© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    35/02 23. August 2002

 
Bald wie zu DDR-Zeiten
Arbeitsmarktpolitik: Die guten Vorschläge der Hartz-Kommission sind nicht neu, und die neuen Vorschläge sind nicht gut
Bernd-Thomas Ramb

Die Regierung brüstet sich, den Stein der Weisen im Kampf gegen die horrende Arbeitslosen-zahl von über vier Millionen gefunden zu haben, die Opposition giftet von einer erbärmlichen Inszenierung eines Medienspektakels zur Rettung der rot-grünen Regierungsmehrheit. Kaum einer befaßt sich mit einer detaillierten Inhaltsanalyse des Objekts der kontroversen Auseinandersetzung, der Abschlußbericht der Hartz-Kommission zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit.

Dabei enthält das Konzept gute und neue Elemente. Jedoch sind die guten nicht neu und die neuen nicht gut. In dem 343-Seiten-Katalog finden die Grundkenntnisse der Nationalökonomie kaum Einzug, vielleicht weil dem wirtschaftswissenschaftlichen Sachverstand von vornherein die Beteiligung verweigert wurde. So bleibt ein Sammelsurium von Vorschlägen, bei denen auf eine volkswirtschaftliche Prüfung verzichtet wurde, so daß ihre Effizienzversprechen in das Reich der Traumtänzerei verweisen. Die vollmundige Ankündigung, zwei Millionen Arbeitslose beseitigen zu können, ist reine Willkür. Hartz hätte genausogut - oder schlecht - die Zahlen eine Million oder drei Millionen nennen können.

Ein Großteil der Hartzschen Ratschläge nimmt im Grunde die bereits angekündigten Reformen der Bundesanstalt für Arbeit vorweg. Ihre Organisation will der neue Präsident Florian Gerster (SPD) ohnehin straffen. Die Empfehlungen der Hartz-Kommission, die Landesarbeitsämter abzuspecken, einen Wettbewerb zwischen Arbeitsämtern einzuführen und die Leistungen der Arbeitsämter und der Sozialämter zu koordinieren, sind daher ein alter Hut, der auch durch amerikanisierte Bezeichnungen wie "Job-Center" nichts hinzugewinnt.

Ebenso sind die Vorschläge zu einer schnelleren Vermittlung der Arbeitslosen durch die Sofortmeldepflicht, die niedrigeren Hürden bei der Zumutbarkeit von neuen Arbeitsplätzen und die finanziellen Anreize zum Wechsel des Arbeitsortes bereits seit Jahren verschiedentlich angedacht, nur noch nie verwirklicht worden.

Ein zweiter Komplex der Hartz-Vorschläge enthält Änderungen, die ohnehin anstanden, weil sie bloße Korrekturen vorangegangener Fehlentscheidungen sind, deren Auswirkungen nicht länger duldbar sind. Da ist zum einen der Bereich der Niedriglohn-Arbeitsplätze. Die Einbeziehung der früheren "630-Mark-Jobs" in die Renten- und Krankenversicherung hat zu unhaltbaren Zuständen geführt. Nun soll, weil zwingend notwendig, die Abgabenlast reduziert werden. Die Erhöhung der Vergütungsgrenze auf 500 Euro folgt, um es spöttisch zu formulieren, dem allgemeinen Trend, alte D-Mark-Beträge eins zu eins in Euro umzuwandeln.

Auch die Hartzsche Idee der "Ich-AGs" beruht im Grunde auf der Rücknahme einer arbeitsmarktpolitischen Fehlentscheidung der Bundesregierung. Die nahezu hysterische Bekämpfung angeblicher "Scheinselbständigkeit", nur weil wieder ein Strohhalm zur Rettung der maroden staatlichen Sozialversicherungssysteme gesehen wurde, hat zu höherer Arbeitslosigkeit und zu mehr Schwarzarbeit geführt. Daß nun der Einzelkämpfer nicht nur wieder amtlich zugelassen ist, sondern auch noch staatlich durch Steuerrabatte und Kostenzuschüsse gefördert werden soll, ist ein Schlag in das Gesicht der Kämpfer gegen die Scheinselbständigkeit. Nebenbei werden nun natürlich die Mitnahmeeffekte angeheizt. Die massenweise Umwandlung fester Stellen in "Ich-AGs" ist vorprogrammiert.

Selbst das als triumphales Herzstück der Hartz-Vorschläge gefeierte Konzept der Leiharbeit ist nicht neu, dafür aber zuvor von der Regierung und vor allem von den Gewerkschaften auf das heftigste angefeindet und bekämpft worden. Nun soll zu den zahlreichen privaten Arbeitsverleihfirmen staatliche Konkurrenz entstehen. Abgesehen von der Wettbewerbsverzerrung gehört der Vorschlag, das Leiharbeitsverfahren auszuweiten, zu den raren Ratschlägen mit ökonomischem Sinn.

Im Endeffekt führt er nämlich zu einer Reduktion der Arbeitskosten. Unternehmen können ihre Spitzenanforderungen an Beschäftigten zeitgenau erfüllen, ohne später auf beschäftigungslosen Festangestellten sitzen zu bleiben, oder aber risikolos neues Personal testen und bei Eignung auf Dauer behalten, während Ungeeignete ohne arbeitsgerichtliche Streitereien "entlassen" werden können.

Fraglich ist allerdings, welche Anzahl von derzeit Arbeitslosen für eine erfolgreiche Beschäftigung im Leiharbeitsverfahren in Frage kommt. Zu befürchten ist, daß die meisten bereits bei den privaten Verleihfirmen untergekommen sind. Allenfalls findet dann deren Wechsel zu der staatlichen Verleihfirma statt, weil die möglicherweise die höheren Löhne versprechen kann. Schließlich braucht sie nicht, wie die privaten, auf betriebliche Effizienz zu achten. Weiterhin ist auch hier ein Mitnahmeeffekt zu befürchten. Viele Unternehmen werden einen Teil ihrer Beschäftigten in Leiharbeiter umwandeln, denn hier bietet sich eine hervorragende Möglichkeit, das bestehende Kündigungsschutzgesetz zu unterlaufen.

Interessant ist die Zustimmung der Gewerkschaftsvertreter zu diesem Projekt, lag ihnen die Verwirklichung einer lebenslangen Arbeitsplatzzusicherung doch immer am Herzen. Der scheinbare Widerspruch löst sich, wenn künftig die lebenslange Arbeitsplatz-Zusicherung im Bereich der staatlichen Arbeitsverleihwirtschaft garantiert wird. Eine Scheinlösung der Arbeitslosenfrage ist dann klar vorhersehbar: Jeder ist beim Staat beschäftigt und erhält, möglichst in gleicher Höhe, sein Entgelt. Gearbeitet wird in wechselnden Firmen, wenn nicht in privaten, dann in neu errichteten staatlichen. Freiwillige Arbeitslosigkeit ist verpönt. Der frühere Reichsarbeitsdienst läßt grüßen.

In DDR-Zeiten war kaum jemand arbeitslos - nach Definition der sozialistischen Zentralverwaltungswirtschaft. Allerdings wurde dabei wenig darauf geachtet, ob jemand nur formal oder auch tatsächlich produktiv beschäftigt war. Ähnliches wird nun auch für die kommenden Jahre im geeinten Deutschland angekündigt. Wie das endet, ist scheinbar schon aus dem Gedächtnis der zahlreichen hartzgläubigen Politiker verschwunden.


 
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