© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    34/02 16. August 2002

 
Oberlausitz - die ewige Peripherie
Ein regionalgeschichtliches Werk über einen Landstrich, der fast immer fremd beherrscht blieb
Ekkehard Schultz

Passend zur derzeitigen Ausstellung in Zittau über "Die Habsburger und die Oberlausitz" legt der Leipziger Universitätsverlag einen Sammelband vor, der sich im Rahmen von Aufsätzen mit der Regionalhistorie dieses Grenzraumes seit dem 9. Jahrhundert befaßt.

Damit schließt er zugleich eine Lücke: Lag seit den dreißiger Jahren zumindest eine Überblicksstudie zur Geschichte der benachbarten Niederlausitz vor, so fehlte ein vergleichbares Pendant bislang für das Oberlausitzer Gebiet. Der Zeitpunkt des Erscheinens ist zweifellos günstig gewählt, konnten die Autoren des vorliegenden Bandes doch die Ergebnisse interessanter Lokalstudien polnischer und tschechischer Historiker der letzten Jahre erstmals einbeziehen. Diese haben sich bereits intensiv mit den Nachbarregionen auseinandergesetzt, deren Geschichte natürlich in den Oberlausitzer Raum hereinreicht. Nicht zuletzt soll die nun vorliegende "Geschichte der Oberlausitz" Anregungen zur intensiveren Beschäftigung mit der Thematik für Heimathistoriker bieten und eine Re-Identifizierung mit der Region erleichtern.

Am Beginn der Aufsatzsammlung widmet Herausgeber Joachim Bahlcke, als Historiker an der Universität Leipzig tätig, dem Bewußtsein der Region und ihrer Geschichtsschreibung vom Mittelalter bis zum 20. Jahrhundert ein einführendes Kapitel. Dabei verweist er auf die zentrale Bedeutung, die der "Oberlausitzischen Gesellschaft der Wissenschaften" zu Görlitz - die "Societas Lusatiae" für die Erhaltung, Überlieferung und Sammlung lokalhistorischer Dokumente zukam. Diese Mitte des 18. Jahrhunderts im Geiste der Aufklärung als Gelehrten- und Leseverein gegründete Institution widmete sich über nahezu zwei Jahrhunderte neben naturwissenschaftlichen und literarischen Studien intensiv der landes- und ortsgeschichtlichen Dokumentation. Einen einmaligen Fund stellt bis heute ihre Sammlung mittelalterlicher Geschichtsquellen des Lausitzer Gebietes dar. Große Verdienste erwarb sich die Gesellschaft auch in ihren zahlreichen Arbeiten, die sich mit den kulturellen und historischen Wurzeln des sorbischen Bevölkerungsteiles auseinandersetzen. Ihre Zusammenarbeit mit Historikern und Ortschronisten über die regionalen Grenzen hinaus kann noch heute Vorbildcharakter beanspruchen.

Über viele Jahrhunderte war für die Geschichte der Oberlausitz der starke Sechsstädtebund prägend, zu dem sich 1346 Görlitz, Zittau, Lauban, Löbau, Kamenz und Bautzen zusammenschlossen. Die durch Handel und Gewerbefleiß reich gewordenen Zentralen des Landes hatten im ständischen Gefüge einen mächtigen Einfluß erringen können, der teilweise sogar die Rechte des Landadels erheblich bedrohte. Diesen Vorraussetzungen mußten auch die wechselnden Regenten stets Rechnung tragen, zumal die Lausitz, egal ob unter böhmischer oder sächsischer Herrschaft, stets ein peripherer Raum blieb. Für ein Nebenland erschien eine zentralistische Lenkung nahezu unmöglich. Trotzdem stieß die Macht des Städteverbundes begreiflicherweise auf immer stärkeren Widerstand. Der bekannteste und wirksamste Versuche, in die ständische Ordnung einzugreifen, stellte der Pönfall (Straffall) von 1547 dar. Nach dem Sieg Kaiser Ferdinand I. im Schmalkaldischen Krieg hatte er die mangelhafte Bereitschaft der Städte zur Bereitstellung von Knechten zum Anlaß genommen, ihre Autonomierechte für mehrere Jahre praktisch auszulöschen. Durch diese Maßnahme, die mit Strafzahlungen in beträchtlicher Höhe korrespondierte, konnte sich der Landadel, der die Städte geschickt beim Kaiser "angeschwärzt" hatte, vorübergehend eines wesentlichen Machtzuwachses erfreuen. Trotzdem schafften es die lausitzischen Städte bis 1562, die meisten verlorenen Rechte wiederzuerlangen, wie Steuerrechte und die Verwaltungsgerichtsbarkeit im Inneren. Damit blieb ihnen das Schicksal vergleichbarer böhmischer Städte erspart, die ihre einstige Macht durch die ständigen Eingriffe kaiserlicher Statthalter nie mehr annähernd wiederherstellen konnten.

Die sich weitestgehend an der Chronologie der politischen und kulturellen Ereignisse orientierende Aufsatzsammlung zeigt, daß für die Oberlausitz das Fehlen eines unmittelbaren Territorialherrschers konstruktive Eigenentwicklungen begünstigte. Andererseits war die Oberlausitz durch ihre exponierte Lage zwischen Sachsen, Schlesien, Brandenburg-Preußen und Böhmen nie ein Ort, der sich von äußeren Entwicklungen abkoppeln konnte. Eher ist vom Gegenteil auszugehen: Durch das Fehlen eines unmittelbaren "Landesvaters" wurde der Oberlausitz häufig ein geringerer Schutz zuteil, als Gebieten in zentralerer Lage. Die Städte und Gemeinden waren Plünderungen der Heere nahezu schutzlos ausgeliefert, zuletzt in großem Umfang im Siebenjährigen Krieg (1756 - 1763). Diese Lage an der Peripherie blieb auch unter den veränderten Bedingungen nach dem Wiener Kongreß von 1815 erhalten. Schließlich hat für die Oberlausitz das Fehlen des benachbarten schlesischen Hinterlandes seit 1945 und die Vernachlässigung dieser Region in der DDR schwere Hypotheken hinterlassen, die durch die heutige hohe Arbeitslosigkeit und die starke Abwanderung der Jugend trotz des Engagements der Städte und des Sächsischen Freistaats noch längst nicht abgetragen werden konnten.

Im Abschlußkapitel widmet sich der auch graphisch gut aufbereitete Band der Geschichte und Kultur der Sorben in der Oberlausitz. Eine ausführliche Bibliographie, die auch die bereits erwähnten regionalgeschichtlichen Veröffentlichungen polnischer und tschechischer Historiker der letzten Jahre einschließt, ermöglicht einen leichten Rückgriff auf wesentliche historische Quellen. Letztlich kann man den Wünschen des Herausgebers und der Autoren, mit dem Werk nicht nur einen ersten, längst überfälligen Sammelband zur kultur- und politikgeschichtlichen Aufarbeitung der Oberlausitz vorzulegen, sondern zugleich im besten Sinne des Wortes "heimatbildend" zu wirken, nur viel Erfolg wünschen.

 

Joachim Bahlcke (Hrsg.): Geschichte der Oberlausitz - Herrschaft, Gesellschaft und Kultur vom Mittelalter bis zum Ende des 20. Jahrhunderts. Leipziger Universitätsverlag, Leipzig 2001, 368 Seiten, 21,50 Euro


 
Versenden
  Ausdrucken Probeabo bestellen