© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    34/02 16. August 2002


Nahtlose Übergänge zwischen Diktatur und Demokratie
Eine Düsseldorfer Tagung: Akademiker im Dritten Reich und in der frühen Bundesrepublik
Ulrich Hamester

Unter den Akademikern scheinen die Hochschulmediziner diejenigen zu sein, deren NS-Vergangenheit am wenigsten erforscht ist. Dies ist der beherrschende Eindruck den Karen Bayers Internet-Bericht ( h-soz-u-kult@h-net.msu.edu  ) über die Tagung "Universitäten und Hochschulen im Nationalsozialismus und in der frühen Nachkriegszeit" vermittelt, die im Juni vom Institut für Geschichte der Medizin an der Düsseldorfer Universität ausgerichtet wurde (siehe JF 25/02).

Obwohl das Metier der "Götter in Weiß" hochgradig praxisrelevant und damit politisch funktionalisierbar war und ist, konzentrierte sich die Wissenschaftsgeschichte bisher auf ein paar exemplarische Fälle der seit Alexander Mitscherlichs Dokumentation von 1948 sogenannten "Medizin ohne Menschlichkeit". Auf diesen ausgetretenen Pfaden bewegten sich leider auch Beiträge über die hinlänglich bekannte Verwicklung des Leipziger Pädiaters Werner Catel in die "NS-Kindereuthanasie"und über Patientenmorde, die, so die These Michal Simuneks (Prag) im Protektorat Böhmen und Mähren die Grenzen zwischen Euthanasie und Germanisierungspolitik verwischten. Auch Karen Bayers Vortrag über "Die Medizinische Akademie Düsseldorf zwischen Diktatur und Demokratie", die personelle Brüche und Kontiniuitäten vor und nach 1945 thematisierte, hatte wieder einmal die Eugenik im Auge, berührte aber in der Frage der "Schwangerschaftsabbrüche nach Vergewaltigungen durch Angehörige westalliierter Streitkräfte" immerhin ein recht unbekanntes Kapitel der westdeutschen Geschichte der "Befreiung".

Insgesamt bewiesen die Referenten wenig Mut, sich neuen Paradigmata und innovativen Methoden zuzuwenden. Gerade bei den Historikern sozialwissenschaftlicher Disziplinen fiel das auf. Daher durfte Carsten Klingemann (Osnabrück) einmal mehr mit seinen angegrauten Thesen zur Institutionalisierung der Nachkriegssoziologie aufwarten, die einstigen, partiell in Himmlers "Generalplan Ost" involvierten "Volks- und Raumplanern" gerade deshalb geglückt sei, weil die westalliierten Besatzer diese Fachleute für Bevölkerungsverschiebungen als "Flüchtlingssoziologien" benötigt habe. Christoph Jahr (Berlin) ordnete das von dem Berliner Wehrwissenschaftler Oskar Ritter von Niedermayer geleitete, 1937 installierte, 1942 wieder stillgelegte Schneidemühler Institut für Heimatkunde mit Hilfe altbewährter Schablonen bundesdeutscher Vergangenheitspolitik wacker ein als Forschungsarbeit im Dienst des "imperialen Eroberungskrieges und rassisch fundierter Neuordnung Europas". Der Ordenspater Elias H. Füllenbach (Köln), der sich in der katholischen Geistesgeschichte eigentlich besser auskennen sollte, stilisierte den Wiener Literaturhistoriker Josef Nadler - nach 1933 als "Ultramontaner" verdächtigt und von NS-Seite dem weltanschaulichen Umfeld Othmar Spanns zugerechnet - zum "wichtigsten Vertreter der Germanistik während des Nationalsozialismus".

Angesichts solcher, ideologischen Befangenheiten geschuldeten Fehlgriffe wirken "Zweitverwertungen" fast wie Fortschritte der Forschung: so etwa die Referate von Henrik Eberle und Joachim Lerchenmüller, die den Inhalt ihrer Publikationen über die Universität Halle im Dritten Reich (JF 27/02) und die SD-Wissenschaftspolitik (JF 31-32/02) in Kurzfassung boten.

Auch Annette Schröder (Hamburg) bedient sich des mittlerweile standardisierten Interpretationsmusters von der "reaktionären Moderne", wenn sie sich den "Männern der Technik" und ihrem Verhältnis zum Nationalsozialismus zuwendet. Doch ist in der Geschichte der Ingenieurswissenschaften nach 1933 der positivistische Nachholbedarf so groß, daß hier vielleicht verständlich erscheint, wenn das Datenmaterial zunächst in hergebrachter Form kanalisiert wird. Darum resümiert Schröder, am Beispiel der Studenten der TH Hannover, für alle wenig überraschend, denen Modernität und Nationalsozialismus kein Widerspruch ist: Obwohl die Ausbildung von Rationalität, Sachverstand und Objektivität geprägt war und die Lehrveranstaltungen frei von spezifischer NS-Ideologie blieben, lasse sich ein "stark nationalsozialistisch beeinflußter, durch die Rückbindung von technokratischen Planungsutopien an ein 'wesenhaftes Gefühl' gekennzeichneter, ideologischer Mainstream" nachweisen. Nach 1945 hätten dann Deutungsmuster von den "unpolitischen Technikern", die scheinbar nur "sachlichen" Kriterien folgen, dazu beigetragen, die Ingenieurswissenschaften zu exkulpieren und ihren Weg in die Nachkriegswissenschaft zu ebnen.

Ähnlich "nahtlos", wie Holger Alex (Braunschweig) anhand der Luftfahrtforschung an der TU Braunschweig 1926-1954 zeigt, hätte sich auch ein rüstungswirtschaftlich so eminent wichtiger Zweig der Ingenieurswissenschaften in die neuen bundesdeutschen Verhältnisse integriert.


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