© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    34/02 16. August 2002

 
Urlaubszeit: Das Wetter macht auch vor Sandskulpturen nicht halt
Eckiger Sand und Sommerfreuden
Steffen Königer

W as für ein Sommer ist das eigentlich? Haben sich alle Tiefausläufer verschworen und sich vorgenommen, gemeinsam über Mitteleuropa dem Tourismusgeschäft ein dicken, fetten Strich durch die Rechnung zu machen? Sommergewitter sind zwar etwas feines - aber eben nur, wenn sie nach einer schwülen Periode für Abkühlung sorgen und nicht beim Blick nach draußen eher November-Wetter vermuten lassen.

Trotzdem, endlich Urlaub, dachte sich der JF-Redakteur Ende Juli und wollte seine Seele mal so richtig am Strand von Travemünde baumeln lassen. Endlich sich das "Muddi, hast Du irschendwo mäne Schibbe gesääen?" geben, und in der nächsten Sekunde dem Sand ausweichen müssen, der vom Junior der benachbarten Sandburgen-Verteidiger auf das eigene Handtuch verbracht wird. Ach, was hätte man dafür gegeben. Aber: Pustekuchen! Leere Strandkörbe, verwaiste Strände, Anorakträger auf der Uferpromenade, wozu eine Sonnenbrille dient, weiß man allenfalls noch aus der Broschüre "mach mal Urlaub".

Nicht mal auf der "Travemünder Woche" war etwas los, jedenfalls nicht das, was man sich von solcher Veranstaltung im Hochsommer verspricht. Wie gut, daß da findige Leute waren, die erstmals in Deutschland etwas ausprobieren wollten: Man baute auf Sand! Nein, Politiker haben damit nichts zu tun. Es handelt sich um 70 Künstler aus Australien, Amerika, Belgien, Holland und Frankreich, die am gegenüberliegenden Ufer, dem Priwall, auf 15.000 Quadratmeter Sandburgen bauten. Das erste deutsche Sandskulpturenfestival in Travemünde. Und das sind Burgen und Skulpturen, die jeden Junior und Hobbykleckerburgenbauer vor Neid völlig erblassen lassen. Um die Größe dieser Bauwerke zu erreichen, mußten extra 7.000 Tonnen Sand aus der Maas bis nach Travemünde per Schiff importiert werden. Hätte man dafür nicht auch den Ostsee-Sand nehmen können, fragt man sich unwillkürlich, schließlich ist der ja sonst immer überall - selbst nach dem Ende des Urlaubs noch in sämt-lichen Sachen.

Hätte man schon, nur damit sind keine Burgen zu bauen, die bis zu 20 Meter hoch werden und mehrere Monate halten. Baden war ja nun nicht, da der große, gelbe Ball am Himmel nicht zu sehen war. Also 5,50 Euro bezahlt, rauf auf die Fähre und rein in die "Sand World". "Das Geheimnis ist der Sand aus der Maas. Der ist eckig", klärte mich eine Mitarbeiterin auf. "Nicht wie unserer hier, der runde Strukturen hat." Aha, eckiger Sand! Breites Grinsen in meinem Gesicht: Veräppeln kann ich mich auch allein, dachte ich, aber eine Probe in meiner Hand ließ mich doch stutzig werden: das fühlte sich wirklich rauher an. Ein kalter Schauer lief mir über den Rücken - den in der Badehose zu haben, ist wohl kein Vergnügen... Ach ja richtig, Baden ist ja nicht!

Vor dem Herausschnitzen aus den riesigen Bergen wird der Sand in Kisten - sogenannten Mallen, die je nach Bedarf Zylinder oder Würfel sein können - zusammengeschüttet und festgestampft, wie man den Bildern am Eingang entnehmen konnte. Nach Trocknung wird die Hülle entfernt und fertig ist der Sand-Stein. Jedenfalls wird von einer "Stein-ähnlichen Festigkeit" gesprochen. Nun "schnitzten" die Künstler von oben beginnend ganze Geschichten der Hanse aus dem Sand: Störtebecker, Karl den IV., Kaufleute, Fischer, Seeräuber, Schiffbrüche und die gesamte historische Altstadt von Lübeck. Drei Wochen schwitzten und schufteten die 75 Künstler mit Werkzeugen, die sie "Tools" (Kran, Schippe oder Maurerkelle) oder "Tooltjes" (Pinsel, Strohhalm oder Cutter-Messer) nennen, drauflos.

Sonst sind Veranstaltungen dieser Art im niederländischen Badeort Scheveningen und in Almere, im belgischen Küstenort Zeebrügge, im französischen Hardelot und sogar im chinesischen Zhousang beheimatet. Dort sind die Bauten auch im Guiness-Buch der Rekorde verzeichnet: Satte 20,91 Meter erreichte eine Figur in Almere - die stand sogar fast ein Jahr.

In der Broschüre schrieb man stolz, daß die Skulpturen mühelos Windstärke sieben, Regen und Sonne überstünden wie deutscher Kruppstahl. Von über zwei Jahren war zu lesen, die eine Skulptur im sonnigen Kalifornien den Wetterumständen trotzte. Eine Figur, die man in einem Gebäude herstellt, könne theoretisch "ewig bestehen". Bloß mit dem deutschen Sommer dieses Jahres hatte man nicht gerechnet. Davon stand noch nichts geschrieben. Windstärke zwölf und Wassermassen vom Himmel, die die Rekordmarke von 96 Litern pro Quadratmeter erreichten, ließen am 17. Juli die Altstadt von Lübeck am Ufer von Travemünde aussehen wie seinerzeit nach den alliierten Bombenangriffen. Bei den ganzen mühevoll ausgekratzten Fischern, Marktschreiern und Waschweibern ein ähnliches Bild: "Neunzig Prozent der Figuren verloren ihre Köpfe", berichtete ziemlich resigniert die Mitarbeiterin. Die Hoffnungen auf einen Riesenerfolg der Ausstellung flossen dahin. Man überlegt, die Ausstellung, die am 12. Juli aufmachte, noch nicht am 25. August zu schließen. Die meisten Figuren wurden repariert, jedoch ist es unmöglich gewesen, alles wieder aufzubauen.

Wie das so ist mit solchen Ausstellungen, kaum geht man hinein, strahlt die Sonne wieder, als hätte es nicht gestern wie aus Kübeln gegossen. Wie gut, daß alle Sandburgen im Freien stehen, so konnte die Sonnenbrille endlich ihrer Bestimmung folgen. Dem anschließenden, wohlverdienten Nickerchen am Strand folgte das jähe Erwachen: Nach zwei Stunden erwischte mich ein kleiner Hartgummiball am Rücken - genau da, wo der Sonnenbrand entstanden ist, der noch am Morgen nicht zu sehen war. Und das trotz der Sonnencreme, die zwar aufgetragen, jedoch vom feinsten Ostseesand schön überzuckert wurde. Gut, daß wir hier den runden Sand haben. "Duhu Muddi, im Wassor is keen Blatz meor..." Da waren sie wieder, die Freuden des Sommers!


 
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