© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    34/02 16. August 2002

 
Zeitschriftenkritik: wir selbst
Wenig Licht, viel Schatten
Werner Olles

Nach längerer Pause ist nun die Ausgabe 1/2002 der Zeitschrift wir selbst erschienen. Neben einigen Texten, die eher an "Jugend schreibt"-Bemühungen erinnern, ragen zwei Aufsätze heraus, die größere Beachtung verdienen: Michael Niers "Deutschlands Aufbruch ins 21. Jahrhundert" und "Sloterdijks Signale - Thesen und Texte zum Paradigmenwechsel der Moderne" von Lothar Penz, einem Solidaristen der ersten Stunde.

Niers Beitrag ist zwar in seiner auffallend unkritischen DDR-Apologetik streckenweise unannehmbar, aber der Autor, bis 1990 Ordinarius für dialektischen und historischen Materialismus in Dresden, Chemnitz und Mittweida, versucht in seiner "kritischen Revue der Deutschen im 20. Jahrhundert" immerhin jenen winzigen Rest einer revolutionären Linken wiederzuerwecken, für die Volk, Nation und Staat nicht primär mit "Faschismus" gleichzusetzen sind. Wer jedoch die (west)deutsche Linke kennt, weiß auch, daß solche gewiß gut gemeinten Versuche im Prinzip zum Scheitern verurteilt sind. Anders als in Frankreich, wo linksrevolutionäre Gruppen wie "Socialisme ou Barbarie" in ihren Aktionstheorien den tödlichen inneren Widerspruch der Linken auf hohem intellektuellen Niveau diskutieren, ist die radikale Linke in Deutschland, von ganz wenigen Einzelerscheinungen abgesehen, aufgrund ihrer moralischen und psychologischen Schwächen zu solch einem Reflektionsniveau unfähig. Die sechs Thesen des Autors, von ihm als "praktische Ideen sozialistischer Politik" bezeichnet, erinnern hingegen stark an ähnliche Thesen des West-Berliner SDS von 1968. Niers Appell an das "Volk von unten mit seinem gesunden Sinn" trägt - angesichts der klassenunabhängigen Fellachisierung der Deutschen - naive Züge. Sein Schlußsatz: "Die DDR wird einer der geistigen Paten des neuen Deutschland" sein, geht an der Realität des sich globalisierenden Kapitalismus und der Neuen Weltordnung vorbei.

Lothar Penz geht in seinem Aufsatz von Sloterdijks apodiktisch vorgetragener These "Die Kritische Theorie ist tot!" aus. Dabei schüttet er sogleich das Kind mit dem Bade aus. Weder gehört Jürgen Habermas in eine Reihe mit Theodor W. Adorno und Max Horkheimer gestellt, noch wollte die "Kritische Theorie" jemals "das von seinen sittlichen Gemeinschaftsbindungen befreite Individuum mit Mediengewalt in einer massengesellschaftliche Gefangenschaft halten".

Dies war das Ziel jener, die wie Habermas die Kritische Theorie im Sinne einer Ideologie der Zivilgesellschaft neutralisierten und entpolitisierten. Horkheimer und Adorno haben dagegen immer beklagt, daß die Gesellschaft "nichts Utopisches mit sich anzufangen weiß". Die 68er-Bewegung verstanden sie als "Teil der zugrunde gehenden westlichen Kultur" und bescheinigten ihr - durchaus weitsichtig - eine "Affinität zur Geisteshaltung der nach der Macht strebenden Nazis". Die Kritische Theorie verdient es differenzierter beurteilt zu werden, als dies hier geschieht.

Anschrift: Verlag S.Bublies, Bergstr. 11, 56290 Schnellbach. Der Einzelpreis beträgt 7 Euro, für Schüler und Studenten ermäßigt 4 Euro.


 
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