© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    33/02 09. August 2002

 
Bewußtloses Begehren
Kino: "Sprich mit ihr" von Pedro Almodóvar
Ellen Kositza

Eigentlich interessiert sich Benigno (Javier Cámera) weder für Opern und Ballett noch für Stummfilme der zwanziger Jahre. Der Dreißigjährige mit dem sprechenden Namen ("der Gutmütige") ist ein einfacher Mensch ohne Sinn für das großstädtische Kulturangebot, er ist häuslich und recht einfältig, und die jahrelange aufopfernde Pflege und Sorge für seine mittlerweile verstorbene Mutter haben ihn äußerlich und wesenhaft gar ein bißchen weibisch werden lassen.

Opernhäuser und Stummfilmvorführungen besucht Benigno, weil das die Interessen seiner Geliebten sind, die sie aber nicht selbst wahrnehmen kann. Denn Alicia (Leonor Watling), einst aufstrebende Ballett-Elevin, liegt nach einem Unfall seit vier Jahren im Koma. Der pummelige Benigno (witzigerweise ein eher unschmeichelhaftes verjüngtes Ebenbild des Regisseurs) liebte die selbstbewußte Schöne schon vor dieser Zeit, mußte aber die hoffnungslose Einseitigkeit dieses Begehrens einsehen. Zufall und sein ausgezeichneter Ruf als Krankenpfleger ließen den jungen Mann nun in der Klinik zum Dauerbetreuer der Bewußtlosen werden. Der Gute wäscht, frisiert, schminkt und massiert die Koma-Patientin mit Hingabe und berichtet ihr ausführlich von den Film- und Tanzaufführungen, die er - in ihrer Vertretung - besucht.

An einem anderen Ort interviewt der Journalist Marco (Darío Grandinetti) die berühmte Stierkämpferin Lydia (Rosario Flores) und verliebt sich dabei in sie. Lydia hat einen schweren Stand in ihrem stolzen Beruf - viele Matadores weigern sich, mit einer Frau in der Arena zu stehen, und ihr Exfreund, der von ihr immer noch heimlich geliebte Star-Matador El Nino de Valencia, hatte ihre Affäre zu einem großen Thema der Boulevard-Medien vermarktet.

Lydia und Marco, der ebenfalls den Verlust einer alten Liebe nicht ganz verwunden hat, werden ein Paar - bis Lydia Monate später von einem Stier auf die Hörner genommen wird. Auch sie fällt nach komplizierten Operationen ins Koma. Im Gegensatz zu Benigno, der einen Raum weiter über Alicia wacht, verliert Marco jede Bindung zu der Bewußtlosen. Die beiden ungleichen Männer freunden sich an, und als Alicia trotz Koma schwanger wird, wird diese Freundschaft auf eine harte Probe gestellt.

Zu der pikanten Empfängnis kommt es, während dem Zuschauer der kurze Stummfilm vom "schwindenden Mann" vor Augen geführt wird, den der Pfleger seiner Patientin nacherzählt: Eine ehrgeizige Wissenschaftlerin, die bei aller Liebe einiges an ihrem untersetzten Gatten zu kritisieren hat, verabreicht dem Liebsten einen magischen Trank, der ihn eigentlich nur etwas schlanker werden lassen soll. Doch der Zauber schlägt fehl, der Mann schrumpft langsam auf Däumlingformat und verschwindet schließlich, um der nun unerreichbaren Geliebten nahe sein zu können, nächtens in ihrem Geschlecht.

Das, als humoristische Groteske jenseits vulgärer Schlüpfrigkeit vor dem realen Hintergrund der tragisch-skandalösen Befruchtung vorgeführt, ist nun eine ganz typische Inszenierung für die spanische Regie-Ikone Almodóvar, dem 1999 mit dem mehrfach, auch Oscar-ausgezeichneten Melodram "Alles über meine Mutter" einer der allerbesten Filme der letzten Jahre gelungen war. Hier wie dort und durchgehend in seinem Filmschaffen zeigt sich Almodóvar als großherziger Philantroph, der einen wesentlich guten, sogar schamhaften Kern der so lasterhaften, anfälligen Menschen in den Vordergrund seiner Geschichten stellt. Neu ist, daß der homosexuelle Frauenkenner diesmal Männer zu Hauptpersonen werden läßt. Entstanden ist ein rührendes, wenn auch nicht großartiges, Stück über Einsamkeit und Freundschaft, das durch Pina Bausch und Geraldine Chaplin in teilweise bestechenden Nebenrollen zusätzlichen Sehenswert erhält.


 
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