© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    36/02 30. August 2002

 
Von allen guten Geistern verlassen
Hochwasser I: Mit direkten oder indirekten Steuererhöhungsplänen wird den Flutopfern am wenigsten geholfen
Bernd-Thomas Ramb

Die Schäden der Flutkatastrophe - keiner weiß bis heute wie hoch sie tatsächlich sind - beschäfti-gen alle politisch oder menschlich Betroffenen, seien sie nun unmittelbar leidtragend oder von der Naturgewalt verschont geblieben. Art und Ausmaß der Hilfeleistungen sind ebenso vielfältig wie überwältigend und reichen von praktischen Sofortmaßnahmen, wie Sandsäcke schleppen oder die Helfer verpflegen, bis zu theoretisierenden Überlegungen, wie die Beseitigung der Schäden zu finanzieren sei.

Letzteres fällt dabei nicht nur in die Zeit des Wahlkampfs, sondern auch in Zeiten der political correctness. Weh dem, der sich etwa staatlichen Vorschlägen zur Bezahlung der Aufbauarbeiten widersetzt, die doch der nationalen Solidarität mit den Geschädigten dienen. So tappte denn der Kanzlerkandidat der Unionsparteien prompt in die Falle des Regierungsvorschlags, als Notopfer für die Flutbetroffenen die Steuerreform um ein Jahr zu verschieben. Ein Schuft, der zu dieser bescheidenen Geste nicht bereit ist.

Die hochgepuschte Emotionalisierung der Hilfsdiskussion wird nicht nur gnadenlos zu Wahlkampfzwecken ausgenutzt und mit den antiintellektuellen Waffen der political correctness ausgefochten, sie beweist auch wieder einmal, welche Art von Rationalität das politische Denken heute bestimmt. Der kurzfristige Erfolg, dem scheinbaren Kleinmut oder der unterstellten Kurzsichtigkeit der Bevölkerung entsprechend, hat Vorrang, nicht nur in Wahlkampfzeiten, aber da besonders.

Wie sonst konnten sich die Unionsparteien auf die Argumentationsschiene der Regierung zwingen lassen, wenn nicht durch die panische Angst, kurz vor dem Wahltermin den sicher geglaubten Vorsprung zu verlieren. Kaum eine der wahlkampfführenden Parteien, außer der FDP, ist bereit zu einer nüchternen Analyse des Unheilszenarios. Dessen Komplexität läßt sich in drei Betrachtungsstufen auflösen.

Erste Stufe: die geschädigten Menschen sind selbst daran schuld. Sie haben bewußt nahe am Wasser gebaut oder vergessen, daß ihr Bauland, die Straßen und Eisenbahntrassen jahrhundertelang von der Natur beanspruchte Flutungsgebiete der Ströme und Bäche besetzten. Nun zeigt die Natur, wer Herr im Hause ist. Diese Schuld trifft nicht nur Einzelpersonen, sondern auch Kommunen und Länder, deren Verantwortliche leichtfertig die Siedlungen und Baumaßnahmen genehmigten und die Flutungsgefahren verharmlosten. Einzelne haben sich über entsprechende Versicherungen gegen das materielle Unheil gewappnet. Wenn jetzt alle entschädigt werden, wozu dann noch private oder kommunale Vorsorge treffen? Wozu dann noch auf die attraktiven Baugrundstücke in malerischer Ufernähe verzichten? Wozu dann noch vorsichtig die Gefahrengebiete umgehende Straßen und Eisenbahntrassen bauen? Wer Risiken wegen eines höheren materiellen Gewinns eingeht, soll auch die Risikoprämien tragen. Anderes hieße: Privater Ertrag bei Sozialisierung der Kosten.

Zweite Stufe: der Mensch ist ein mitfühlendes und barmherziges Wesen. Helfen tut not und gut. Die Tatsache, daß Zigtausend von freiwilligen Helfern ihre Arbeitskraft einbringen, um Sandsäcke zu schleppen, Deichwachen zu schieben und im Zerstörungsfall Aufräumarbeiten zu leisten, verdient allerhöchste Achtung. Die Hunderte von Millionen Euros Geldspenden werden in Zeiten geleistet, in denen es vielen der Spender keinesfalls finanziell gut geht. Da wird echter privater Verzicht geleistet. Unsere Moral ist also selbst in wirtschaftlich schlechten Zeiten hervorragend. Wir glauben noch an die sittliche Verpflichtung zur Hilfe gegenüber dem Nächsten, selbst wenn die christliche Religion eine immer geringere Rolle spielt.

Dritte Stufe: die Rolle des Staates in dieser Not. Noch bevor das Ausmaß der Schäden erfaßt ist, hält der Staat eine staatlich organisierte Hilfe für unerläßlich. Wahrscheinlich hat er recht und die privaten Schäden sind durch freiwillige private Hilfsleistungen wirklich nicht ausgleichbar, zumindest nicht auf die Schnelle. Sicher aber bleibt der Aspekt nicht unbeachtet, daß Politiker mit staatlichen Hilfen bei den Wählern Ansehen erringen können. Ebenso sicher sind aber auch einige negative Nebeneffekte.

Grundsätzlich bewirken staatliche Leistungen stets die kontraproduktiven Reaktionen, daß der Sinn für die Eigenverantwortung geschmälert und die Neigung zur privaten Hilfsleistung verringert wird. Warum, wie gesagt, noch Vorsorge treffen, wenn der Staat sowieso eingreift? Warum noch spenden, wenn der Fiskus diese Aufgabe übernimmt - ja sogar mir meine möglichen Spendengelder durch zusätzliche Steuern wegnimmt? Der Staat erzieht damit die Bürger zur Apathie und Hartherzigkeit.

Eine wichtige Rolle spielt aber auch die Art und Weise, wie staatliche Finanzhilfe geleistet wird. Die natürliche Reaktion der Menschen in Zeiten der Not und des Elends ist die Sparsamkeit. Haushaltstechnisch gesprochen schichten die Menschen ihre Ausgabenstruktur um. Geplante Ausgaben für anderes werden gekürzt oder gestrichen, um Möglichkeiten für den Ersatz verlorener Dinge zu schaffen. Selbst wenn der Gesamtschaden in Höhe von 15 Milliarden Euro liegen sollte. Das sind zwei bis drei Prozent der gesamten Staatsausgaben. Es ist kaum zu glauben, daß es unmöglich ist, in den Haushalten von Bund, Ländern und Gemeinden Ausgabeneinsparungen von zwei bis drei Prozent zu erzielen. Auf dieses und nächstes Jahr verteilt wäre es sogar nur die Hälfte.

Statt dessen mißbraucht die Bundesregierung die Not der Menschen, um ihre desolate Haushaltspolitik zu kaschieren. Die Aussetzung der Steuerreform bedeutet eindeutig eine Steuererhöhung. Sie ist am wenigsten, aber auch, Bruch eines bestehenden Gesetzes. Sie ist weniger, aber auch, Zeichen einer unsteten und kurzatmigen Wirtschaftspolitik, schon für sich genommen das gefährlichste Gift für ein gerade jetzt so notwendiges Wirtschaftswachstum.

Die im Zeichen der Flutkatastrophe propagierte Steuererhöhung bedeutet vor allem einen weiteren Schritt in den sozialistischen Staat, der unter dem Deckmantel des Gemeinsinns wirtschaftliche Armut erzeugt. Wer jedes Mal, wenn es eng wird, nach Steuererhöhungen schreit, zielt auf den totalen Staat ab. Nicht nur wirtschaftlich, sondern auch geistig und moralisch. Gerade im Osten haben dies die Menschen vierzig Jahre schmerzvoll ertragen. Sie wären von allen guten Geistern verlassen, wenn jetzt die aus der Naturkatastrophe erwachsene Not zur Wiedereinführung des Sozialismus mißbraucht würde. Dagegen anzukämpfen ist die zweitwichtigste Hilfe für die Flutgeschädigten.


 
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