© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    34/02 16. August 2002

 
Wählergunst vor Bündniswillen
Bundeswehr: Wie die Streitkräfte im Wahlkampf instrumentalisiert werden
Alexander Schmidt

Es ist nach dem Zusammenbruch der sozialistischen Diktatur im Jahr 1989 nicht mehr vorgekommen, daß die deutschen Streitkräfte eines der zentralen Themen in einem Bundestagswahlkampf waren. Doch jetzt haben Politiker aus Koalition und Opposition die Bundeswehr als Vehikel für Wahlkampf und Stimmenfang gefunden.

Der Gedanke ist strategisch nicht unklug. Nach den Anschlägen vom 11. September und dem damit begonnenen "Kreuzzug gegen den Terror" entwickelte sich in allen Bevölkerungsschichten eine Diskussion von selbsternannten Sicherheitsexperten und solchen, die es werden wollen, um Terrorismusprävention, künftige Aufgaben der Streitkräfte und den möglichen Beitrag Deutschlands im Bündnis. Ohne Probleme wurden heute Thesen aufgestellt, die morgen wieder verworfen werden sollten, da sich schließlich täglich die sicherheitspolitische Lage ändern kann. Ihre Fortsetzung scheint diese Diskussion in der Auseinandersetzung des Bundeskanzlers Schröder mit CSU-Kanzlerkandidaten Edmund Stoiber zu finden.

Während der neue Verteidigungsminister Peter Struck mit Altbundeskanzler Helmut Schmidt über Sicherheitspolitik plaudert, um im Anschluß daran zur Führungsakademie der Bundeswehr zu eilen, thematisiert Bundeskanzler Gerhard Schröder im möglichen Krieg gegen Irak den "deutschen Weg", der keine Beteiligung von deutschen Soldaten vorsieht. Auch Außenminister Joseph Fischer betonte, die Bedrohung durch den Irak sei nicht akuter geworden. Für den früheren Außenminister Hans-Dietrich Genscher ist dies jedoch nur Deutschtümelei. Zur Kritik an der Bundesregierung gegenüber dem Kurs der US-Regierung sagte Fischer, es bestehe für die Regierung "gewiß keine Nachweispflicht mehr, was ihre Bündnisfähigkeit und ihren Bündniswillen" angehe. Auch Verteidigungsminister Struck unterstrich in der Frankfurter Rundschau die nationale Souveränität Deutschlands und lehnte eine deutsche Beteiligung an Kampfhandlungen auch dann ab, wenn es ein UN-Mandat gebe.

Dieser Vorstellung setzt Stoiber den europäischen Weg entgegen und fordert keine Zurückhaltung Deutschlands bei Auslandseinsätzen. Gleichzeitig betont er aber, die Bundeswehr könne keine weiteren Auslandseinsätze verkraften. Weiter fordert Stoiber, den Einsatz von Streitkräften für innenpolitische Aufgaben, wie die Vorsorge und Bekämpfung von Angriffen mit biologischen und chemischen Waffen. Innere Sicherheit und äußere Sicherheit sei nicht zu trennen, erklärte er. Diesen Ansatz verfolgte auch Konrad Adenauer, der Außenpolitik und Innenpolitik soweit zusammenführen wollte, um außenpolitische Handlungsfähigkeit zu erlangen.

Aus militärischer Sicht werden derzeitige Wegstreitereien belächelt. Hohe Offiziere in Brüssel und Berlin sowie amerikanische Militärs hätten weder konkrete Pläne noch einen Zeitplan für solche und ähnliche Einsätze. "Woher der Kanzler sein Wissen hat, verschließt sich unserer Kenntnis", erfährt man aus Offizierskreisen. "Eine größere militärische Offensive, bei der die Amerikaner auf Bündnispartner, die Nutzung von Basen und Logistik in Europa angewiesen wären, könnten die Amerikaner nicht im Geheimen planen und umsetzen", heißt es von Nato-Offizieren.

Auch der Aussage des Bundeskanzlers Schröder, Deutschland könne aufgrund mangelnder Kapazitäten an keinen weiteren Einsätzen mehr teilnehmen, wurde aus dem Verteidigungsministerium widersprochen. Von den Führungsstäben erarbeitete Einsatzoptionen reichten von 2.000 Mann bis zu einem "Brigadeäquivalent" in Höhe von 6.000 Soldaten. Wahlkampfgerassel scheint also im Hintergrund zu stehen, um das Thematisieren von innenpolitischen Problemen an den Rand zu drängen.

Trotzdem stehen gerade bei der Zukunft der Bundeswehr noch mehr Fragen offen, als beantwortet sind. Gegenwärtig sind etwa 10.000 Soldaten auf dem Balkan und auf den Marineeinheiten vor dem Horn von Afrika stationiert, andere in Kuwait, und Usbekistan. Für den Einsatz in Afghanistan rechnet der Chef des Bundeswehrverbandes, Bernhard Gertz, mit einer ähnlichen Entwicklung wie auf dem Balkan. "Präsident Karsai möchte Friedenssoldaten zehn bis fünfzehn Jahre im Land behalten. Unrealistisch ist das nicht. Wir müssen von einer Dauerbelastung der Bundeswehr ausgehen", so der Oberst.

Wie wird die kommende Bundesregierung damit umgehen wollen und gleichzeitig mindestens zwei große Rüstungsprojekte - den neuen Schützenpanzer Panther und die europäische Luft-Luft-Rakete Meteor - realisieren? Beide Projekte sind nicht nur in finanzieller Hinsicht problematisch, vielmehr gerät die Bundesregierung in Zeitdruck. Bewilligt der Haushaltsausschuß am 12. September nicht die Gelder für die Entwicklungskosten der Rakete, wären "die Folgen eine weitreichender Vertrauensverlust Deutschlands". So steht es in einem internen SPD-Papier. Ob hier Metaphern von europäischen oder deutschen Wegen weiterhelfen, bleibt weiterhin fraglich.

SPD-Verteidigungsminister Peter Struck am 26. Juli in Kabul: Präsident Karsai möchte die Soldaten noch zehn bis fünfzehn Jahre behalten


 
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