© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    34/02 16. August 2002

 
Alles nur noch schlechter gemacht
Regierungsbilanz: Vier Jahre Rot-Grün in Deutschland sind ein abschreckendes Beispiel für Europa / Hektisches Reagieren statt kontinuierlicher Regierungsarbeit
Fritz Schenk

Das Wort "Bilanzfälschung" könnte zum "Unwort des Jahres" werden. Ausgehend von Amerika - und wenn so etwas dort Mode ist, bleiben Nachahmer in Europa nicht aus - haben Skandale um gefälschte Konzernbilanzen nicht unwesentlich zu Einbrüchen in der konjunkturellen Entwicklung der Weltwirtschaft beigetragen. Auf jeden Fall wurde die ohnehin vorhandene Verunsicherung durch die Globalisierung durch diese Finanzskandale verstärkt und hat vor allem das Investitionsklima verschlechtert. Bilanzfälschungen "lohnen" sich also nicht, die Fälscher werden in der Regel von den Realitäten eingeholt, entlarvt und von der Praxis bestraft. Zumindest trifft das im allgemeinen auf die Wirtschaft zu.

Nun sind Bilanzfälschungen aber auch in der Politik an der Tagesordnung - in Wahlkämpfen gehören sie sogar zum "natürlichen" Rüstzeug der Parteien. "Die lügen doch alle" ist die meistgebrauchte Floskel, die im Gespräch über die Parteien vom sogenannten "Normalbürger" immer wieder ausgesprochen wird. Der Bundestagswahlkampf 2002 ist bisher ganz besonders von ganzen Lügen, vielen Halbwahrheiten und vor allem von Verdrehungen und Wortklaubereien um sogenannte Sachfragen geprägt. Das macht die nun bis zum Wahltag nicht mehr enden werdenden "Politiker-Runden" auf allen Fernsehkanälen so abstoßend. Wie da mit (hauptsächlich Prozent-)Zahlen um sich geworfen wird und Tatsachen verdreht werden, ist unerträglich und für auch nur einigermaßen politisch interessierte Zeitgenossen meist beleidigende Volksverdummung.

Hinsichtlich der Gesamtbilanz der Regierung Schröder/Fischer ist der Titel "bescheiden" vornehm höflich gewählt. Daher einige wenige, aber wesentliche Fakten:

Deutschland hatte 1998 rund vier Millionen Arbeitslose - soviel sind es auch heute. Bundeskanzler Schröder hatte sich bei seinem Amtsantritt sehr weit aus dem Fenster gelehnt und verkündet, er wolle diese Zahl auf unter dreieinhalb Millionen senken und hinzugefügt, wenn ihm das nicht gelinge, hätte er dann auch die Berechtigung zum Regieren verloren. Als Ursache für die hohe Arbeitslosigkeit nennen der Kanzler und seine Propagandisten der rot-grünen Koalition die schwache Weltkonjunktur - auch als Folge der Terroranschläge vom 11. September 2001 in Amerika.

Tatsächlich ist die eigene deutsche wirtschaftliche Wachstumsschwäche die Hauptursache für die hohe Arbeitslosigkeit. Im Durchschnitt der Jahre 1999/2002 liegt die Zunahme des Bruttoinlandsprodukts (BIP) in Deutschland bei 1,5 Prozent. Damit sind wir an die letzte Stelle der europäischen Industriestaaten gesunken und vor Japan (0,1 Prozent) das (Mit-)Schlußlicht in der Welt. Die USA mit 2,5 Prozent Wachstum (und angesichts des starken Dollar) können als Ursache nicht herhalten, zumal unser nach wie vor hoher Außenhandelsanteil überhaupt die tragende Säule der deutschen Wirtschaft war und ist. Hinter Spanien, Italien und Frankreich steht Deutschland an vierter Stelle der europäischen Arbeitslosenstatistik. Die Bundesregierung laboriert lediglich an Konzepten für effektivere Verwaltung der Arbeitslosigkeit - an Impulsen für die Belebung von Wirtschaft und Wachstum ist ihr nichts eingefallen.

Ähnlich verhält es sich mit dem Versprechen, die Staatsverschuldung abzubauen. 1998 lag die Staatsquote (das ist der Anteil des Staatsverbrauchs am Bruttoinlandsprodukt) bei 46 Prozent. Sie ist auf 46,2 Prozent gestiegen. Zwar hat die Bundesregierung den Bundesanteil an der Staatsverschuldung gesenkt. Aber durch Verlagerung von gesetzlich festgelegten Ausgaben auf Länder und Kommunen ist die öffentliche Gesamtverschuldung gestiegen, liegt im ersten Halbjahr 2002 bei 2,8 Prozent und droht, wegen der zurückgehenden Steuereinnahmen, die Maastricht-Kriterien von drei Prozent des BIP zu erreichen oder gar zu übersteigen. Damit bildet Deutschland das Schlußlicht der Staaten des Maastrichter Stabilitätspakts. Bedenklicher dabei aber ist, daß die Investitionsquote der Staatsausgaben von 3,2 Prozent 1998 auf 2,6 Prozent 2002 zurückgegangen ist, was heißt, daß gerade der Staat weniger Geld für öffentliche Investitionen aller Art ausgegeben hat. Auch das hat natürlich etwas mit Arbeit und Beschäftigung zu tun.

Als besonderen Aktivposten nennt die Bundesregierung die Steuerreform für Unternehmen und Privatpersonen. Das ist anzuerkennen und zugleich mit einem Aber zu versehen. Bei den Unternehmenssteuern wurden vor allem Kapitalgesellschaften überproportional begünstigt, und ein Teil der Vergünstigungen wurde durch verschlechterte Abschreibungsbedingungen wieder wettgemacht, wodurch sich vor allem das Investitionsklima nicht wesentlich verbessert hat. Für Privathaushalte, Handwerker und Dienstleister wurden die Verbesserungen großenteils durch die Ökosteuer wieder aufgesogen. Praktisch jeder Haushalt spürt das an den gestiegenen Kosten für Heizung, Wasser und Abwasser, öffentliche Verkehrsmittel und andere Gemeindesteuern und -abgaben, für sonstige Ver- und Entsorgungssysteme - kurzum: für Millionen von Mietern sind die Nebenabgaben inzwischen zur "zweiten Miete" geworden und Eigenheimbesitzer stöhnen nicht minder über die "versteckte neue Hypothek" an den örtlichen Fiskus.

Schröder ist ein Meister in neuen Wortschöpfungen

In einem hat die Schröder-Regierung aber alle bisherigen Leistungen übertroffen: In der Produktion von Wortschöpfungen und gutmenschlichen Sinngebungen. Das hatte schon vor der letzten Bundestagswahl 1998 begonnen, als der damalige Kanzlerkandidat der SPD den sich abzeichnenden leichten Wirtschaftsaufschwung als "seinen" bezeichnete. Die Leute spürten, so Schröder damals, daß die Zeit Helmut Kohls zu Ende sei, an seinem eigenen Wahlsieg ließ er keinen Zweifel, und so begännen die Unternehmer jetzt schon kräftig zu investieren und ihre Produktionen zu modernisieren.

Begleitet wurde die Zuversicht von handfesten Versprechungen hinsichtlich der Rücknahme all jener Beschlüsse der letzten schwarz-gelben Koalition, die pauschal als "Politik der menschlichen Kälte" und "Sozialabbau" angegriffen wurden: Die Verkürzung der Lohnfortzahlung im Krankheitsfall, die Lockerung des Kündigungsschutzes in Unternehmen mit höchstens zehn Beschäftigten, die Versicherungs- und Abgabenfreiheit für 630-Mark-Jobs und anderes. Daraus entstand einer der Wahlslogans: "Ich werde nicht alles anders, doch vieles besser machen."

Konzept der "Neuen Mitte" blieb nur gedrucktes Papier

Mit entsprechendem Eifer gingen die damals noch Verbündeten, Schröder und Lafontaine, ans Werk. Das sich schon bei Kohl als stumpfe Waffe entpuppte "Bündnis für Arbeit" wurde reaktiviert - ohne daß es jemals Brauchbares hervorgezaubert hätte. Nachdem Lafontaine das Handtuch geworfen hatte, waren Schröder weder in der Regierung noch in seiner eigenen Partei wesentliche Hindernisse gesetzt. Mit Tony Blair zauberte er das Konzept der "Neuen Mitte" aus dem Hut. Es blieb bedrucktes Papier. Einige rüpelhafte Auftritte von Glatzköpfen und den diffusen Einmalerfolg der chaotischen Rechtspartei Deutsche Volksunion (DVU) in Sachsen-Anhalt nahm er zum Anlaß, das "Bündnis der Anständigen gegen Rechts" auszurufen. Schon wurden alle zu "Unanständigen" erklärt, die sich nicht dem Gesinnungsterror der linken Political Correctness unterwarfen. Nach dem Schock des 11. September 2001 machte es sich gut, den Amerikanern "uneingeschränkte Solidarität" zuzusagen. Nachdem seit Wochen, insbesondere unter seinen Altvorderen der 68er Antikriegs- und Anti-Atom-Intelligenzija, ein latenter Antiamerikanismus wieder in Mode kommt, erfand er nun den "deutschen" Weg als besonders friedensfreundliche Abkehr von "Irak-Abenteuern". Damit grast er nun auch noch im Revier der linkesten SED-Platzhirsche aus der alten "Weltfriedensbewegung", Honecker und Krenz lassen grüßen!

Die Krönung dieser Show-Effekte aber war sicher die Hartz-Kommission. Es ist schon erstaunlich, wie lange man ein Thema hochhalten kann, ohne daß auch nur ein Satz des Berichts veröffentlicht worden ist. Und noch ehe das überhaupt geschehen ist, hat der erfindungsreiche Kanzler schon wieder ein neues Zauberwort parat: Nach den "Anständigen" sind nun alle "Gutwilligen" gefragt. Wer nicht zum Hartz-Bericht (nun ebenfalls "uneingeschränkt", wie es Schröder mit der Solidarität zu Amerika sein wollte) freudig Ja sagt, ohne ihn überhaupt zu kennen, ist eben ein "Böswilliger", der ein "schändliches Spiel" mit den Arbeitslosen treibt. Und das alles machen die rot-grünen Abgeordneten nicht nur mit, sie lassen sich zur reinen Ja-Sage-Claque degradieren und ziehen wahlkämpfend durch die Lande zum Stimmenfang. Wenn sich je eine politische Gruppierung selber als überflüssig erwiesen hat, dann diese rot-grünen Bundestagsfraktionäre.

 

Fritz Schenk war von 1971 bis 1988 Co-Moderator, zuletzt Redaktionsleiter des ZDF-Magazins, danach bis zu seiner Pensionierung 1993 Chef vom Dienst der Chefredaktion des ZDF.


 
Versenden
  Ausdrucken Probeabo bestellen