© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    35/02 23. August 2002


Einbrüche von Realität
von Baal Müller

Eifrig ermahnen sich die Politiker derzeit gegenseitig, die schreckliche Flutkatastrophe in Mitteldeutschland nicht für Wahlkampfzwecke "zu instrumentalisieren". Selbstverständlich tun sie nichts anderes, wenn sie hemdsärmelig von einem Damm zum anderen eilen, Milliardenhilfen von der EU fordern und Katastrophenfonds einrichten wollen. Dieser Polit-Tourimus nervte den liberalen Dresdener Oberbürgermeister Ingolf Roßberg so sehr, daß er sich vor laufender Kamera weitere Besucher verbat. Was aber ist eigentlich so schlimm an solcher "Instrumentalisierung"?

Es ist doch allemal sinnvoller, wenn wirkliche Probleme im Mittelpunkt der öffentlichen Diskussion stehen und nicht die Endlosdebatten über den neuesten Literatenstreit, den häufigsten Bonusflieger, die mißlungenste Plakataktion oder den albernsten Containerauftritt. Das Problem ist also nicht, daß die Flutkatastrophen im Wahlkampf thematisiert werden, sondern daß sie bald wieder aus den Leitartikeln und Fernsehdiskussionen verschwinden, bis in einigen Monaten die nächste Jahrhundertflut, Jahrhunderthitze oder Jahrhundertkälte zu vermelden ist.

Es ist derzeit nicht zu erwarten, daß solche Einbrüche von Realität in die Sendestudios, Zeitungsredaktionen und Wahlkampfzentralen den alltäglichen Unsinn dauerhaft wegspülen könnten; ein reinigendes Unwetter ist nicht in Sicht, auch wenn die Bild-Zeitung unlängst titelte, daß "Deutschland zusammenrückt".


 
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