© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    34/02 16. August 2002

 
"So ziemlich alles schiefgegangen"
Neuseeland: Labour-Partei von Premierministerin Helen Clark für Minderheitsregierung / Schwache Opposition / Populisten in drei Parteien
Silke Lührmann

Neuseeländischen Arbeitslosen stach letzte Woche inmitten der üblichen Stellenangebote für Schafhirten oder Telefonisten mit Chinesischkenntnissen eine Anzeige ins Auge: Die "Vereinigte Zukunftspartei" (United Future/UF) sucht einen Pressechef, der die medialen Aktivitäten ihres Vorsitzenden Peter Dunne koordiniert - eine "seltene Gelegenheit, in einem spannenden Bereich voller Herausforderungen tätig zu werden".

Wie wichtig eine wirkungsvolle Medienpräsenz sein kann, weiß die United Future spätestens seit den Parlamentswahlen am 27. Juli, als sie überraschend acht Sitze (6,7 Prozent) gewann. Fast die Hälfte aller Wähler hatte sich erst innerhalb der letzten Woche endgültig für eine Partei entschieden, wie eine Umfrage ermittelte. Besonders unentschlossen waren die Jungwähler. Den Ausschlag gab für viele von ihnen eine Fernsehdebatte der Parteivorsitzenden, bei der Dunnes besonnenes, aber bestimmtes Auftreten und die gemäßigte Linie seiner Partei positiv auffielen. Politische Schwerpunkte setzt die Partei, die sich aus dem Zusammenschluß der Future New Zealand mit United New Zealand gebildet hat und im letzten Parlament nur mit Dunnes Direktmandat vertreten war, in der Familienpolitik, dem Opferschutz und einer selektiveren Einwanderungspolitik. "Kompromisse", heißt es in der Wahlwerbung der United Future, "sehen wir als konstruktive Prozesse der gegenseitigen Ermächtigung".

Dies unter Beweis zu stellen, hatte die Partei seither Gelegenheit, als es darum ging, ein Tolerierungsabkommen mit Labour auszuhandeln. Zwar wurde Premierministerin Helen Clark wie erwartet klar in ihrem Amt bestätigt: Die absolute Mehrheit verpaßte ihre Partei mit 41,3 Prozent ebenso klar und mußte sich deshalb in der nächsten Regierungsperiode auf die Duldung eines neuen Partners einlassen.

Ihr alter Koalitionspartner, die linke Alliance-Partei von Ex-Frauenministerin Laila Harré, flog mit 1,3 Prozent aus dem Parlament. Nur die neue Progressive Coalition des Ex-Alliance-Chefs Jim Anderton ist noch mit zwei Sitzen vertreten. Die Grünen wiederum hatten schon vor den Wahlen angedroht, jeder Regierung die Unterstützung zu entziehen, die das Anpflanzungsverbot für genmanipulierte Nahrung wie vorgesehen im Oktober nächsten Jahres auslaufen läßt. Clark dürfte ob des guten Abschneidens der UF ein Stoßseufzer entfahren sein, eröffnete es ihr doch eine Alternative zu den widerspenstigen Grünen (7 Prozent/9 Sitze; 1999: 5,2 Prozent) und zur drittstärksten Partei angewachsenen "Rechtspopulisten" von New Zealand First (NZFP; 10,4 Prozent/13 Sitze; 1999: 4,5 Prozent).

Bei dieser Wahl, faßt Tim Bale, Politologe an der Wellingtoner Victoria University, in der Zeitung The Dominion Post das Ergebnis zusammen, sei es "nicht um Lebensstandard gegangen, sondern um Lebensqualität. Offenbar machen sich nur wenige Neuseeländer Sorgen, wo ihre nächste Mahlzeit herkommen soll. Statt dessen scheint die Linken mehr zu interessieren, aus welcher Art von Anbau die Zutaten stammen. Und die Rechten haben Bedenken wegen dieser windigen Ausländer, die am Nachbartisch essen, und daß bloß nicht die Maori-Gäste vor ihnen bedient werden. Außerdem fürchten sie sich davor, auf dem Heimweg überfallen zu werden. ... Warum sollten die Wähler diese Themen von Bill (English, dem Chef der konservativen National Party/NP) aufgewärmt haben wollen, wenn Winston (Peters, NZFP-Chef) sie frisch und scharf gewürzt auf dem Tisch bringt? Jene Wähler der rechten Mitte schließlich, die ihr Essen etwas fader und leichter verdaulich mögen, haben beschlossen, endlich mal das gemütliche Restaurant schräg gegenüber auszuprobieren, das so ein Typ namens Peter Dunne betreibt."

Dabei hatte sich English in seinen Fernsehspots redlich Mühe gegeben, dem Wähler den Mund nach gutbürgerlicher Hausmannskost wäßrig zu machen. Hätte Clark die Wahlen im November stattfinden lassen, statt sie auf einen Wintertermin vorzuziehen, hätte er sich als echter Kiwi bloke, als ganzer Kerl neuseeländischer Prägung, im Garten beim Grillen saftiger Steaks filmen lassen können. Statt dessen mußte die Wohnküche genügen, in der sich English als aufmerksames Familienoberhaupt gab - besorgt um Gesundheit und Bildung seiner Kinder. Seine sonstigen Fähigkeiten durfte er im Boxring bei einer Wohltätigkeitsveranstaltung zur Schau stellen. Wählerumfragen zeigten, daß das eine sowenig half wie das andere. Zu spät erst beschloß der NP-Parteivorstand, auf einen Wahlkampf umzusatteln, der das Parteiprogramm und nicht die Person in den Vordergrund stellte. Fazit: "Ein Wahlergebnis von 21 Prozent zeigt, daß so ziemlich alles schiefgegangen ist."

Nicht nur der NP, die 12 ihrer 39 Mandate verlor, auch dem von English anvisierten Bündnis mit Richard Prebbles wirtschaftsliberaler Partei ACT erteilten die Wähler eine eindeutige Absage. ACT hatte sich in diesem Wahlkampf vor allem Recht und Ordnung auf die Fahnen geschrieben: längere Haftstrafen, keine Bewährung für Gewaltverbrecher. Für dieses Programm und seine hölzernen Fernsehauftritte im Stil eines gefriergetrockneten Guido Westerwelles begeisterten sich 7,1 Prozent der Wähler.

Winston Peters, den charismatischen NZFP-Vorsitzenden, lieben die Medien als eitlen Dandy und forschen Sprücheklopfer. "Ich verstehe gar nicht, wieso die Grünen so ein Theater um die Erde machen, wo sie doch sowieso meistens auf einem anderen Planeten leben!" war ein gern zitierter Kalauer dieses Wahlkampfes. Politisch gilt Peters als unberechenbar. Allzu gut gefiel er sich 1996 in der Rolle des Züngleins an der Waage.

Weder Labour noch National werden so schnell vergessen, wie er die beiden großen Parteien gegeneinander ausspielte, um sich nach wochenlangen Koalitionsgesprächen schließlich mit National zu einigen - Verlautbarungen während des Wahlkampfes zum Trotz. Für viele Maori ist er gar ein Verräter, weil er sich als Maori gegen Quotenregelungen und für eine schnelle Beilegung aller aus dem Waitangi-Vertrag von 1841 entstandenen Dispute um Land- und Fischereirechte einsetzt.

Der große Sieger dieser Wahl, darin sind sich die Kommentatoren einig, ist das Verhältniswahlrecht, das 1996 zum ersten Mal das Mehrheitswahlrecht nach dem Vorbild des Mutterlandes Großbritannien ablöste. Die Neuseeländer machten eifrig von der Möglichkeit Gebrauch, ihre zunehmende Diversität politisch zum Ausdruck zu bringen. Ebenso entschieden äußerten sie ihre Wünsche bezüglich der Zusammensetzung ihrer neuen Regierung: 56,4 Prozent der Befragten sprachen sich nach der Wahl für ein Abkommen mit United Future aus, nur halb so viele (28,1 Prozent) meinten, Clark sollte lieber mit grüner Unterstützung regieren.

Unter Labour-Wählern ergibt sich ein ganz ähnliches Bild. Allerdings hätte die Mehrheit der Bürger eine Koalitionsregierung bevorzugt statt der Duldung einer Minderheitsregierung, auf die sich Labour nach zehntägigen Verhandlungen mit UF geeinigt hat. Inwieweit die Zugeständnisse, die Dunne der Regierungschefin abringen konnte - die Bildung eines parlamentarischen Ausschusses zur Familienpolitik, Verbesserungen im Straßenbau und Gesetze zum Opferschutz -, seine Partei "ermächtigen", muß sich zeigen. Schließlich, schrieb der Ressortleiter Politik der Aucklander Zeitung New Zealand Herald, John Armstrong, "verdankt Dunne seinen Wahlerfolg der Tatsache, daß er ein Echo der National Party war, das sich besser anhörte als das Original".

Das neue Parlament tritt erstmals am 20. August zusammen. Derzeit steht das 1980 fertiggestellte Regierungsgebäude, der sogenannte Beehive ("Bienenschlag"), noch ganz im Zeichen der Demonstranten vom Maori-Stamm Ngai Tamanuhiri, die seit Anfang des Monats in Wellington gegen den Verkauf der Landzunge Young Nick's Head (Te Kuri a Paoa) im Nordosten der neuseeländischen Nordinsel an einen Amerikaner protestieren. Auch dessen Versprechen, einen Teil des Landes in Form einer Stiftung an Neuseeland zurückzugeben, konnte die Wogen bislang nicht glätten.


 
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