© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    34/02 16. August 2002

 
Bunter Paradiesvogel mit grauen Federn
PDS: Ein notwendiger Nachtrag zum Rücktritt Gregor Gysis als Berliner Wirtschaftssenator
Doris Neujahr

Diesen Gefallen darf man Gregor Gysi auf keinen Fall tun: Ihm abnehmen, daß er sich aus schlechtem Gewissen über seine Bonusflüge vom Posten des Berliner Wirtschaftssenators zurückgezogen hat. Dafür ist die Angelegenheit zu läppisch, umso mehr, wenn man sich an die millionenschwere Kohl-Leuna-Holzer-Affäre erinnert, die der Union keinerlei Skrupel mehr bereitet. Sie sind auch bei Gysi, der mit allen Wassern der Rabulistik gewaschen ist und noch jeden Vorwurf der Stasi-Nähe oder der Verschiebung von SED-Vermögen locker weggesteckt hat, völlig unwahrscheinlich. In der Vergangenheit lief er in vergleichbaren Fällen medialer Bedrängnis überhaupt erst zur Hochform auf.

Gysi ist in Wahrheit von niemandem je als Moralist verstanden worden. Seinen Wählern in der Ex-DDR, für die die westdeutsche Parteiendemokratie bis heute eine von Tricksern und Schummlern bevölkerte Gauklerbude darstellt, bereitet es Genugtuung, daß "ihr Gregor", der Mann aus dem Osten, noch ein bißchen raffinierter trickst und schummelt als die anderen Falschmünzer. Selbst viele Westdeutsche mögen ihn, weil er ihre eigene Systemskepsis unterhaltsam auf den Punkt bringt und gleichzeitig, indem er sich der Mittel des Systems virtuos bedient, seine Alternativlosigkeit bestätigt. Sie alle, Ossis und Wessis, hätten ihm seine Freiflüge ohne weiteres verziehen.

Nein, Gysi ist zurückgetreten, weil er erkannt hat, daß er in seinem Amt und als Mitglied einer totgeborenen Landesregierung unmöglich reüssieren kann. Auch der bunteste Paradiesvogel bekommt graue Federn, wenn er dem Berliner Aschenputtel die Linsen und Erbsen aus dem erkalteten Herd polken muß. Der Tag war absehbar, an dem seine Witzchen und Späßchen ihm nichts mehr genutzt hätten, an dem Rechenschaft darüber fällig gewesen wäre, wieviel Investoren, Arbeitsplätze und Steuerkraft er denn in die Hauptstadt geholt hat. Spätestens dann wäre sein rhetorischer Hochmut vor den Fall gekommen und hätte sein Marktwert in den Medien die verdiente Baisse erlebt.

Gysi ist nie Volkstribun oder Ritter vom Orden der sozialen Gerechtigkeit gewesen. Das waren nur interessante Rollenspiele für ihn. Er ist ein begnadeter Selbstdarsteller, der in der Politik den angemessenen Resonanzraum für seine Eitelkeiten erkannt hat. In Diskussionen ist es ihm kaum je um die Sache oder den Standpunkt seiner Partei gegangen. Am wichtigsten war ihm stets die Erprobung und Demonstration seiner rhetorischen und dialektischen Fähigkeiten. Wenn es eine höhere Gerechtigkeit gäbe, dann würde er morgen früh als siamesischer Zwilling der Münchner Mode-Schwuchtel Rudolf "Mosi" Mooshammer erwachen.

Gerade weil seine Persönlichkeit sich so deutlich von der grauen SED/PDS-Klientel abhob, konnte er soviel für sie bewirken. In der Wendezeit von 1989/90 ließ er die ahnungslosen DDR-Revolutionäre am "Runden Tisch" gekonnt ins Leere laufen und verschaffte den alten Eliten die Atempause, die sie brauchten, um sich organisatorisch und finanziell für die bevorstehenden Veränderungen zu rüsten. Dann wurde sein Trommeln gegen die reduzierte "Strafrente" der Stasikader und Grenzkommandeure von Erfolg gekrönt. Die Parlamentarier, die Gerichte und am Ende die Ossis selber glaubten, es sei eine Frage "der Würde der Ostdeutschen", daß die eingefleischten und völlig reuelosen Systemträger einen privilegierten Zugriff auf die deutsche Rentenkasse bekommen. Wer als Zuchthausaufseher in Bautzen oder als uniformierter "Schichtleiter" - so nennen die sich heute - an der innerdeutschen Grenze "nur seine Pflicht tat", dem geht es heute in der Regel finanziell besser als den früheren politischen Gefangenen. Und noch viel mehr hat Gysi geschafft: Schon gilt es fast als unanständig, die Mauertoten oder das Zuchthaus Bautzen überhaupt zu erwähnen, oder für DDR-Sportlerinnen, die durch im Kindesalter verabreichte Doping-Mittel entstellt und chronisch krank sind, eine Entschädigung zu fordern.

Unter Gysi ist die PDS schließlich zur einzig relevanten, autochthonen politischen Kraft der Ex-DDR geworden. Das kritische Potential, das der Osten in den verkalkten Politikkreislauf der BRD hätte einbringen können, wurde durch die PDS vereinnahmt, mit dem Degout des DDR-Ressentiments versehen oder in die klinisch tote Antifa-Rhetorik der Westlinken umgegossen, das heißt: neutralisiert und rückgängig gemacht. Die wenigen verbliebenen DDR-Bürgerrechtler arbeiten sich heute erfolglos an Gysis Chuzpe ab und sind dazu auf das Gnadenbrot der westdeutschen Altparteien angewiesen. Auf daß die saturierte, fette BRD noch saturierter und fetter wird! Wir werden es gewiß noch erleben, daß Gysi dafür auf Vorschlag des Kanzlers (ob von der Union oder SPD, spielt doch längst keine Rolle mehr) das Bundesverdienstkreuz erhält.

Bis dahin wird Gregor Gysi uns keinesfalls aus den Augen geraten. Die Talkshow-Firmen stehen Schlange bei ihm, und die Schicky-Micky-Szene findet es bestimmt aufregend, einen echt "roten" Anwalt in ihren Dienst zu nehmen. Jene Wähler aber, die "ihren Gregor" gewählt haben, weil er eine bessere Politik machen sollte, finden sich in derselben Rolle wieder, die ihnen schon in der DDR zugewiesen war: als genasführtes Stimmvieh.


 
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