© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    35/02 23. August 2002

 
Zweite Front in Südostasien
Indonesien: Islamistische Bewegungen auf dem Vormarsch / Wirtschaftlich erfolgreiche chinesische Minderheit zunehmend bedrängt
Albrecht Rothacher

Für den "Krieg gegen den Terror" ist Südostasien nach der arabisch-zentralasiatischen Welt die "Zweite Front". Washington befürchtet, Osama bin Laden und sein al Quaida-Netzwerk könnten bei islamistischen Sympathisanten im südphilippinischen Aufstandsgebiet von Mindanao oder auf einer der 13.000 Inseln des weitgehend unregierbar gewordenen Indonesien untertauchen und von dort mit einheimischen Piraten, renegaten Militärs oder den politkriminellen Banden von Abu Sayyad, Lasker Jihad und der Islamischen Verteidigungsfront FPI rechtsfreie Zonen nutzen und Anschläge auf Schiffahrt, Touristen und US-Einrichtungen unternehmen.

Dabei gilt das indonesische Inselreich mit seinen 300 Völkern und 360 Sprachen, zahlreichen Aufstands- und Unruhegebieten, die von Aceh - dem islamistischen Nordzipfel Sumatras im Westen - bis zu dem von Melanesiern bewohnten Papua, der Westhälfte Neuguineas, im Osten reichen, als Hauptsorgenkind. Und das korrupte, unterbezahlte Militär sowie die Polizei verkauften gerne Waffen und Munition an aufständische Banden, sofern sie nicht selbst an Plünderungen teilnehmen.

Eine intensive Besuchsdiplomatie, bei der sich US-Außenminister Colin Powell, Verteidigungsminister Donald Rumsfeld und sein Vize Paul Wolfowitz in Jakarta die Klinke in die Hand gaben, sowie die Umschuldungsprogramme des Internationalen Währungsfonds (IWF) - es geht um 5,4 Milliarden Dollar, die das ölreiche Land nicht bedienen kann - sollten das zögerliche 200-Millionen-Land und seine Nachbarn auf Vordermann bringen. Präsidentin Megawati, als Tochter des Gründungspräsidenten Sukarno und Chefin der "Demokratischen Partei - Kampf" (PDI -P) eigentlich im nationalistisch-laizistischen Lager, gilt jedoch als chronisch entscheidungsschwach, zumal sie ihre Koalition mit ihrem islamistischen Vizepräsidenten Hamzah Haz, der offen mit der Lasker Jihad und der gewalttätigen FPI sympathisiert, nicht riskieren will. Schließlich hatte der Druck aus Washington Erfolg: Alle Asean-Länder unterzeichneten kürzlich mit den USA ein Abkommen gegen den Terror. Ob den Indonesiern die Umsetzung gelingen wird, steht in den Sternen.

Allein die versprochene Militärhilfe hat es in sich. Nach den Massakern, die das indonesische Militär und die von ihm ausgerüsteten Milizen im August 1999 im katholischen Ost-Timor angerichtet hatten, wurde Indonesien von den westlichen Ländern die Militärhilfe, die zuvor reichlich floß und nach Ansicht des australischen Ex-Außenministers Gareth Evans nur effektivere Folterknechte hervorgebracht hatte, gesperrt. Das Militär war erbost, daß über 90 Prozent der 1975 annektierten Osttimoresen für die Unabhängigkeit gestimmt hatten. Nach der Flucht der Uno zerstörten die örtlichen Truppen mit Wissen von Generalstabschef Wiranto die Hauptstadt Dili und massakrierten systematisch alle jene, die als Lehrer, Priester, Unternehmer und Politiker nach der Unabhängigkeit, die in diesem Sommer erfolgte, nützlich sein würden. Solange diese Massenmorde noch ungesühnt sind, will der US-Senat weiter die vom Pentagon geplanten Anti-Terrormittel von 21 Millionen Dollar blockieren.

Doch Terror und Gegenterror gibt es seit dem Sturz Suhartos im Jahre 1998 zuhauf. General Suharto hatte nach den Morden an rund 500.000 chinesischen "Kommunisten" im Jahre 1965 die Macht ergriffen, sich selbst und seinen Klan mit einem auf 50 Milliarden Dollar geschätzten Privatvermögen schamlos bereichert, doch mit eiserner Hand ethnische und religiöse Unruhestifter - einschließlich aller politisierender Islamisten - bis in die neunziger Jahre unterdrückt.

Beim Sturz des verhaßten Diktators kamen 1998 bei den in Indonesien unvermeidlichen Plünderungen der chinesischen Geschäfte und Wohnviertel mindestens 1.600 Menschen ums Leben. Seither zeigt sich auch in Indonesien, daß Multikultur und Demokratie sich mangels gemeinsamer Werte und Normen einander ausschließen. Eine Vielzahl blutiger interethnischer und -religiöser Konflikte erschüttern das Inselreich.

l Auf Borneo (Kalimatan) vertreiben seit 1999 systematisch die eingeborenen Dajak Kopfjäger-Stämme die zu hunderttausenden aus den übervölkerten Inseln Java und Madura Eingewanderten. Eigentlich friedfertig und gutmütig fühlen sich die Dajak zunehmend in ihrer mit dem Dschungel verbundenen Lebensweise von dem aggressiven Raubbau, dem Kommerzialismus und den Privilegien der Javanesen bedroht. Einmal auf dem Kriegspfad, muß der Dajak seinen Feind köpfen, seine Leber und sein Herz verspeisen, seine Familie und alle Spuren seiner bisherigen Existenz auslöschen. Auch spielt der abgetrennte Kopf des Gegners für die Weihe seiner Langhäuser eine wichtige Rolle. Holländische Missionare überzeugten die Dajak vor 70 Jahren, statt dessen Rinderschädel zu verwenden. Jetzt wird die Tradition wieder gepflegt - 6.000 Tote und hunderttausende Flüchtlinge unter den Javanesen sind die bisherige Bilanz.

l In Aceh, der Nordspitze von Sumatra, kämpfen separatistische Milizen gegen eine brutal agierende Besatzungsarmee von 30.000 Mann. Die Rebellen der Freien Aceh Bewegung (GAM) wollen mit Unterstützung aus Libyen wieder ein unabhängiges islamistisches Sultanat wiedererrichten. Es geht aber auch, wie sonst in Indonesien, um die Kontrolle lukrativer Öl-, Gas- und Holzkonzessionen. Nach 10.000 Toten seit 1976 gewährte die Zentralregierung jetzt regionale Autonomierechte. Sofort wurde vor Ort die Scharia mit einer islamischen Justiz für alle Moslems und Verschleierungsgeboten für alle Frauen, die von einer Religionspolizei überwacht werden, ausgerufen.

l Auf den östlichen Inseln Celebes (Sulawesi), Ambon, den als Gewürzinseln bekannten Molukken, auf Papua (Iriyan Jaya) und West-Timor, die zur Hälfte christlich sind, mischen sich seit 1998 Stammeskriege, religiöse Konflikte und anti-chinesische Pogrome. Auf Papua und West-Timor verlangt die melanesische Bevölkerungmehrheit auch die Unabhängigkeit, die Jakarta angesichts des Rohstoffreichtums beider Halbinseln nicht zu gewähren bereit ist. Die Ermordung des papuanesischen Unabhängigkeitsführers Theys Eluay durch das Militär verschärfte vor Jahresfrist die Kämpfe. Vor allem während der Weihnachtszeit brennen die Kirchen. Im Jahre 2000 wurden allein 400 zerstört.

Dabei spielen die 15.000 Mann starken Milizen des Jihad Laskar eine unheilvolle Rolle. Von ihren Quartieren auf West-Java werden sie mit Billigung von Polizei und Militär, die sie oft mit Schnellfeuergewehren und Granatwerfern ausrüsten, auf die weiter östlich gelegenen Inseln zum heiligen Krieg gegen die Christen transportiert. Dort werden christliche Dörfer gezwungen, entweder zum Islam zu konvertieren oder einer Mord- und Verwüstungsorgie zum Opfer zu fallen. Chinesische Händler und Pfandleiher werden ohnehin als erste geplündert und gebrandschatzt.

Mittlerweile wurden auch christliche Milizen namens "Laskar Kristus" organisiert, ohne allerdings die Protektion von Polizei und Militär zu genießen, die sich vor Ort meist auf das Wegsehen und Schutzgeldersammeln spezialisiert haben.

Auf den Molukken griffen das Luftlandebattaillon 733 und die mobile Polizeibrigade allerdings direkt auf islamischer Seite in die Kämpfe ein. Die bisherige Opferbilanz: Auf Ambon und den Molukken allein seit 1999 schätzungsweise 15.000 bis 29.000 Tote.

Traditionell gelten die "Dschungelmuslime" Südostasiens als toleranter, lebensfreudiger und synkretistischer als ihre asketischen Glaubensgenossen der arabischen und zentralasiatischen Steppen ("Wüstenmuslime"). Erst im 17. Jahrhundert konvertierten die meisten Malayenhäuptlinge, denen die absolute Machtfülle und die Vielweiberei als muslimische Sultane gefiel, unter dem Einfluß arabischer Händler ihre seit tausend Jahren hinduistischen Untertanen zum Islam. Sie praktizierten ihre örtlichen Kulte und farbenprächtigen Rituale, die auf der einzig hinduistisch gebliebenen Urlaubsinsel Bali noch original zu bewundern sind, im muslimischen Kultus weiter, oft in der mystischen außerweltlichen Sufi Tradition des Islam.

Mit der Demokratisierung sind die Zeichen der Islamisierung Indonesiens unübersehrbar geworden, da der streng genommene Islam alle Lebensbereiche und Handlungen der Gläubigen kontrolliert: Grußformen, Mahlzeiten, Anzugsordnung, das Familienleben und das Bildungswesen, die tägliche Koranlektüre, das fünfmal tägliche Gebet, die Freitagsandachten, und die Fastenzeiten des Ramadan werden mehr und mehr öffentlich eingehalten. In Umfragen bezeichnen sich mittlerweile rund die Hälfte der 200 Millionen indonesischen Untertanen als Muslime, die wiederum 90 Prozent der Bevölkerung ausmachen, die als strenggläubig gelten.

Noch sind die Anhänger des Gottesstaates und der Scharia, deren Parteien bei den Wahlen von 1999 nur acht Prozent der Stimmen erhielten, in der deutlichen Minderheit. Noch lehnen die großen islamischen Massenbewegungen, die relativ liberale Nahlatul Ulama (NU) und die orthodoxere Muhammadiyah, die mit je 35 Millionen Anhängern die meisten Koranschulen und Moscheen kontrollieren, sowie die großen säkularen Parteien, wie Megawatis PDI-P und die vormalige Staatspartei Golkar, und die aktuelle Parlamentsmehrheit die Einführung der Scharia ab.

Doch sind die Anzeichen einer Radikalisierung zumal unter der studentischen Jugend deutlich. Der Einfluß der saudischen Wahhabiten äußert sich in der an staatlichen Hochschulen einflußreichen Tarbiyah Bewegung. Auch jene sechs Millionen Koranschüler, denen Unterricht in Naturwissenschaften, Mathematik und Fremdsprachen vorenthalten bleibt, sind ein wachsendes, auf dem Arbeitsmarkt unvermittelbares Radikalisierungspotential. Auf der Hauptinsel Java werden allabendlich von "Taliban-Brigaden" Nachtklubs, Bars, Spielhöllen, Bordelle, Diskos und Alkoholläden überfallen und als unislamisch angezündet.

Die unterbezahlte Polizei sieht zu, sei es aus Sympathie, sei es um Schutzgelder zu erpressen. Die allgemeine Rechtsunsicherheit gibt der die Wirtschaft kontrollierenden fleißigen und geschäftstüchtigeren nichtislamischen chinesischen Minderheit nur ein Signal: Rette sich, wer kann. Ihr Kapital verlegt sie rechtzeitig ins nahe Singapur oder Australien.

Die Entwicklung der krisengeschüttelten indonesischen Volkswirtschaft und die politische Stabilisierung des Landes haben damit selbstverschuldet das Nachsehen.


 
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