© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    35/02 23. August 2002

 
PRO&CONTRA
Sind Flutkatastrophen eine Folge des Klimawandels?
Friedrich-Wilhelm Gerstengarbe / Heinz Miller

Eine einzelne Flutkatastrophe kann natürlich kein Hinweis auf einen Klimawandel sein. Die wir gerade erleben, ist als Einzelereignis auch kein Zeichen dafür. Aber: Wenn wir die Extreme betrachten, und zwar in der globalen Summe zusammenziehen und sich diese Extreme in ihrer Häufigkeit verändern, dann haben wir einen Indikator für eine Klimaänderung. Genau das ist es, was zur Zeit passiert: Die Extreme nehmen weltweit zu, sie haben sich in den letzten 50 Jahren vervierfacht. Damit haben wir einen deutlichen Indikator für eine Änderung des Klimas.

Das Klima befindet sich normalerweise in einem ziemlich stabilen Gleichgewichtszustand. Da gibt es Auslenkungen nach unten und nach oben, daß heißt, es treten auch Extreme auf, aber sie weichen nicht weit vom mittleren Zustand ab. Wenn das Klima instabiler wird, dann wird die Schwankungsbreite dessen, was möglich ist, größer. Das heißt auch, die Extreme werden häufiger. Wir kennen das vom Übergang Klimaoptimum Hochmittelalter zur "kleinen Eiszeit". Da gab es auch eine Periode mit gehäuft Extremen. Die Klimaänderung kann auch an der Änderung der Meßdaten abgelesen werden. In den letzten 100 Jahren stieg die Temperatur global um 0,6 Kelvin an. In Europa war die Erwärmung wesentlich stärker. Es gibt immer das Argument, daß dies alles schon dagewesen sei. Das ist völlig richtig. Es gab auch schon stärkere Änderungen der Temperatur, so zum Beispiel eine Zunahme in Mitteleuropa in 50 Jahren um 7 Kelvin vor etwa 10.000 Jahren.

Es wird wärmer, das ist ein Fakt. Alle seriösen Untersuchungen zeigen, daß die bisherige und zu erwartende Erwärmung mit mehr als 60 Prozent auf den durch den Menschen verursachten zusätzlichen Treibhauseffekt zurückzuführen ist. Für den verbleibenden Prozentsatz sind natürliche Faktoren verantwortlich.

 

Dr. Friedrich-Wilhelm Gerstengarbe ist stellvertretender Abteilungsleiter im Potsdamer Institut für Klimafolgenforschung (PIK).

 

 

Die Eindrücke und Bilder der Flutkatastrophe sind schreckliche. Gemildert zwar durch die Distanz, die das Fernsehen an sich hat, werden dennoch die Leiden der Betroffenen deutlich. Die Hilfsbereitschaft in Deutschland und den Nachbarländern steigt. Davon zeugt der überwältigende Spendeneingang und die persönliche, tat­kräftige Hilfe vieler Menschen. Die Not schweißt zusammen, doch die Folgen der Flut werden für jeden einzelnen Betroffenen noch lange spürbar blei­ben.

Unmittelbar einsichtig ist, daß man sich die Frage stellt, ob diese Flutkatastrophe hätte verhindert oder ihre Folgen gemildert werden können. Die richtige Anwort auf diese Frage ist für die Zukunft von Bedeutung, weil wir daraus Handlungswissen gewinnen können. Richtig angewandt und umgesetzt wird dieses Handlungswissen künftige Flutereignisse, die mit Sicherheit unausweichlich sind, nicht mehr zu Kata­strophen ausarten lassen. Allzuleicht aber gerät dieser vordringlich wichtige Aspekt in Vergessenheit, wenn ständig die Frage gestellt wird, wer denn die Schuld an der Katastrophe trage. Gewiß ist, daß lang andauernder Starkregen, bedingt durch eine besondere Wetterlage, die Flut verursacht hat. Wer für diesen Starkregen verantwortlich ist, kann nicht zwei­felsfrei geklärt werden, da allenfalls Indizienketten zusammengefügt werden kön­nen, deren Beweiskraft für einen Richterspruch nicht ausreicht.

Wir haben also zwei Ebenen, die wir betrachten müssen, und die Schuldfrage an sich ist von untergeordneter Bedeutung, wenn es darum geht, Vorsorgemaßnahmen, die künftige Flutkatastrophen dieses Ausmaßes verhindern könnten, abzuleiten. Hier ist ökologischer, ökonomischer und technischer Sachverstand gefragt.

Gewiß ist aber, daß unser Klima nie gleichförmig war und sein wird, daß extreme Wetterereignisse immer wieder eintreten werden und daß Vorsorge not tut.

 

Prof. Dr. Heinz Miller ist Leiter der Sektion Geophysik und Glaziologie und stellvertretender Direktor des Alfred-Wegener-Instituts für Polar- und Meeresforschung.


 
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