© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    33/02 09. August 2002

 
Haus der Erinnerung
Die Wannsee-Villa Max Liebermanns läßt die versunkene Welt des großbürgerlichen Berlins wieder auferstehen
Doris Neujahr

Die zwei Berliner Adressen des Malers Max Liebermann (1847-1935) waren an Exklusivität kaum zu überbieten. Die Stadtwohnung befand sich in seinem Elternhaus Am Pariser Platz 7, direkt neben dem Brandenburger Tor. Den Weg dorthin beschrieb er so: "Wenn man nach Berlin reinkommt - gleich links." 1914 bezog er ein zweites, sein Sommerhaus, ein zweistöckiges Gebäude mit repräsentativem Portikus in der Große Seestraße 24 (heute: Am Großen Wannsee 42), das von Paul Baumgart, einem Schüler Alfred Messels, errichtet worden war.

Liebermann war stolz darauf, den Bau aus eigenen Einnahmen finanziert zu haben. Im Erdgeschoß betrat man zuerst eine große Diele. Daran schloß sich das geräumige Speisezimmer an, von dessen Fenstern sich die Aussicht auf den Großen Wannsee eröffnete. Links daneben lag der Salon. Hier hingen, neben eigenen Bildern, Gemälde von Cezanne, Degas, Manet und Monet, die er als Kunstsammler erworben hatte. Zum Haus gehörte ein großer, prachtvoller Garten, den er bis zum Lebensende immer wieder malte.

Liebermann gilt als wichtigster deutscher Impressionist. Seine Anfänge aber spiegeln einen sachlichen Naturalismus. Der Sohn eines bekannten Textikfabrikanten erschloß für die deutsche Malerei neuartige Sujets: Fabriken, Waisen- oder Altenheime, und setzte sich für sozialkritische Künstler wie Käthe Kollwitz ein. Von Wilhelm II. heftig kritisiert, gehörte er im Mai 1898 zu den Begründern der Berliner Sezession. Als Kunstsammler und -berater des Berliner Geldadels war er eine Schlüsselfigur für den kosmopolitischen Geschmack der Stadt um 1900 und nahm auch Einfluß auf ihre Museumspolitik.

Das Haus entstand auf dem letzten freien Wassergrundstück der sogenannten "Kolonie Alsen", einem Villenviertel, das der Bankier Wilhelm Conrad um 1870 am südwestlichen Stadtrand gegründet hatte. Es wurde zum Sommerdomizil des Berliner Großbürgertums, das sich hier schloßartige Gebäude im oft zweifelhaften historistischen Stil erbaute. Der Name Alsen erinnerte an den preußischen Sieg über Dänemark 1864, der mit der Kapitulation der dänischen Insel Alsen besiegelt worden war.

Die Kolonie war ein bürgerliches Pendant zum "preußischen Arkadien", der hohenzollerschen Schlösser- und Gartenlandschaft einige Kilometer flußabwärts an der Potsdamer Havel. Wer hier wohnte, verfügte im kaiserlichen Berlin über Rang und Namen und in der Innenstadt zudem über einen weiteren Hauptwohnsitz. Die Firmengründer Siemens lebten hier, die Breslauer Industriellenfamilie Huldschinsky, der Verleger Langenscheidt, der Staatsrechtler Hugo Preuß, die wilhelminischen Malerkollegen Oscar Begas und Anton von Werner, der Chirurg Ferdinand Sauerbruch und der Bankier Eduard Freiherr von der Heydt, Sohn eines Preußischen Staatsministers. Die Heydtsche Stadtvilla im ehemaligen Tiergartenviertel ist heute der Sitz der Stiftung Preußischer Kulturbesitz.

Nach dem Ersten Weltkrieg verloren viele Besitzer ihre Anwesen an neureiche Glücksritter. Eine weitere Umschichtung setzte mit dem Dritten Reich ein. Die vielen jüdischen Bewohner wurden zum Verkauf genötigt und gingen in die Emigration. Auf diese Weise kam auch Propagandaminister Goebbels zu einer Villa auf der Insel Schwanenwerder, einem ganz besonderen Juwel dieser Gegend. (Auf dem Goebbels-Grundstück befindet sich heute das amerikanische Aspen-Institut.) Liebermann selbst fühlte sich gleichberechtigt als Jude, Deutscher, Preuße und vor allem als Berliner. Er galt als hauptstädtisches Original. Selbst der gleichaltrige Reichspräsident Hindenburg erwies ihm seine Referenz und saß ihm 1927 Modell.

Am Abend des 30. Januar 1933 zog die SA mit Fackeln durch das Brandenburger Tor, vorbei an Liebermanns Haus. Sein Kommentar wurde berühmt: "Ick kann jar nich so viel fressen, wie ick kotzen möchte." Dem Direktor des Museums in Tel Aviv schrieb er: "Wie ein füchterlicher Albtraum lastet die Aufhebung der Gleichberechtigung auf uns allen. Besonders auf den Juden, die, wie ich, sich dem Traume der Assimilation hingegeben hatten."

Als die Preußische Akademie der Künste, die ihren Sitz gleichfalls am Pariser Platz hatte, den Arierparagraphen einführte, zog er in einer Erklärung ein bitteres Resümee: "Ich habe während meines langen Lebens mit allen meinen Kräften der deutschen Kunst zu dienen gesucht. Nach meiner Überzeugung hat Kunst weder mit Politik noch mit Abstammung etwas zu tun, ich kann daher der Preußischen Akademie der Künste, deren ordentliches Mitglied ich seit mehr als dreißig Jahren und deren Präsident ich durch zwölf Jahre gewesen bin, nicht länger angehören, da dieser mein Standpunkt keine Geltung mehr hat." Das Ehrenpräsidium der Akademie legte er ebenfalls nieder. Als er am 8. Februar 1935 starb, kamen nur wenige seiner Nachbarn vom Wannsee zur Beerdigung, darunter Ferdinand Sauerbruch.

Fuchtbar erging es seiner Frau Martha Liebermann. Sie mußte das Stadthaus verlassen und schließlich auch die Wannsee-Villa an die Reichspost verkaufen, ohne über die Kaufsumme verfügen zu dürfen. Derart ausgeplündert, schlugen ihre verzweifelten, viel zu spät unternommenen Versuche, in die Schweiz oder nach Schweden auszureisen, fehl. Am 5. März 1943, unmittelbar vor ihrer Deportation nach Theresienstadt, vergiftete sie sich.

Das Haus am Brandenburger Tor wurde im Krieg zerstört, das unversehrt gebliebene Sommerhaus diente nach 1945 als Krankenhaus. 1952 wurde es an die Liebermann-Tochter Käthe Riezler zurückgegeben, die es 1958 an das Land Berlin verkaufte. 1972 wurde es vom Deutschen Unterwasserclub gepachtet. Während die meisten großen Häuser der Alsen-Kolonie bis in die 1980er Jahre hinein abgerissen, die Grundstücke parzelliert und mit Flachbauten, Bungalows und Mehrfamilienhäusern im Neue-Heimat-Stil bestückt wurden, blieben Substanz und Zuschnitt des Liebermann-Hauses erhalten. 1993 wurde eine Tafel zum Andenken an den früheren Besitzer angebracht.

An der Stelle seines Hauses am Brandenburger Tor entstand in den neunziger Jahren ein Neubau des Architekten Paul Kleihues, der sich stark an der Fassadengestaltung des Vorgängerbaus orientiert. Hier hat unter anderem die Historische Gesellschaft Berlin ihren Sitz. In den Räumen wurde am 16. März 1995 die Max-Liebermann-Gesellschaft Berlin e.V. gegründet, die sich der Idee verschrieben hat, Liebermanns Wannsee-Villa zu einem Haus der Erinnerung an den großen Maler und Ehrenbürger der Stadt umzuwidmen. Im November 1992 waren dort erstmals Gemälde und Pastelle von ihm zum Verkauf ausgestellt worden, darunter einige, die vor Ort entstanden waren. 18.000 Besucher fanden damals den Weg dorthin.

Das Vorhaben erlitt zunächst einen Rückschlag, weil der reguläre Pachtvertrag für den Unterwasserklub vorzeitig bis zum Jahre 2015 verlängert worden war. Im März 2002 hat die Liebermann-Gesellschaft dennoch die Schlüssel für das Haus erhalten. Nach einer kurzen Öffnungszeit im Sommer soll die Umgestaltung als Museum, Galerie und Café beginnen. Die Wiederherstellung des Gartens gehört gleichfalls zum Projekt.

Es ist der Versuch einer posthumen Wiedergutmachung am früheren Besitzer. Zugleich ist dieser Ort eines der wenigen authentischen Denkmäler an die versunkene Welt des bürgerlichen Berlins und der zerstörten deutsch-jüdischen Symbiose.


 
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