© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    36/02 30. August 2002

 
Das Volk liebt die Deichgrafen
Wahlkampf: Die Flutkatastrophe befördert Bundeskanzler Schröder in seinem Macher-Image / Die SPD holt in den Umfragen auf
Paul Rosen

Hatten nicht viele Beobachter schon die Auffassung vertreten, die Bundestagswahl sei gelaufen, und es gehe eigentlich nur noch darum, wie hoch Edmund Stoiber gewinnen werde? Erfahrene Propheten, die die Dinge abzuwarten pflegen, dürften sich jetzt bestätigt fühlen.

Die Chancen von Kanzler Gerhard Schröder stiegen plötzlich parallel mit den Fluten, die sich im Flußbett der Elbe nach Norden schoben. Der Kanzler besetzte die Rolle als Macher wie einst Helmut Schmidt bei der Flutkatastrophe in Hamburg und schob Stoiber den Part eines Teilnehmers an der Echternacher Springprozession zu. Die Bundesbürger, in ihrer Mehrheit offenbar nicht heilbare Romatiker, lieben ihre Deichgrafen und Schimmelreiter. Schröder, der vom Glück verlassen schien, macht sich nunmehr in Gummistiefeln auf den Weg, um die Macht in Berlin zu verteidigen.

Doch Vorsicht. Entschieden ist diese Bundestagswahl immer noch nicht - weder für Schröder noch für Stoiber. Daran hat auch das erste Fernsehduell nichts geändert. Dafür ist die Zahl der unentschlossenen Wähler einfach noch zu groß. Und auch Schröder muß wissen, daß das Interesse an der Flut nachlassen wird, je mehr das Wasser zurückgeht. Für einen Kontersieg der SPD kam das Wasser vier Wochen zu früh. Außerdem hat es das Interesse an der Hartz-Kommission, Schröders größtem Trumpf vor der Flut, weggespült.

Seitdem das Wasser abfließt, wird aber der ganze Schlamm des Unionwahlkampfes immer klarer sichtbar. Schröder hatte nach nur einigen Stunden auf eine ganz neue Strategie umgeschaltet: Das Wasser wurde als nationale Bedrohung dargestellt. Dabei war dies schon von den Tatsachen her schlichtweg falsch. Die Katastrophe war keineswegs national, sondern beschränkte sich auf die Einzugsbereiche der Elbe, einige ihrer Nebenflüsse und einen Teil der Donauregion. In Bayern war man mit dem Wasser schnell wieder fertig. Und in Nordrhein-Westfalen, dem größten Bundesland, wurde kein einziger Keller überflutet. Dennoch konzentrierte sich das Interesse auf die Hochwassergebiete. Die Fernsehzuschauer konnten, wenn sie denn wollten, den ganzen Tag "Frontberichterstattung" miterleben.

Geschickt spielte der Kanzler eine Karte nach der anderen aus. Er versprach großzügige Milliardenhilfen. Als Gegenfinanzierung soll die Verschiebung der für Anfang 2004 vorgesehenen Steuerreform dienen. Stoiber widersprach. Zwar wolle er über eine Verschiebung der Steuerreform mit sich reden lassen, doch müsse soziale Gerechtigkeit her, verlangte der Kandidat. Das sollte heißen, daß nicht nur die normalen Einkommenssteuerzahler, sondern auch die Industrie, die sich seit 1998 in beispiellosen Steuerbefreiungen sonnt, zur Solidaritätskasse gebeten werden sollten. Doch die Drohkulisse der Union hielt nicht. Offenbar aus Sorge, von den Folgen der Flut weggespült zu werden, ließen die CDU-regierten Länder Sachsen und Sachsen-Anhalt wissen, daß sie einer Verschiebung der Steuerreform zustimmen würden. Damit war Stoibers Blockademehrheit im Bundesrat bereits dahin, ehe die Länderkammer zu einer Sitzung zusammengekommen war.

Doch der Kanzler ging noch einen Schritt weiter. An den Wünschen der Union werde sein Hilfsprogramm nicht scheitern, ließ er verlauten. Schröder nahm eine zu Mißverständnissen Anlaß gebende Bemerkung des Industrie-Präsidenten Rogowski als Vorwand, der "Deutschland AG" gleich eine befristete Erhöhung der Körperschaftssteuer in Aussicht zu stellen. Wieder war Stoiber düpiert. Schröder bestimmte das Tempo und das Handeln. Der Bayer hinkte hinterher, Teile seiner Mannschaft wie der CSU-Landesgruppenvorsitzende Michael Glos und der Mittelstandschef Peter Rauen übten sich in Kakophonie und lehnten eine Verschiebung der Steuerreform strikt ab.

Stoiber wollte nun retten, was nicht mehr zu retten war. Um sich nicht dem Hilfsprogramm zu verweigern, kündigte er Zustimmung im Bundesrat an. Doch wenn die Union die Regierung übernehmen werde, wolle er die Verschiebung der Steuerreform gleich wieder rückgängig machen. Als Wundermittel holte die Union nun den Bundesbankgewinn des Jahres 2001 aus der Tasche, der den Flutopfern zugute kommen soll. Diese Echternacher Springprozession hat dem Kandidaten die erwartete Ernte verhagelt. In den Meinungsumfragen holte die SPD auf. In der politischen Sympathie liegen die Sozialdemokraten dank Schröder erstmals seit Monaten wieder vor der Union, während Stoiber hilflos in den Elbfluten zu treiben scheint.

Die Flut lehrt einiges über den Zustand der Union. Das bürgerliche Lager ist bei weitem nicht so stabil wie es in den letzten Monaten erschien. Beim kleinsten Druck (der erste Fall war das Hartz-Konzept) bricht die Frontlinie auseinander. Stoiber erweist sich zwar als Klammer, jedoch nur als schwache Klammer der von Helmut Kohls Spendenaffäre nicht genesenen Union, deren Machtfrage immer noch unbeantwortet ist. Angela Merkel will weiterhin Kanzlerin werden, Roland Koch will auch an die Macht in Berlin. Und Friedrich Merz möchte Merkel lieber heute als morgen loswerden.

Die Situation der Opposition erinnert an die der SPD bis zum Herbst 1998. Damals waren die Sozialdemokraten ebenfalls ein kunterbunter Haufen, der allein von Oskar Lafontaine zusammengehalten wurde. Der Saarländer wiederum stand in Konkurrenz zu Schröder, der, ausgestattet mit dem Plebiszit der niedersächsischen Landtagswahl, Kanzlerkandidat wurde. Eine Chance hatte die Kombo Lafontaine/Schröder nur gegen einen schwachen Kanzler Kohl. Wäre die Union/FDP-Koalition nicht so verbraucht gewesen, hätte Rot-Grün nicht gewonnen.

Umgekehrt verhält es sich heute. Monatelang erlebte die Öffentlichkeit einen schwächelnden Kanzler mit einer verheerenden Leistungsbilanz, dem nichts weiter einfiel, als einen Arbeitsdirektor des Volkswagen-Konzerns namens Hartz eine Verringerung der Arbeitslosigkeit versprechen zu lassen. Stoiber hätte Schröder hinwegfegen können.

Erst mit der Flut gewann Schröder wieder Handlungsspielraum und verstand ihn zu nutzen. Das Problem für den Kanzler sind die sinkenden Wasserstände und die damit drohende Rückkehr der Alltagsprobleme, etwa der Arbeitslosigkeit und der größten Wirtschaftskrise seit Jahrzehnten. Damit könnte auch Stoiber wieder aus der Flut auftauchen. Aber ein Eindruck bleibt bereits jetzt: Als Kanzler dürfte der zaudernde Bayer keine besonders starke Figur abgeben.


 
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