© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    33/02 09. August 2002

 
Ein Lückenbüßer auf dem Schleudersitz
Berlin: Der Fraktionsvorsitzende der PDS, Harald Wolf, ist für die ruinöse Wirtschaft der Hauptstadt kein Hoffnungsträger
Roland Gläser

Der Berg kreißte und gebar eine Maus - so könnte man die Wahl des neuen Berliner Wirtschaftssenators beschreiben. Der westdeutsche Altlinke Harald Wolf wird Nachfolger Gregor Gysis. Ein studierter Politologe soll nun richten, was keinem seiner Vorgänger gelang.

Die Berliner Wirtschaft ist in einer desolaten Lage. In München und Hamburg steigen Mieten für Wohnraum und Gewerberäume stetig. Nicht so in der Bundeshauptstadt: Eine Firmenpleite jagt die nächste, der Leerstand an Gewerberäumen erreicht Rekordniveau. Das Berliner Handwerk klagt über Einbrüche bei den Auftragseingängen, während die Schattenwirtschaft explodiert. Und selbst der Sommerschlußverkauf besserte die Kassen des Einzelhandels nur unmerklich auf.

Diese anhaltende Schwächephase machte das Amt des Wirtschaftssenators an der Spree zum Schleudersitz. In keinem Ressort gaben sich so viele Amtsinhaber die Klinke in die Hand. Wolf ist der vierte Wirtschaftssenator in circa einem Jahr. Der Vorgänger aus der Großen Koalition, Wolfgang Branoner (CDU), mußte infolge des Anti-Diepgen-Putsches im Juni 2001 seinem Amt entsagen. Die kurzzeitige SPD-Vorgängerin Gysis aus der schnell scheiternden rot-grünen Koalition, Juliane Freifrau von Friesen, machte Schlagzeilen, weil sie beim juristischen Staatsexamen geschummelt haben soll. Gysi selbst schied wohl aus einer Mischung aus Ernüchterung und Bonusmeilen-Scham aus dem Senat aus.

Für die PDS bedeutete der Rückzug Gysis ein Desaster, wenngleich die Genossen dies ausdrücklich leugneten. Die Partei setzte in Windeseile eine "Findungskommission" ein. Die Kommunisten legten großen Wert darauf, einen geeigneten Kandidaten zu finden. Der neue Mann sollte sich vor allem durch Sachverstand auszeichnen. Parteipolitische Verdienste, so hieß es aus PDS-Kreisen, sollten keine Rolle bei der Personalauswahl spielen.

Vier Wochen Zeit wollten sich die SED-Nachfolger maximal lassen. Dann machten den Genossen aber Wirtschaftsvertreter einen Strich durch die Rechnung. Von der IHK bis zum Bund der Selbständigen bombardierten sie die PDS-Spitze mit Vor- und Ratschlägen. Ein Vertreter des Unternehmerverbandes verlangte sogar ausdrücklich, daß kein PDS-Mann mehr auf den Posten gelangen dürfe. "Man kann auch ohne unser Parteibuch zu haben kompetent sein und etwas vom Geschäft verstehen," gab PDS-Fraktionschef Harald Wolf kleinlaut bei. 72 Stunden später wurde er dann allerdings als Verlegenheitslösung präsentiert. Wolfs Posten an der Fraktionsspitze wird voraussichtlich der 29jährige Stefan Liebich einnehmen, der seit Ende letzten Jahres Landesvorsitzender der Berliner PDS ist.

Harald Wolf kommt aus Offenbach und ging 1977 nach Berlin, um Politologie zu studieren. Er durchlief die typische Karriere eines Politologen: Student, Hilfskraft, Wissenschaftlicher Mitarbeiter. Politisch stand er immer im linken bis linksradikalen Lager, was sich durch seine Wirken in den achtziger Jahren in verschiedenen "antifaschistischen" Splittergruppen festmachen läßt. Danach engagierte Wolf sich bei der Alternativen Liste, die er 1990 verließ. Im Jahr der Wiedervereinigung kehrte er den Alternativen den Rücken, weil diese sich zu sehr von ihren utopischen Idealen entfernt hatten.

Wolf ist ein Unikum, weil er zu den wenigen westdeutschen Altlinken gehört, die im Osten bei der PDS Karriere machen. Innerhalb der SED-Nachfolgepartei konnte Wolf ganz unvoreingenommen die Profilierung einer linken Partei fordern, die sich ihres historischen Ballastes entledigen sollte. Ehemalige Stasi-Mitarbeiter fanden bei ihm keine Gnade. Falls diese nicht gewillt seien, vor der Wahl in ein Amt ihre Tätigkeit offenzulegen, sollten sie zum Rücktritt aufgefordert werden. In Windeseile stieg der spröde Taktiker aus Westdeutschland bei den gewendeten Kommunisten zum Fraktionsvorsitzenden auf.

Der Regierende Bürgermeister Klaus Wowereit verdankt dem machtpolitischen Ehrgeiz Wolfs seinen raschen Aufstieg. Wolf war es, der 2001 das Bündnis mit den Grünen und der SPD zum Sturz des Diepgen-Senats anleierte. Seine alten Kontakte dürften ihm dabei behilflich gewesen sein. Die rot-rote Senatsbildung geht zu einem großen Teil auf das Konto des 45jährigen. Seitens des Regierenden Bürgermeisters wird ihm dies durch große Vorschußlorbeeren vergolten. Er sei "eine gute Wahl für Berlin. Er kennt sich in der Stadt aus und ist hochseriös", lobte der Sprecher von Klaus Wowereit.

Ob er mit seiner Ressortverantwortung genauso erfolgreich ist wie als Machtpolitiker, wird sich zeigen. Nicht nur bei Unternehmern machen sich Ängste breit. Selbst die Gewerkschaft Verdi sprach von einer unglücklichen Entscheidung. Sogar beim Koalitionspartner SPD gab es Enttäuschung über den Lückenbüßer Harald Wolf. Vertreter der SPD-Linken bemängelten, daß Wolf mitverantwortlich für die Risikoübernahme der ruinösen Geschäfte der Bankgesellschaft sei. Die Fraktionsvorsitzende der Grünen, Sibyll Klotz, hält Wolf als Wirtschaftssenator für eine klassische Fehlbesetzung. Seine Nominierung zeige, wie extrem dünn die Personaldecke der PDS wirklich sei.

Als Wahlkämpfer hatte es der Westdeutsche Wolf leicht, mehr Umverteilung zu verlangen. In Berlin leben rund 600.000 Sozialhilfeempfänger. Sogar in den Hochburgen der PDS in Ostberlin wird er geschätzt. In seinem Wahlkreis in Lichtenberg erhielt er Ergebnisse jenseits der 40-Prozent-Marke. Seit einem Jahr gibt er sich zunehmend staatsmännisch. Den Dreitagebart hat Wolf abgelegt. Statt dessen tritt er im Dreiteiler auf und präsentiert seinen haushaltspolitischen Sachverstand in Talkshows und Zeitungsinterviews.

Trotzdem ist er ein Mann, der "nicht die Sprache der Wirtschaft spricht", wie es aus Unternehmerkreisen heißt. Im Resultat wird Wolf eine Notlösung bleiben - als Lückenbüßer für seinen schillernden Parteigenossen Gregor Gysi. Dabei verdankt er den Posten seinen parteipolitischen Verdiensten, weniger seiner nachgewiesenen Kompetenz.


 
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