© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    34/02 16. August 2002

 
Die Schaffung einer gesellschaftlichen Hypothek
Stefan Luft kritisiert die jahrelange Verweigerung der Politik, sich der Einwanderer nach Deutschland und ihrer Integration anzunehmen
Detlef Kühn

Noch immer versuchen die etablierten Parteien, die Ausländerfrage in Deutschland aus Wahlkämpfen herauszuhalten. Zwar hat die Union erst kürzlich dem Bundespräsidenten angedroht, das Thema Ausländerpolitik im Bundestagswahlkampf zu thematisieren, falls er das unter dubiosen Umständen im Bundesrat verabschiedete neue Zuwanderungsgesetz unterzeichne. Jetzt, nachdem die Unterzeichnung dennoch erfolgt ist, ist von all dem schon nicht mehr die Rede. Das Schweigekartell wird wieder in Kraft gesetzt. Der angeblich mündige Wähler mit seinem in den Augen der politischen Klasse beschränkten Untertanenverstand soll sich auch weiterhin um das für die Zukunft Deutschlands und Europas wichtige Problem nicht kümmern. Das Scheitern der bisherigen, völlig konzeptionslosen und unkontrollierten Zuwanderungspolitik ist zwar offenkundig, dennoch gilt als Fremdenfeind, wer es wagt, den Finger auf die Wunde zu legen. Unser politisches Establishment tut zwar nichts, möchte aber weiterhin dabei nicht gestört werden. Man muß kein Prophet sein, um vorauszusagen, daß gewalttätige Ausbrüche des aufgehäuften Spannungspotentials die Folge sein werden. Dazu kommt der absehbare Zusammenbruch unseres Sozialsystems, das den immensen finanziellen Anforderungen von Millionen Einwanderern einfach nicht gewachsen sein kann.

Wer es als Wähler oder "einfaches" Mitglied unserer Parteien trotz des verordneten Schweigegebots dennoch wagen möchte, diese Thematik im Bundestagswahlkampf und danach anzusprechen, findet in dem hier anzuzeigenden Werk von Stefan Luft eine umfassende, durchweg auf Fakten und Zahlen gestützte Darstellung der Problematik. Sie ist leicht lesbar und gut verständlich. Eine bessere Darstellung der Ursachen und Folgen unserer völlig verfehlten Ausländer- und Ausländerintegrationspolitik kann man sich kaum wünschen. Mit ihr kann und muß man unsere diskussionsunwilligen Politiker stellen.

Stefan Luft, geboren 1961, studierter Historiker und Politologe mit journalistischem Hintergrund, konnte in den Jahren 1995 bis 1999 als persönlicher Referent und Pressesprecher des Bremer Innensenators Ralf Borttscheller (CDU) einschlägige Erfahrungen sammeln. Heute ist er in Bremen stellvertretender Sprecher des Senats und Sprecher des Senators für Finanzen Hartmut Perschau (CDU), also immer noch mit der Ausländerproblematik vertraut. Dabei wurde er offenbar so ernüchtert, daß er in seinem Buch Klartext redet. Im ersten Drittel beschäftigt sich Luft mit der mehr denn je "ungesteuerten Zuwanderung nach Deutschland". Vor allem nach der Errichtung der Mauer 1961, als der Zustrom von Deutschen aus der DDR ausblieb, drängte die Wirtschaft auf Anwerbung von "Gastarbeitern". Man erwartete, daß sie einige Jahre hier arbeiteten und dann mit ihren Ersparnissen in die Heimat zurückkehrten. Darüber, was geschehen solle, wenn sich diese Hoffnung nicht erfüllt, machte man sich keine Gedanken. So kamen bis 1973 2,39 Millionen Arbeitskräfte nach Deutschland, die meist im Niedriglohnbereich beschäftigt wurden. Die Zahl der Ausländer betrug damals knapp vier Millionen. Heute sind es doppelt so viele.

Schon 1973 wurde ein Anwerbestopp für Gastarbeiter verfügt, weil man weitere Arbeitskräfte dieser Qualifikation nicht benötigte. Dennoch ging die massenhafte Einwanderung - trotz bereits damals hoher Arbeitslosigkeit - jetzt erst richtig los. Die Gründe hierfür schildert Luft eingehend. Sie liegen vor allem im Nachzug von Familienangehörigen sowie in der verbreiteten Gewohnheit, Ehepartner im Heimatland zu suchen, was zwar die Integration der sprachunkundigen jungen, meist türkischen Frauen und später ihrer Kinder außerordentlich erschwert, aber dafür zu dem Anwachsen der Ausländerzahlen beiträgt.

Der zweite wichtige Grund ist die Asylpolitik. Allein von 1990 bis 2000 haben bei uns rund zwei Millionen Menschen Asyl beantragt, womit Deutschland weltweit einen Spitzenplatz einnimmt. Zwar werden höchstens acht Prozent anerkannt, dennoch bleiben die meisten dieser Einwanderer in Deutschland. Mit jahrelangen Klagen durch alle Instanzen, Folgeanträgen und allerlei Verfahrenstricks, vorläufigen Bleiberegelungen, Scheinehen, Vernichtung der Personalpapiere und organisiertem Widerstand gegen Abschiebungen kann man den Aufenthalt in Deutschland trotz fehlender Asylgründe fast beliebig ausdehnen. Ist man erst einmal mehrere Jahre im Lande, greifen irgendwann eine Altfallregelung oder Härteklausel, die vor allem eines beweisen, nämlich daß sich bei uns Mißachtung des geltenden Rechts durchaus lohnt. Luft konstatiert eine Krise des Rechtsstaats und bei den ausländischen Nutznießern eines solchen Verhaltens eine unverhohlene Verachtung unserer staatlichen Ordnung. Da Abschiebungen immer weniger durchsetzbar sind, entstehen Schäden in Milliardenhöhe zu Lasten der Sozialetats und als Folge der Aktivitäten von in den Untergrund abgetauchten Kriminellen.

Parallel zu den weiterhin wachsenden Ausländerzahlen läßt die Integrationsfähigkeit der Deutschen immer mehr nach. Am Beispiel von Duisburg, Hamburg und Berlin schildert Luft eindrucksvoll die Ghettobildung in den Großstädten, wo vor allem Türken inzwischen eine Infrastruktur aufgebaut haben, die es ihnen ermöglicht, ohne deutsche Sprachkenntnisse hier zu leben. Geschäfte, Gaststätten, Banken, Reisebüros und Ärzte sind türkisch; mit Deutschen kommen die Bewohner nur noch zusammen, wenn sie zum Arbeitsamt oder Sozialamt gehen. Das tun allerdings die meisten von ihnen. In Hamburg sind ein Fünftel der ausländischen Erwerbspersonen arbeitslos; der Ausländeranteil an den Sozialhilfeempfängern liegt bei 35 Prozent. In Berlin ist die Arbeitslosenquote der Ausländer mit 34,1 Prozent noch höher. Nicht einmal jeder zweite erwerbsfähige Türke hat hier Arbeit. Viele von ihnen sind selbständig oder mithelfende Familienangehörige, von denen allerdings auch ein Teil bald wieder in die Arbeitslosigkeit zurückfällt. 90 Prozent der arbeitslos gemeldeten Türken in Berlin haben keine abgeschlossene Berufsausbildung. Obwohl die meisten von ihnen schon in Deutschland geboren sind, sprechen sie schlecht deutsch. Die Schulen vor Ort sind mit der Integrationsaufgabe überfordert. Die besser gestellten Deutschen und auch Türken haben die Ghettos längst verlassen, in denen unter den ausländischen Jugendlichen eine hohe Gewaltbereitschaft herrscht.

Ausführlich schildert Luft den Islamismus in Deutschland, dem er eine besonders integrationsfeindliche Haltung vorwirft: "Die Intoleranz des Islamismus, seine Propaganda gegen die westliche Zivilisation, den Pluralismus und den demokratischen Rechtsstaat mit Gewaltenteilung und Meinungsfreiheit und nicht zuletzt die Ablehnung der Menschenrechte machen ihn zwangsläufig zu einer der Hauptursachen von Integrationsverweigerung." Dennoch rufen islamistische Organisationen dazu auf, die deutsche Staatsangehörigkeit zu beantragen, um auf diese Weise ihren politischen Einfluß in Deutschland zu erhöhen. Den damit verbundenen Verlust der türkischen Staatsbürgerschaft kann man mit Hilfe türkischer Stellen leicht umgehen, so daß auch die unerwünschte doppelte Staatsangehörigkeit zunimmt.

Luft kommt in seiner Untersuchung zu dem Ergebnis, daß das Integrationsangebot, das Deutschland seinen ausländischen Mitbürgern gemacht hat, an deren Unwillen zur Integration gescheitert ist. Jetzt helfe nur noch die Integrationspflicht. Sie könne nur gelingen, wenn die Ausländer willens und in der Lage sind, ihre "kulturelle Distanz" zum Gastland zu überwinden, und ihre ungewollte und ungeplante Zuwanderung unterbunden werde. Der "multikulturellen Gesellschaft" erteilt er eine Absage und zitiert Altbundeskanzler Helmut Schmidt: "Weder die Franzosen noch die Polen, weder die Engländer, Holländer, Italiener oder Tschechen halten eine Umgestaltung ihrer Nation in eine 'multikulturelle Gesellschaft' für erstrebenswert - wozu also unser deutsches Gerede darüber?" Ja, wozu? Die Antwort findet sich ebenfalls bei Luft, der einen der Protagonisten dieser Idee mit den Worten zitiert, er wolle "die Überwindung des völkischen Nationalstaates durch den Aufbau einer multiethnischen Einwanderungsgesellschaft." Nachdem es nicht gelang, die Wiedervereinigung zu verhindern, soll jetzt offenbar die Substanz des deutschen Volkes vernichtet werden.

Stefan Luft: Mechanismen, Manipulation, Mißbrauch: Ausländerpolitik und Ausländerintegration in Deutschland (Bibliothek Wissenschaft und Politik, Bd. 63). Verlag Wissenschaft und Politik, Köln 2002, 211 Seiten, 20 Euro


 
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