angenehm überrascht sein: Da es bei Löffler, Anrich, Schneider/Schwerte stets um Einzelbiographien gehe, scheine es unmöglich, "zu allgemein akzeptierten Schlußfolgerungen" über die "Lernfähigkeit" jener zu gelangen, die sich von "überzeugten Nationalsozialisten" zu "aufrechten Demokraten" gewandelt hätten.

Leider widmet Lerchenmüller, ganz im Biographismus seiner "Personalprofile" versinkend, den alternativen inhaltlich-methodischen Akzenten, die die SD-Historiker unter der Dominanz der aus ihrer Sicht "reaktionären" konservativen Nationalgeschichtsschreibung setzen wollten, zu wenig Aufmerksamkeit. Das Besondere, so erklärt er dieses Manko, für die Wissenschaftsgeschichte des Dritten Reiches sei schließlich der rasche Übergang von der Theorie zu Praxis, von der Identifizierung gesellschaftlicher und ethischer "Gegner" zu deren "physischer Vernichtung". Folglich vergleicht Lerchenmüller keine Geschichtideologen, sondern konzentriert sich kosequent auf die "Täterrolle", die seine Probanden im NS-Vernichtungsapparat gespielt hatten, so daß er sich trotz aktenkundiger Differenzierungen leider wieder dem eingangs erwähnten SD-Klischee annähert.

Joachim Lerchenmüller: Die Geschichtswissenschaft in den Planungen des Sicherheitsdienstes der SS. Der SD-Historiker Hermann Löffler und seine Gedenkschrift "Entwicklung und Aufgaben der Geschichtswissenschaften in Deutschland". Verlag J.H.W. Dietz Nachf., Bonn 2001, 320 Seiten, 34,80 Euro.


 
Versenden
  Ausdrucken Probeabo bestellen