© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    31-32/02 26. Juli / 02. August 2002


Deutsche Presselandschaft: Wirtschaftliche Flaute sorgt für neue Übersichtlichkeit
Die Party ist zu Ende
Ronald Gläser

Wie schön waren doch die neunziger Jahre für Journalisten. Wer als Freier Mitarbeiter für verschiedene Zeitungen arbeitete, konnte beim Klingeln des Telefons gespannt auf neue Aufträge sein. Und wer mit einem festen Vertrag und 13. Monatsgehalt ausgestattet war, konnte beim Klingeln des Telefons auf den Anruf des Spiegels hoffen: "Hätten Sie nicht Lust, Ihren Arbeitsgeber zu wechseln...?"

Heute platzen täglich Karriereträume. Nichts ist es mit der Luxuskarosse als Dienstfahrzeug, nichts mit den Privilegien, mit denen man in der Branche einst um sich warf. Als "Neuredakteur" der großen Tageszeitungen steht nicht mehr die Größe des Dienstwagens vom Arbeitgeber im Blickfeld - man bangt darum, die Probezeit zu überstehen. Zwar leben wir in der Informationsgesellschaft, aber die Nachrichtenbranche taumelt von Horrormeldung zu Horrormeldung. Vorerst letzter Akt im Drama "Niedergang der deutschen Presselandschaft": Der Spiegel, so heißt es, plane betriebsbedingte Kündigungen.

Besonders im Zeitungswald Berlins vollzieht sich, was Eingeweihte als "Hauptstadt-Blues" bezeichnen. Letztes Jahr erfolgte der erste Hammerschlag für die Leser der alteingesessenen Berliner Morgenpost. Der Springer-Vorstand entschied, Die Welt mit der Berliner Morgenpost zu fusionieren. In Wirklichkeit wird jetzt unter zwei Labels dasselbe Produkt vermarktet. Vor allem die Redaktionsangehörigen der Morgenpost wurden vor die Tür gesetzt. Eine gemeinsame Redaktion schreibt die Beiträge für zwei Zeitungen. Inhaltliche Vielfalt kann dieses Modell natürlich nicht sicherstellen. Das Sterben der Morgenpost erfolgte in Raten. Erst wurde der Lokalanzeiger reduziert. Er erschien nur noch an zwei Wochentagen. Betriebswirtschaftliche Logik ermöglichte das, was Kaufleute gerne als Personalfreisetzung bezeichnen. Inzwischen ist der Lokalanzeiger gänzlich eingestellt worden. Dieser Coup stammt von Springer-Chef Matthias Döpfner. Dem wird hämisch nachgesagt, daß er Garant für den Mißerfolg einer Zeitung sei. Dennoch gibt er die Richtung beim Springer Verlag vor. Und sein Modell der "Fusion" (das heißt "Einstellung ohne Abschaffung der etablierten Marke") könnte Vorbildcharakter haben. Diese These untermauern nicht zuletzt zustimmende Kommentare anderer Zeitungen, von denen eigentlich hämische Kritik zu erwarten gewesen wäre.

Dann kam völlig überraschend das Aus für die Woche. Erfolgreich Preise einheimsend, sogar als inoffizielles Regierungsblatt bezeichnet, standen mehr als 100 Redakteure über Nacht auf der Straße. Da nützte selbst die trotzige Internet-Seite www.diewochelebt.de  nichts. Schluß. Aus. Ende. Wieder standen dem Arbeitsmarkt freie Kräfte zur Verfügung. Der Rheinische Merkur erstand im Ausverkauf die Adressen der Abonnenten - auch eine Art von "Fu-sion" im Zeitungsgeschäft.

Letzten Monat erwarb der Holtzbrinck-Verlag die Berliner Zeitung. Das Blatt ist linksliberalen Lesern das OstBerliner Pendant zum West-Berliner Tagesspiegel. Und der gehört ebenfalls dem Holtzbrinck-Verlag. Zwar dementiert der Verlag die Absicht, die Berliner Zeitung einzustellen, aber mit jedem Dementi sinkt die Glaubwürdigkeit.

Die Paarung von Tagesspiegel und Berliner Zeitung offenbart Mut zur Häßlichkeit. Westliche Politische Korrektheit verschmilzt mit östlichem Kiezprovinzialismus. Ob Lichtenberger PDS-Wähler im Trainingsanzug gleichzeitig mit Steglitzer GEW-Funktionären als Kunden befriedigt werden können, muß sich noch zeigen.

Auch in diesem Fall wird ein Mosaikstück aus der reichhaltigen Medienlandschaft entfernt. Von der taz einmal abgesehen, hat jetzt nur noch die Berliner-Morgenpost-Die-Welt-Symbiose einen Berliner Veranstaltungskalender. Die Süddeutsche und die FAZ haben ihre Berlin-Seiten längst beerdigt. Dabei bot die SZ wirklich eine interessante Sichtweise von Berlin. Zitat: "1000 Gründe für Berlin: Weil man abends durch die Karl-Marx-Straße in Neukölln fahren kann und einen Mann sieht, der wie selbstverständlich auf den Bürgersteig kotet." Neben der neuen Marktkonzentration ist ein weiterer Trend im Kommen. Tageszeitungen beschränken sich wieder auf das Wesentliche. Vor kurzem wurde noch vom Ende der Wochenzeitung gesprochen. Weil der Inhalt der Tagespresse immer reichhaltiger wurde, verlören Spiegel, Zeit & Co. ihre Daseinsberechtigung, so hybride Tageszeitungsmacher.

Jetzt aber stirbt eine Beilage nach der anderen. Das Magazin und Bilder und Zeiten der FAZ machten den Anfang. Am vergangenen Montag erschien letztmalig die SZ-Jugendbeilage Jetzt. Die gerade mal neunjährige Beilage der Münchener Tageszeitung, die den Alltag der 15 bis 25jährigen darstellen wollte, muß sich vollständig einsparen. Sie tut dies in der letzten Ausgabe mit 3.657 Gründen, warum es sich trotzdem lohnt, zu leben. Galgenhumor? Oder wollte die Redaktion wenigstens stilvoll untergehen? "Für immer und Dich" sagte man den Lesern der Beilage noch online, Schuster bleib bei deinem Leisten die Leitung der Süddeutschen Zeitung. Und ihren Redakteuren riet man zum Abschied vermutlich zur Rückkehr in die Redaktion einer Schülerzeitung. Enttäuschte Leser mobilisierten sogar eine Protestveranstaltung in München.

In einem Interview mit dem Tagesspiegel erklärte Werner Funk des Gruner & Jahr Vorstands, die Zeitungen müßten zur Glaubwürdigkeit zurückkehren. Sie hätten zu sehr unter Selbstüberschätzung gelitten. Eine Frage nach den Hoffnungsträgern der Branche beantwortete der Berater mit folgenden drei Presseorganen: Der Spiegel, die FAZ und die Süddeutsche Zeitung. Das sind jene drei Zeitschriften, die besonders schlecht dastehen. Die rosigen Zeiten für angehende Journalisten sind wohl unwiderruflich vorbei.


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