© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    33/02 09. August 2002

 
Frisch gepreßt

Informelle Mitarbeit. Bundestagspräsident Wolfgang Thierse, der 1990 in der letzten Volkskammersitzung nur kopfschüttelnd das gerade beschlossene Ende der DDR aufnahm, bemerkt im Vorwort der Erlebnisberichte über die gescheiterten Anwerbeversuche des Ministeriums für Staatssicherheit und ihre Folgen für die Standfesten, daß "die Verkürzung der eigenen Alltagserfahrungen auf Stasi- und Spitzelgeschichten die Atmosphäre im Osten verdorben" habe. Dabei verwechselt Thierse, den von den Superillu-Redakteuren Marco Hecht und Gerald Praschl zusammengetragenen Aussagen der Stasi-Verweigerer widersprechend, Ursache und Wirkung. Es geht nicht, und das wird in den Lebensbildern der "ganz normalen DDR-Bürger" deutlich, um Schuldzuweisung an andere, die dem Druck oder der Versuchung nicht widerstanden, ihre Mitbürger auszuspionieren. Anschaulich wird vielmehr die paranoide Perfidie des Systems, welche "die Atmosphäre im Osten" vergiftete, indem es willkürlich den schmalen Grat zwischen Opfer und Täter festsetzte, den es zukünftig noch aufzuarbeiten gilt (Ich habe Nein gesagt. Zivilcourage in der DDR. Kai Homilius Verlag, Berlin 2002, 199 Seiten, 19,90 Euro).

Studenten. Mit der Feststellung, das Interesse an der "Erforschung und Entwicklung der Studentenschaft in den Jahren der Weimarer Republik und des Dritten Reiches" sei erheblich gestiegen, eröffnet Holger Zinn einen Forschungsüberblick in seinem Arbeitsgebiet. Obwohl er sich mit seiner voluminösen Dissertation zur Geschichte der Marburger Studentenschaft zwischen 1925 und 1945 also auf ein gut abgestecktes Terrain begibt, nutzt er die Erkenntnisse seiner Vorgänger zuwenig. Darum ufert diese fleißige, aus den Akten des Marburger Staatsarchivs schöpfende, leider nicht immer stilsichere Arbeit zu sehr ins Lokalhistorische aus und ermüdet mit Fakten, die über das Marburger Milieu hinaus kaum von Interesse sind. Hätte der um jedes Detail besorgte Zinn allein berücksichtigt, was von den Verhältnissen an der Philipps-Universität "reichsweit" für das politische Engagement der Nachwuchsakademiker von Belang war, hätte er die Hälfte seines wichtigen Werkes wohl besser in regionalhistorischen Periodica unterbringen müssen (Zwischen Republik und Diktatur. Die Studentenschaft der Philipps-Universität Marburg in den Jahren von 1925 bis 1945, SH-Verlag, Köln 2002, 560 Seiten, 34,80 Euro).


 
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