© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    35/02 23. August 2002

 
Verkannt, verfemt, verfolgt
Thorsten Thaler

Ich bin nur glücklich, wenn ich einen Film machen kann, der den Menschen gefällt. (...) Wenn ich einen Film mache, wird mich das Urteil über meine Arbeit interessieren, aber was sonst geschrieben wird, läßt mich kalt. Das meiste ist ja Phantasie, die mit mir nichts zu tun hat. Entweder werde ich zu stark gelobt - oder ich werde zu stark verurteilt."

Das sagte Leni Riefenstahl in einem Interview mit dieser Zeitung im Februar 1994. Tatsächlich gibt es keine lebende Deutsche, an der sich so sehr die Geister scheiden wie an Leni Riefenstahl. Für die einen ist sie die geniale Regisseurin und "größte Filmemacherin aller Zeiten", für andere nur die NS-Propagandistin und "Nazi-Künstlerin". Zwischentöne wie die von Rainer Rother, der vor zwei Jahren eine wohltuend differenzierte Riefenstahl-Biographie vorgelegt hat (JF 43/00), sind da eher die Ausnahme. Rother erinnert an den antifaschistischen Gründungskonsens der Bundesrepublik, ihre Selbstlegitimation, zu deren Konsequenzen "unvermeidlich die Stabilisierung durch die Konstruktion symbolischer Feindbilder gehört" habe. Weshalb gerade Leni Riefenstahl so "unvergleichlich dauerhaft zur Symbolfigur in der Auseinandersetzung mit dem Nationalsozialismus" geworden ist, erklärt sich für Rother nicht nur aus ihrer Rolle im Dritten Reich und ihren naiven Rechtfertigungen nach Kriegsende. Viele Zeitgenossen hätten auch das eigene schlechte Gewissen und Versagen auf die Filmemacherin projiziert. Motto: Ich bin's nicht gewesen, die Riefenstahl war's.

Ihre über Jahrzehnte währende Verfemung ist ohne Beispiel. Seit mehr als fünfzig Jahren muß Leni Riefenstahl die immergleichen Fragen beantworten, hört sie die immergleichen Vorwürfe und Schmähungen, wird sie gezwungen, sich zu erklären und zu rechtfertigen. Kein anderer Künstler von Rang und Namen, der in der nationalsozialistischen Epoche seine Karriere verfolgte, ist in der Zeit danach so unter Quarantäne gestellt geworden wie sie. Arno Breker, Gustaf Gründgens, die Dirigenten Wilhelm Furtwängler und Herbert von Karajan - sie alle konnten nach 1945 ihre Arbeit fortsetzen. Selbst der "Jud Süß"-Regisseur Veit Harlan bekam wieder Filmaufträge. Einzig Leni Riefenstahl traf der Bannstrahl mit voller Wucht und Härte.

Während zum Beispiel der Bildhauer Arno Breker, dessen im Auftrag des NS-Staates gefertigten Reliefs und Skulpturen die Neue Reichskanzlei zierten, seit den sechziger Jahren wieder ausstellen konnte, mußte 1972 eine im Berliner Zoo-Palast geplante Matinee-Vorstellung von Riefenstahls Olympia-Filmen nach Protesten abgesagt werden. Während sie im Ausland, vor allem in Italien, Frankreich, den USA und Japan, hochgeehrt und mit Auszeichnungen überhäuft wurde, blieb Leni Riefenstahl in ihrer Heimat die Ausgestoßene, die Unberührbare, die Unperson. Kein Museum, keine Galerie in Deutschland traute sich, Arbeiten von ihr zu zeigen. Erst im Oktober 1993 durchbrach der Filmemacher Ray Müller mit seiner dreistündigen, preisgekrönten Dokumentation "Die Macht der Bilder" die Mauer aus Schweigen und Ignoranz. Eine erste umfassende Werkschau fand - begleitet von Protesten - um die Jahreswende 1998/99 im Filmmuseum Potsdam statt. Als die Künstlerin die Ausstellung besuchte, mußte sie sich erneut den Fragen nach ihrer NS-Verstrickung stellen. Zu Recht reagierte sie ungehalten: "Ich sehe nicht ein, nachdem ich mindestens zehnmal entnazifiziert worden bin, daß ich mich nach einem halben Jahrhundert nochmal einer Entnazifizierung zu stellen habe."

Daß sie sich trotzdem selbst jetzt wieder, zu ihrem hundertsten Geburtstag, mit dem Schuldvorwurf konfrontiert sieht, wirft ein gespenstisches Licht auf ein Land, das seine besten Köpfe noch stets wie illegitime Stiefkinder behandelt hat.


 
Versenden
  Ausdrucken Probeabo bestellen