© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    36/02 30. August 2002

 
Der Feind lauert überall
Die antideutsche Linke bewältigt im Nahostkonflikt ihr eigenes historisches Scheitern
Werner Olles

Als palästinensische Selbstmordflieger 1975 im Uganda des debilen Diktators Idi Amin Dada trainierten, war die linksradikale Welt ideologisch noch einigermaßen in Ordnung. Das "zionistische und rassistische Gebilde" Israel, das zudem die Unterstützung des verhaßten südafrikanischen Apartheid-Regimes genoß, galt als nahöstlicher "Kettenhund des US-Imperialismus", während die PLO inklusive all ihrer Terrororganisationen mit den Weihen des "antiimperialistischen und antizionistischen Befreiungskampfes" ausgestattet wurde.

Ein Jahr später, als ausgerechnet deutsche Linksterroristen nach einer Flugzeugentführung in Entebbe im Auftrag der "Volksfront für die Befreiung Palästinas" (PFLP) die Selektion jüdischer von nichtjüdischen Passagieren vornahmen, und bald darauf bekannt wurde, daß die gleiche Gruppe die Ermordung der Vorsitzenden der Jüdischen Gemeinden Berlins und Frankfurts, Galinski und Lipinsky, geplant hatte, begannen einige Linke, langsam nachdenklich zu werden.

Tatsächlich waren die Vertreibung und Unterdrückung der Palästinenser von der radikalen Linken nicht projektiv erfunden, sondern von ihr vorgefunden worden. Aber die bedingungslose Verteidigung Israels durch die offizielle deutsche Politik und die Medien, allen voran die "Springer-Presse", forcierte das traditionell linke Unbehagen an dem Staat der Juden in einer Weise, die sich gleichsam metaphorisch auf Auschwitz als negative Apotheose berief und als Ausdruck eines symbolischen Wiederholungszwangs zu einem Palästinaengagement führte, das seinerseits eine realitätsgerechte Wahrnehmung des Nahostkonflikts von vornherein ausschloß. Die Linke sah sich erstmalig ernsthaft mit ihrer deutschen Herkunft konfrontiert und reagierte daher auf die historische Palästinafrage nicht pragmatisch, sondern ideologisch, indem sie den Konflikt nicht am realen Ort seines Geschehens beließ. Statt dessen stellte sie ihn in längst vergangen geglaubte Traditionszusammenhänge.

In dieser verhängnisvollen Konstellation aus berechtigter Israelkritik und der internationalistischen Solidarität mit einem antikoloniale Züge tragenden nationalen Befreiungskampf war die antisemitische Täuschung jedoch zwangsläufig bereits angelegt.

Genau der gleiche Fehler - nur eben in umgekehrter Richtung - unterläuft heute der sich als "Antideutsche" bezeichnenden linksextremen Strömung. Um jede Möglichkeit einer Wiederholung von Auschwitz auszuschließen, verschließt man nicht nur seine Augen vor dem an den Palästinensern verübten Unrecht, sondern versucht mit dem Vorwurf des Antisemitismus all jene zu stigmatisieren, die sich mit den in der Tat Vertriebenen und Verdrängten solidarisch erklären. Der Vorwurf des Antisemitismus ist jedoch modisch und dürfte obendrein zu kurz greifen. Richtig ist aber, daß in der Palästinafrage auch an allen Ecken und Enden die nicht vergehen wollende Vergangenheit der Deutschen lauert.

Die "Antideutschen" um die Zeitschriften Konkret und Bahamas und die Zeitung Jungle World haben jedoch ihrerseits das Moment des offenen oder versteckten Antisemitismus längst widersprüchlich amalgamiert mit einem antiarabischen und antimuslimischen Rassismus. Man muß keineswegs mit irgendeinem Islamismus sympathisieren, um zu erkennen, daß die "antideutschen" Spätaufklärer mit ihrer dumpfen ideologischen Reaktion eine typisch deutsche Identitätsduselei bedienen, die sich diesmal exklusiv auf "die andere Seite" geschlagen hat. Wenn also die Bahamas in ihrer jüngsten Ausgabe über den "hemmungslos eliminatorischen Antisemitismus" der Palästinenser und vom "antifaschistischen Antisemitismus" der Linken fabuliert, offenbart sich darin nicht nur eine totale Identifikation mit dem Staat Israel, über die man durchaus diskutieren kann, sondern auch der banale Modus eines ideologischen Modells, dessen Subjektkonstruktion allerdings leicht zu durchschauen ist.

Mehr als gestört ist jedoch auch die innerlinke Kommunikation. Das sich dort breitmachende Sektensyndrom erinnert nicht nur stark an die siebziger Jahre, als diverse K- und andere Gruppen mit Eispickeln, Totschlägern und ähnlichen Gegenständen zum assoziativen Diskurs baten, auch auf der psychopathologischen Ebene wird echte deutsche Wertarbeit geleistet. So werden "Faschisten" inzwischen allerorten entdeckt und entsprechend unerbittlich entlarvt.

Dagegen war die Nähe der alten Linken zu Israel immer auch der Wehmut gegenüber ihren früheren - mittlerweile jedoch verratenen - Idealen geschuldet. Die "Antideutschen" legitimieren sich heute mit dem ein wenig angestaubten Argument, der Antisemitismus erlebe nun in leicht veränderter Form seine Renaissance. Daran stimmt nur soviel, daß in der Welt vor Auschwitz die Begriffe noch stimmten, und das historische Programm der Linken zur "Judenfrage" stabil war. In der Welt nach Auschwitz, nach dem Grauen der Massenvernichtung, erleichterte sich die Linke dieses Gepäcks und stellte - ganz in der Tradition der Menschenrechte und der Gleicheit - die jüdische Staatlichkeit, die immer auch die Staatsräson Israels war, mit ihrer Forderung nach Gleichbehandlung von Juden und Palästinensern in den Grenzen des israelischen Staates in Frage.

Dennoch ist es billig und rationalisierend zugleich, jede Kritik an der Militärpolitik Israels oder am Zionismus als antisemitisch abzuqualifizieren. Die "Antideutschen" mögen in ihrer Überheblichkeit glauben, von sämtlichen Spurenelementen antisemitischer Traditionsbestände frei zu sein. Dabei scheinen sie nicht einmal zu spüren, wie sich ihre anti-antisemitisch aufspreizenden Antisemitismen in einer kulturellen Blindheit entfalten, deren schlimmste Invektiven nichts als Rassismus produzieren. So ist in den Bahamas durchweg vom "Islamfaschismus des palästinensischen Volkes", vom Islam als "größtem psychopathologischen Kollektiv, das die Welt je gesehen hat", vom "palästinensischen Vernichtungskollektiv" oder vom "deutsch-palästinensischen Mob" die Rede. Und spätestens wenn Papst Johannes Paul II., Jürgen Möllemann und Martin Walser, die Parteien von PDS bis NPD, die Medien von Junge Welt bis Nationalzeitung, die UN, die EU und "Attac" die "Rückendeckung für den Massenmord an Juden" abgeben, spätetens dann stellt sich die Frage, inwieweit die Identifikation der "Antideutschen" mit Israel und dessen bedingungslose Verteidigung inzwischen ihr sich emanzipatorisch dünkendes Bewußtsein hin zum Irrsinn verdunkelt hat.

Andererseits kann man sich so natürlich auch elegant aus der Affäre ziehen, um sich mit den Folgen unserer eigenen Realgeschichte, den durch den Nationalsozialismus hindurchführenden und nicht verbrauchten linken Kontinuitätsbezügen zu einer ungebrochenen linken Traditionslinie zu schwindeln, deren univer-salistische Gestalt in höchster Abstraktheit ständig Begriffe wie "Menschenrechte" und "Zivilisation" artikuliert. Diese gelten aber seltsamerweise dann nur für Israelis und nicht für Palästinenser. So stellt Israel für die "antideutsche" Linke ein symbolisches Institut ihres eigenen historischen und politischen Scheiterns dar.

Für die "Antideutschen" gilt es jetzt nach der Devise "Fanta statt Fatwa" und "Sherry statt Sharia" die "westlichen Werte", den "zivilisierten Teil der Menschheit" und "Aufklärungsmoderne" gegen den "Irrationalismus der islamistischen Ideologie" und dessen "Akte der Barbarei" in Stellung zu bringen. Das scheint nicht ganz einfach zu sein, denn der Feind ist überall. Er lauert in rechten Kameradschaften und marxistischen Studierzirkeln, vor allem aber bei den "saturierten Alt-68ern", die "mit ihrem Multi-Kulti-Gewese Verrat an der Aufklärung betreiben" (Bahamas).


 
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