© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    33/02 09. August 2002

 
Regierung im Sommerloch
Parteien: Sechs Wochen vor der Bundestagswahl schadet die Bonusmeilen-Affäre vor allem der rot-grünen Koalition
Paul Rosen

Ein Paar Bonusmeilen versetzen die Republik in Aufruhr. Erst verließ der Vorzeige-Grüne Cem Özdemir, der "anatolische Schwabe" die politische Bühne, dann der PDS-Star und Berliner Wirtschaftssenator Gregor Gysi. Wenn das so weitergeht, verliert der Bundestag nach der Neuwahl eine Reihe von Mitgliedern. Und das alles wegen einiger Rabatt-Gutschriften der Lufthansa. Dabei ist die Dimension des Bonusmeilen-Skandals durchaus größer. Sie zeigt pars pro toto, daß viele Abgeordnete im Ausnutzen ihrer Privilegien unersättlich sind. Wo ein Vorteil zu ergattern ist, sind die Volksvertreter zur Stelle - ganz unabhängig vom Parteibuch.

Unverdientermaßen trifft es diejenigen Abgeordneten mit, die sich nichts zuschulden kommen ließen und ganz brav ihre privaten Meilen von den dienstlichen getrennt haben. Den größten Schaden dürften allerdings die Grünen davontragen. Ihr Sündenregister ist lang: In Verdacht der unerlaubten Meilen-Nutzung gerieten neben Özdemir der Staatsminister im Auswärtigen Amt, Ludger Volmer, Umweltminister Jürgen Trittin und schließlich auch noch der Fraktionsvorsitzende Rezzo Schlauch, der sich einen Flug nach Thailand im Wert von 7.000 Euro über Bonusmeilen holte. Während Volmer und Trittin den Mißbrauch der Meilen bestreiten und zu widerlegen suchen, half bei Schlauch nichts mehr: Er versuchte, nachdem Özdemir in die Falle geraten war, die Flucht nach vorn und wollte der Lufthansa das Urlaubsticket bezahlen. Die Gesellschaft lehnte ab, Schlauch mußte den Mißbrauch einräumen und zahlte den Betrag auf das von Bundespräsident Wolfgang Thierse (SPD) eingerichtete "Sünderkonto" ein.

Die grüne Haushaltsexperte Oswald Metzger, der nicht wieder in den Bundestag zurückkehrt, war einer der ganz wenigen Vertreter der einstigen Protestpartei, der die Dinge auf den Punkt brachte: Die Grünen hätten durch die Freiflug-Affäre ihre Unschuld verloren, und das würden sie bei den Wahlen zu spüren bekommen. Die Gutmenschen-Rolle nehme ihnen keiner mehr ab. "Wenn es um Einfluß und gut bezahlte Jobs geht, werden auch grüne Politiker zu Hyänen", sagte Metzger.

Derweil hat der nach der Antisemitismus-Debatte zunächst in der politischen Versenkung verschwundene nordrhein-westfälische FDP-Vorsitzende Jürgen Möllemann einen weitergehenden Eindruck: Möllemann sprach bei seinem ersten Presseauftritt nach langer Zeit von einer Rückkehr zum Drei-Parteien-System - mit einer starken FDP versteht sich. Der Liberale rechnet offenbar damit, daß Grüne und PDS nach dem Schaden, dem sie im Zuge der Bonusmeilen-Affäre genommen haben, die Fünf-Prozent-Hürde nicht mehr schaffen werden.

Bei den Grünen wird die Lage brenzlig

Für die Annahme des westfälischen FDP-Strategen spricht einiges, auch wenn es im August noch zu früh ist, endgültige Festlegungen für den Wahlausgang im September treffen zu wollen. Doch hat die PDS mit dem schon lange arbeitsunwilligen Gysi endgültig ihren Star verloren, der der SED-Nachfolgepartei sogar im Westen eine wenn auch nur geringe Akzeptanz verschaffte. Aber selbst ein geringer Stimmenverlust der PDS in den alten Ländern kann für sie das parlamentarische Aus bedeuten, weil ihr durchgehender 20-Prozent-Anteil in den neuen Ländern nicht ausreicht, um sie bundesweit über fünf Prozent zu heben. Und drei Direktwahlkreise zu erobern, die für die Umgehung der Fünf-Prozent-Hürde erforderlich wären, wird Honeckers Erben nicht mehr zugetraut.

Bei den Grünen wird die Lage ähnlich brenzlig. Ihre Anhängerschaft mußte in den vergangenen Jahren einiges aushalten, zum Beispiel die Wandlung von einer pazifistischen Partei zu einem Koalitionspartner, der die Bundeswehr in gefährliche Auslandseinsätze schickt. Bei allen Landtagswahlen der vergangenen vier Jahre hat die einstige Umweltpartei zum Teil schwere Verluste einstecken müssen, eine Trendumkehr ist nicht in Sicht. Die vor der Bonusmeilen-Affäre durchgeführten Umfragen zeigten die Grünen überwiegend bei sechs Prozent. Jetzt könnte der Absturz drohen, nachdem die Grünen-Wähler erfahren durften, daß ein Teil ihrer Volksvertreter nicht besser ist als die von ihnen kritisierten Raffkes, in Affären nur wenig oder gar nicht nachstehen. Da hilft es auch nicht, daß Schlauch einräumte, auch Grüne seien keine Heiligen und im Südwestfunk sagte: "Mit Sicherheit war mir irgendwann einmal bewußt, daß das nicht statthaft ist."

Auch die SPD dürfte Schaden nehmen. Die Genossen im Berliner Hauptquartier sind ohnehin in Aufruhr. Ihre Basis läßt sich einfach nicht mobilisieren. Vor allem in Nordrhein-Westfalen, wo Kölner und Wuppertaler Korruptionsaffären sowie die Babcock-Pleite die heile Welt der SPD durcheinanderbrachten, kommt der Wahlkampf nicht auf Trab. Kanzler Schröder läutete die heiße Phase seines Wahlkampfes daher schon 18 Tage früher ein. Dabei weiß jeder Fußballtrainer: Wer kurz vor Spielende noch die Taktik wechselt, hat eigentlich schon verloren. Schröders Rechnungen gehen bisher nicht auf: Sein Versuch, die Thesen der Hartz-Kommission zum zentralen Wahlkampfschlager zu machen und damit einen Wahlkampf über visionäre Themen zu führen, klappte nur zwei Wochen. Dann überdeckten andere Nachrichten, wie die wieder angestiegene Arbeitslosigkeit und zuletzt die Bonusmeilen-Affäre das Hartz-Thema. In seiner Not entfesselte der Kanzler jetzt eine Debatte über eine deutsche Beteiligung an einem amerikanischen Angriff auf Irak. Das kleine Problem dabei: Ein Angriff der USA steht nicht unmittelbar bevor. Alle Experten erwarten den Schlag Washington gegen Saddam Hussein frühestens im Winter.

Die Strafanzeige gegen "Bild" setzt die SPD ins Abseits

Im SPD-Wahlkampf häufen sich derweil die Fehler. Generalsekretär Franz Müntefering stellte Strafanzeige gegen die Bild-Zeitung. Das Boulevard-Blatt war stets zuerst mit Namen von Bonusmeilen-Sündern zur Stelle. Die Genossen ahnten Böses, weil mehr rot-grüne Politiker an den Pranger gestellt wurden als Vertreter der Union. Die FDP kam in den Bild-Listen gar nicht vor. Schröder selbst sprach von gezieltem Wahlkampf gegen die SPD. Doch verrechneten sich die Genossen: Die Strafanzeige und das Gerede im rot-grünen Lager von einer Verschärfung des Presserechts lösten eine Solidarisierungswelle mit Springers Kampfblatt aus. Von Stern bis Spiegel solidarisierten sich Chefredakteure mit der Bild-Zeitung. Das Boulevard-Blatt hatte bis zur Bonusmeilen-Affäre die SPD und gerade Schröder eher zurückhaltend und fast neutral behandelt, wenn man einmal von der regelmäßigen Kolumne des Schröder-Intimfeindes Oskar Lafontaine absieht. Jetzt herrscht Kriegszustand zwischen Schröder und Bild - eine Schlacht, die Schröder kaum noch gewinnen kann.

Aber auch Staatsanwälte werden nicht herausbekommen, wer der Verräter in Sachen Bonusmeilen-Affäre war. Alle Beteiligten waschen ihre Hände in Unschuld: Die Bundestagsverwaltung will es genausowenig gewesen sein wie die Lufthansa. Der Bund der Steuerzahler hatte frühzeitig Informationen und Listen von Meilensündern, will diese aber nicht an die Bild-Zeitung gegeben haben. Und ein ehemaliger Referent des Bundes der Steuerzahler, der jetzt in Möllemanns nordrhein-westfälischer Landtagsfraktion arbeitet, will auch nichts mit der Sache zu tun haben. Und Möllemann, der Pfiffikus, schwört, mit seinem Referenten über das Thema Bonusmeilen kein Wort gewechselt zu haben. Es ist das Prinzip von Heckenschützen, daß sie ihr Werk aus der Deckung heraus verrichten. Die Journalisten werden durch ein umfassendes Recht auf Zeugnisverweigerung vor den Gerichten geschützt.

Aber Schröder und Müntefering können sich wenigstens einen Zuständigen schon einmal vorknöpfen: Den Bundestagspräsidenten. Thierse hatte vom Steuerzahlerbund frühzeitig Warnung erhalten und war nach Erkenntnissen über Meilensünder befragt worden. Er teilte der Organisation im Herbst letzten Jahres mit, es gebe keine Erkenntnisse. Damit ließ er die Sache auf sich beruhen. Spätestens bei dieser Anfrage hätte Thierse jedoch Nachforschungen anstellen und Stichproben bei Abgeordneten durchführen müssen, ob die Vereinbarung im Ältestenrat, daß dienstlich erworbene Bonusmeilen nur dienstlich verwendet werden dürfen, eingehalten wird.

Eine besondere Strafmaßnahme für Thierse brauchen sich Schröder und Müntefering jedoch nicht auszudenken. Der Bundestagspräsident ist seinen Job nach der Wahl mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit los. Es müßte noch viel passieren, wenn die SPD nach dem 22. September im Bundestag wieder stärkste Fraktion werden sollte.


 
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