© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    35/02 23. August 2002

 
Die Entortung der Geschlechter
Gesellschaft: Wie Ehe und Familie in Deutschland permanent demontiert werden
Michael Wiesberg

Das wichtigste Kontrollelement des Menschen, so schrieb der vor kurzem verstorbene Biochemiker Erwin Chargaff, sei dessen Bewußtsein von seiner eigenen Existenz als Mensch gewesen: "als ein Geschöpf Gottes, das dem Schöpfer verantwortlich ist". Glaube, Stabilität, Frugalität (Einfachheit, Mäßigkeit), Bewußtsein des Menschseins - diese vier Säulen seien jetzt zerbrochen. Es gebe keine Kontrollmechanismen mehr, alles wuchere drauflos. "Die Krebszelle", stellte Chargaff fest, sei "das gültige Emblem unserer Zeit." Einsichten wie diese erinnern daran, daß nicht nur unser ökologisches Haus stark beschädigt ist, sondern auch unser geistiges.

Dies zeigt sich zum Beispiel im Hinblick auf Ehe und Familie, deren Entkernung und Entwertung weiter und weiter voranschreitet. Zu Recht weist Christl Vonholdt vom Deutschen Institut für Jugend und Gesellschaft in ihrem aktuellen Editorial für das Nachrichtenblatt dieses Institutes darauf hin, daß die Ehe einst "die Hauptstütze des öffentlichen Rechts" war. Die Ehe war "verankert zwischen dem Tod der vorausgegangenen und der Geburt der kommenden Generation". Wir bräuchten, so schreibt Vonholdt, "diese in Generationen gegliederte 'Mehraltrigkeit' des Menschen, um Menschen bleiben zu können, denn nur dadurch entstehen Vergangenheit und Zukunft". Ohne die Ehe, ohne Eltern und Kinder blieben Neugeborene Einzelwesen. Erst die Generation der Eltern mache aus den Einzelwesen eine neue Generation.

Heute stehen Ehe und Familie an einem Scheideweg. Das Leitbild der Ehe zwischen Mann und Frau wird mehr und mehr relativiert. Das sogenannte Lebenspartnerschaftsgesetz für homosexuell Lebende (LPartG), als "Homo-Ehe" bezeichnet, dokumentiert schlaglichtartig den tiefgreifenden Paradigmenwechsel in Deutschland. Homosexualität steht heute mehr oder weniger gleichwertig neben der Heterosexualität. Dieser Befund führt zu der Frage, wie es eigentlich zur Dekonstruktion von Ehe und Familie kommen konnte.

US-Gerichte lehnen "Homo-Ehen" ab

Die Ursprünge liegen in den USA, genauer gesagt in Hawai. Dort beantragten 1990 drei homosexuell lebende Paare einen amtlichen Trauschein. Als ihnen dieser verweigert wurde, taten sie das, was in den USA in derartigen Fällen immer üblich ist: sie klagten. Ihre Argumente: die Ehe sei ein Bürgerrecht, und es sei nicht mehr als fair, wenn auch ihnen dieses Recht eingeräumt werde. Der oberste Gerichtshof in Hawai bestätigte, daß das bestehende Eherecht eine "Diskriminierung aufgrund des Geschlechts" darstelle. Diese Diskriminierung beruhe allerdings auf einem "zwingenden Staatsinteresse".

Diese Auslegung sorgte für einen entsprechenden Widerstand der Schwulenlobbyisten. Moniert wurde, daß der Staat sich anmaßte, darüber zu bestimmen, was Ehe sei. Es folgten deshalb in anderen Bundesstaaten ähnliche Klagen. Die Dynamik dieser Klagen hat der vor kurzem verstorbene David Orgon Coolidge, Jurist und Direktor des "Marriage Law Project" (Projektvorhaben für Eherecht) an der juristischen Fakultät der Katholischen Universität von Amerika, beschrieben. Die verschiedenen Phasen lauten Klagen, Weichklopfen, Prügeln, erneut Klagen.

Als erstes, so Orgon, klagten prominente Anwälte, die eng mit den örtlichen Lesben- und Schwulenaktivisten zusammenarbeiteten. Ein homosexuell lebendes Paar beantragt einen Trauschein in vollem Wissen, daß ihm dieser verweigert werde. Darauf erfolgt der Gang vor Gericht mit der Begründung, das geltende Eherecht sei aus "bundes- und einzelstaatlichen Gründen verfassungswidrig". In einer zweiten Phase werde die Öffentlichkeit mit Aufklärungsprogrammen konfrontiert, in denen das Hohelied auf homosexuelle Lebensgemeinschaften gesungen werde. Oft werden auch Parallelen zu früheren Bürgerrechtsbewegungen gezogen.

Formiert sich tatsächlich Widerstand, setzt die Phase des "Prügelns" von Andersdenkenden ein. Die Anwälte der "gleichgeschlechtlichen Ehe" denunzieren Kritiker als "Spießer", als "religiöse Fundamentalisten" bzw. als "Homophobe". Für viele Zögerliche reichten diese "Folterwerkzeuge" vollkommen aus. Sie gingen in Deckung und störten den "Fortschritt hin zu mehr Toleranz in der Gesellschaft" nicht mehr. Im Falle Hawais fruchteten diese Einschüchterungsversuche freilich nicht. Der Gesetzgeber setzte eine Verfassungsergänzung durch, in der die Ehe als Verbindung zwischen Mann und Frau definiert wird. Bis heute erlaubt kein US-Bundesstaat die "gleichgeschlechtliche Ehe". Allerdings gelang es den Protagonisten der gleichgeschlechtlichen Ehe mit einer Klage im Bundesstaat Vermont im April 2000, "eingetragene Partnerschaften" als Parallelinstitut zur Ehe durchzusetzen. Die Gerichte werden also in den USA wie in Deutschland als "Brechstangen" zur Um-Definierung dessen funktionalisiert, was unter Ehe bisher verstanden worden ist.

In Deutschland machte das Urteil des Bundesverfassungsgerichtes zum Lebenspartnerschaftsgesetz deutlich, daß das herkömmliche Bild dessen, was Ehe konstituiert, einer besorgniserregenden Verschiebung unterworfen ist. Um zu verstehen, was diese Verschiebung im einzelnen kennzeichnet, bedarf es einer kurzen Besinnung darüber, was Ehe eigentlich ausmacht und wie diese rechtlich geregelt werden soll. Darüber herrscht derzeit allerdings alles andere als ein Konsens, wie David Orgon Coolidge aufgezeigt hat.

Kritiker warnen vor einer neuen Definition von Ehe

Im wesentlichen werden heute drei Ehe-Modelle diskutiert. Da ist zum einen das Verbindlichkeitsmodell, das davon ausgeht, daß der Sinn des Ehe-rechtes davon ausgeht, intime, verbindliche Beziehungen anzuerkennen und zu fördern. Die Ehe ist in diesem Modell eine rechtlich geregelte Verbindlichkeits-Institution, die jedem Paar offen stehen sollte. Kritik gegen dieses Modell sieht sich oft dem Vorwurf ausgesetzt, "irrational" oder bigott zu sein.

Das Komplementaritätsmodell bildet seit Jahrhunderten die Grundlage des Rechts in den westlichen Gesellschaften. Es geht davon aus, daß zu einer Ehe zwingend Mann und Frau gehören, weil sich Mann und Frau in einer Ehe "ergänzen".

Schließlich ist das "Wahlmodell" zu nennen. Dieses Modell geht davon aus, daß die Ehe ein Vertrag ist, der jederzeit neu definiert werden kann. Die Ehe wird hier als eine Art Genehmigungsverfahren zur Regulierung und Registrierung eines Vertrages angesehen. Unschwer läßt sich erkennen, daß in diesem Modell das autonome Individuum das Maß aller Dinge ist. Der Staat bleibt hier völlig außen vor. Es ist Sache des Bürgers, nach eigenem Ermessen "Beziehungsverträge" zu definieren. Die freie sexuelle Wahl tritt hier an die Stelle der Vorstellung, daß Sexualität, Ehe und Familie zusammengehören.

Dieses Wahlmodell, das am Anfang der "sexuellen Revolution" der sechziger Jahre stand, wird heute auch von vielen Homosexuellen kritisch gesehen. Sie präferieren das Verbindlichkeitsmodell und langfristige Beziehungen. Dieses Modell bietet sich aber, darauf machte Coolidge aufmerksam, als Einfallstor für noch ganz andere "Beziehungsmodelle" an. So schreibt David Chambers von der Universität von Michigan über die Bedeutung der "gleichgeschlechtlichen Ehe": "Wenn man das Eherecht so sieht, daß es in ihm darum geht, die Möglichkeiten zweier Menschen, ein für sie emotional befriedigendes Leben zu führen, zu vergrößern, - und nicht darum, ihnen vorzuschreiben, was eine richtige Beziehung ist, dann sollte das Gesetz eine solche Möglichkeit auch für Einheiten von mehr als zwei Personen schaffen." Meint: die gleichgeschlechtliche Ehe wäre nur ein erster Anstoß für weitere einschneidende Veränderungen des Rechts.

Das Abrücken des Staates von der Definition der Ehe als Partnerschaft zwischen zwei Personen verschiedenen Geschlechts könnte dazu führen, daß dieser auch Partnerschaften zwischen drei, vier oder mehr Personen dem bisherigen Verständnis von Ehe gleichstellen müßte. Man sieht also, warum die Kritiker der gleichgeschlechtlichen Ehe Recht haben, wenn sie von einem Öffnen der Büchse der Pandora sprechen.

Diese Ansicht teilt auch Johann Braun, Inhaber des Lehrstuhls für Zivilprozeßrecht, Bürgerliches Recht und Rechtsphilosophie an der Universität Passau, der in einem Interview erklärte: "Die Ehe ist nach geltendem Recht monogamisch ausgestaltet. An diesem Vorbild ist an sich auch das Lebenspartnerschaftsgesetz orientiert." Allerdings, und dies ist entscheidend: derjenige, der in einer Lebenspartnerschaft lebt, kann von Gesetz wegen nicht gehindert werden, auch noch zu heiraten. "Wenn man in diesem Fall ein Eheverbot aufgestellt hätte, wäre das ein evidenter Verstoß gegen das Grundrecht auf Eheschließungsfreiheit gewesen. Wer in einer Lebenspartnerschaft lebt, kann daher nach wie vor eine Ehe eingehen. Damit wäre bereits eine Dreiergemeinschaft gegeben."

Tür in Richtung Polygamie aufgestoßen

Das Lebenspartnerschaftsgesetz ist damit ein gesetzlicher Schritt in Richtung Lebensformenpluralismus, der weitere Schritte nach sich ziehen muß. Mit anderen Worten: Was homosexuell orientierten Paaren erlaubt wird, kann Bisexuellen nicht verwehrt werden. Die Konsequenz des LPartG liegt also auf der Hand: es stößt die Tür in Richtung Polygamie auf.

Es bleibt vor diesem Hintergrund unverständlich, warum sich gegen diese einschneidende Regelung in Deutschland kein durchschlagender Widerstand formiert hat. Johann Braun sieht hierfür medienspezifische Gründe: Die Bewußtseinsbildung finde heute in einer "durch und durch von den modernen Medien geprägten Welt" statt. "Traditionen werden immer weniger vermittelt. Was zählt, ist zunehmend nur das, was unmittelbar 'Spaß macht'. Die sichtbarsten Opfer des dadurch bewirkten Umdenkungsprozesses sind Religion, Nation und Familie." Und weiter: Ein "verantwortungsvoller Umgang mit diesen Dingen setzt notwendig ein gewisses Verständnis dafür voraus, daß die individuelle Vernunft nicht Herr über alles ist, ... sondern daß sie auf geschichtlich geprägte Institutionen angewiesen ist, in denen sie allein einen Halt gewinnen kann."

Nichtsdestoweniger geht die Zerstörung von Ehe und Familie und damit die geistige und sexuelle Entortung in Deutschland weiter. Davon legen auch die Entwicklungen an den bundesdeutschen Universitäten Zeugnis ab. Inzwischen finden sich dort nicht nur die pseudowissenschaftlichen "schwul-lesbischen Studien" oder "Gender Studies", sondern auch sogenannte "Queer Studies" oder "Theories". Diese leugnen die Zweigeschlechtlichkeit des Menschen ab. Diesen Studien zufolge gibt es, so schreibt Christl Vonholdt, statt einem einander zugeordneten Mann- und Frausein viele Geschlechter: "Heterosexuelle, Homosexuelle, Bisexuelle, Transsexuelle, Transgender, Intersexuelle, Cross-Dressers".

Kinderbücher propagieren Homosexualität als Vorbild

Der Sexual-Nihilismus macht auch nicht vor Kindern halt. Bereits in Kinder- und Jugendbüchern ab dem dritten Lebensjahr wird beispielsweise Homosexualität als Vorbild dargestellt. Eine Liste derartiger Bücher verdanken wir der Landesregierung von Schleswig-Holstein. Bücher wie "Papas Freund" können kostenfrei von Kindergärten und Schulen ausgeliehen werden. Da wundert es nicht weiter, wenn in der Jugendhilfe-Aufklärungsbroschüre von Schleswig-Holstein die Gleichwertigkeit einer homosexuellen, bisexuellen, transsexuellen oder heterosexuellen Lebensweise propagiert wird. Dies alles läuft, so Vonholdt, mehr und mehr auf die "Herausnahme der Zeugung neuen Lebens aus der Geschlechterspannung" hinaus.

So fordert der Lesben- und Schwulenverband in seinem neuen "Familienbuch": "Lesbische oder schwule Paare mit Kindern haben ein Recht auf eine volle Anerkennung als Familie ... Für Frauen gibt es bislang in Deutschland außerhalb der Ehe keinen freien Zugang zu Samenbanken. Das ist diskriminierend. Das Recht auf Familiengründung muß für alle gelten." Es dürfte wohl nur noch eine Frage der Zeit sein, bis homosexuellen Paaren auch dieses Recht eingeräumt wird. Sperma-Ökonomie wird dann an die Stelle von Verantwortung und Bindung treten, die einmal den Kern der Ehe ausmachten.

"Unter dem Vorwand, Familie bauen zu wollen, wird in Wirklichkeit Familie und ihre Einbettung in die Generationenfolge zerstört", schreibt Vonholdt. In der Tat: Nie waren Ehe und Familie in ihren geistig-sittlichen Grundlagen umfassender bedroht als heute. Das linke Projekt der "Machbarkeit des Menschen" mit seiner alles eindampfenden Zerstörungswut negiert inzwischen den Menschen in seinem Menschsein.

Einmal mehr lautet das Ziel, einen "neuen Menschen" zu schaffen. Seine Schöpfer sind linke Sexualnihilisten, die ihre Lesart mittels Hilfe ihrer Sympathisanten in Medien und Politik gegen das Empfinden der überwältigenden Mehrheit der deutschen Bevölkerung durchzusetzen trachten. Sie haben auf diesem Weg bereits eine Reihe von Erfolgen erzielen können. Formiert sich nicht bald Widerstand, könnten sie ihr Ziel erreichen.


 
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