© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    36/02 30. August 2002

 
"Wir sind die vierte Komponente des Landes"
Belgien: Die deutsche Minderheit im Osten wehrt sich gegen die wallonische Bevormundung
Jan Mulkens

Der seit Wochen schwelende Konflikt zwischen der deutschen Minderheit und Wallonien, um mehr Autonomie für die Deutschsprachige Gemeinschaft, tritt in eine entscheidende Phase. Der sozialdemokratische Ministerpräsident der Gemeinschaft, Karl-Heinz Lambertz, machte auf einer Pressekonferenz letzten Freitag in Eupen deutlich, daß eines ganz klar sein müsse: "Wir sind neben Flandern, Brüssel und Wallonien die vierte Komponente Belgiens." Anlaß dafür war die nationale und internationale Medienaufmerksamkeit für das Emanzipationsstreben der Deutschbelgier, die es nach Aussagen aus dem Umfeld von Lambertz seit Bestehen der Deutschsprachigen Gemeinschaft noch nie in dieser Form gegeben habe.

Den Anfang machte Lambertz Mitte Juli in Brüssel, als er auf einer Pressekonferenz mehr Autonomie für die Deutschsprachige Gemeinschaft forderte, zu der neun Gemeinden mit 70.000 deutschsprachigen Einwohnern gehören. Darüber hinaus gibt es - je nach Zählweise - 25.000 bis 40.000 Deutschbelgier in anderen, nicht anerkannten Gebieten. Nach dem Ersten Weltkrieg mußte das Gebiet um Eupen (und Malmedy weiter südlich) vom Deutschen Reich ans Königreich Belgien abgetreten werden.

Nach verschiedenen Reformen in den letzten 30 Jahren verfügt das Gebiet um Eupen und die Eifelstadt Sankt Vith bislang über die Befugnisse einer Gemeinschaft sowie einzelne regionale Zuständigkeiten. Deutsch ist Amtssprache und daher werden Verwaltungsaufgaben auf Deutsch ausgeführt. Deutsch ist örtliche Gerichtssprache, auch am Appellationsgericht in Lüttich (Liège). Auch öffentliche Schilder und Straßennamen sind in Deutsch gehalten, eine französischsprachige wallonische Minderheit existiert in diesem Gebiet praktisch nicht.

Der überwiegende Teil der Regionalkompetenzen wird aber noch durch die Region Wallonien ausgeübt. Im belgischen Bundesstaat verteilen sich die Zuständigkeiten der Länderebene horizontal gleichwertig auf die Gemeinschaften (personenbezogene Politikbereiche) und Regionen (wirtschaftsbezogene Politikbereiche). Während die beiden großen Volksgruppen, niederländischsprachige Flamen (5,8 Millionen) und französischsprachige Wallonen (4,2 Millionen), jeweils schon über Gemeinschaft und Region verfügen, strebt jetzt Eupen weitere regionale Zuständigkeiten an.

Konkret verlangt Lambertz von Wallonien die Übertragung eines Kompetenzpakets, in dem - so hoffen alle fünf im Eupener Parlament vertretenen Fraktionen - die Bereiche Gemeindeaufsicht, Raumordnung, Wohnungswesen, Straßenbau und Landwirtschaft enthalten sein werden. Ferner möchte die Deutschsprachige Gemeinschaft, die einer der kleinsten Gliedstaaten mit Gesetzgebungskompetenzen in der Welt ist, die Zuständigkeiten der wallonischen Provinz Lüttich übernehmen. In Walloniens Hauptstadt Namur stießen die über die Gemeinde- und Provinzzuständigkeiten hinausgehenden Forderungen auf ein überraschend kategorisches Nein, da in ihnen ein Präjudiz für eine eigenständige Deutschsprachige Region gesehen wird. Walloniens Ministerpräsident Jean-Claude van Cauwenberghe spitzte seine Ablehnung auf die bei den Deutschbelgiern verhaßte Aussage zu, diese seien "deutschsprachige Wallonen".

Zeitgleich mit der wallonischen Ablehnung lancierte die Eupener Regierung einen Autoaufkleber, der - analog zu anderen Länderkennzeichen wie etwa dem "D-Schild" - das Kürzel DG sowie den Zusatz "Belgiens Deutschsprachige Region" trägt und allen Haushalten zugestellt wurde. Er soll die Identifikation der Bürger mit ihrer Region stärken und sie außerhalb bekannter machen. Das Ziel wurde erreicht, wie die überragende Medienaufmerksamkeit in Belgien und Deutschland zeigte.

Eine zweite Reaktion gen Wallonien folgte: Lambertz kündigte an, ein Referendum in der Deutschsprachigen Gemeinschaft durchführen zu wollen, in dem die Bürger der Forderung nach langfristiger Loslösung von Wallonien und Konstituierung einer eigenen "Gemeinschaft-Region" Ausdruck verleihen könnten. Es solle auch geklärt werden, ob sich die Ostbelgier mehrheitlich als Deutsche, deutschsprachige Wallonen oder deutschsprachige Belgier definierten. Schließlich kündigte Lambertz einen Musterprozeß gegen die belgische Bundesregierung an, da er die ständigen Verstöße übergeordneter Behörden gegen die Verpflichtung zur amtlichen Verwendung der deutschen Sprache "leid sei".

Auch hier traf Lambertz den wallonischen Nerv: Van Cauwenberghe ließ aus seinem südfranzösischen Urlaubsort verlauten, die Deutschsprachigen könnten sich, wenn sie so weitermachten, überhaupt alle Befugniszuwächse gänzlich abschminken, nicht ohne nochmal mehrfach zu wiederholen: "Die Einwohner der Deutschsprachigen Gemeinschaft sind deutschsprachige Wallonen." Flämische Unterstützung für die Deutschbelgier verbat er sich obendrein.

Das Presseecho, das der sozialistische Spitzenpolitiker erhielt, war aber fatal: Wütende Leserbriefe im Eupener Grenz-Echo und Kopfschütteln in der deutschen Presse. Sogar der Tierische Volksfreund, der bestimmt nicht jeden Tag die belgische Innenpolitik kommentiert, bezeichnete die "wallonische Arroganz als völlig fehl am Platze".

Bei vielen Flamen stoßen die Lambertz-Pläne auf Sympathie. Nicht verwunderlich, fühlt man sich doch in Flandern erinnert an den Stil, in dem das heute zum Armenhaus der EU abgewirtschaftete Wallonien die Flamen behandelte. So titelte Het Laatste Nieuws am 3. August: "Deutschsprachige Belgier haben wallonische Bevormundung satt". Selbst auf einigen flämischen Autos soll er auch schon gesehen worden sein, der DG-Aufkleber. 


 
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