© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    37/02 06. September 2002


Kosten der Gesundheit
Beim Frisör geht's anders
Dieter Stein

Vor über sechs Wochen wurde mein Sohn geboren. Er entwickelt sich prächtig, er lacht schon (tun kleine Kinder erst nach einigen Wochen) und gibt glucksende Laute von sich, wenn es ihm gut geht. Wie üblich hält er die Eltern - in erster Linie die Mutter - besonders Nachts auf Trab. Aber wir nehmen es mit Humor und freuen uns über die Zeit, in der sich ein kleiner Mensch am schnellsten entwickelt.

Nun ist etwas Merkwürdiges passiert. Exakt seit ich meine Frau, wenige Tage nach der Geburt, aus dem Krankenhaus abgeholt habe, plagen mich jede Nacht Rückenschmerzen, die zwischen drei und sechs Uhr morgens auftreten. Wir konsultierten die Hebamme. Ob es einen Zusammenhang ...? Ja, lacht die Hebamme, schon oft habe sie es erlebt, daß junge Väter auf den unbewußten Streß der Geburt in dieser Weise reagierten. Sie empfahl eine Chiropraktikerin, an die sie die entsprechenden Väter schon dutzendweise weiterempfohlen hatte.

Warum ich Ihnen das alles erzähle? Weil wir in diesen Tagen wieder über eine Explosion der Kosten des Gesundheitssystems reden. Die Ärztin ist nicht inkompetent. Aber mir fiel als jemand, der bisher in der Regel nur zum Zahnarzt gegangen ist, auf, wie absurd es in einem Arzt-Patienten-Gespräch zugeht.

Die Ärztin ist unter Zeitdruck. Zack, zack. Mit ein paar Handgriffen wird der verhärtete Rücken entspannt. Ich muß die Zunge herausstrecken. "Aha, die Leber, Streß." Interessant. Ich werde nicht gefragt, welche Art von Arbeit ich verrichte, welche Form von Sport ich mache. Es hätte ja sein können, daß ich ständig von einer zwei Meter hohen Rampe springe, nachdem ich meinen LKW mit zentnerschweren Mehlsäcken beladen habe und mit der Ladung dann täglich nach Mailand kurve. Aber ich bekomme beim zweiten Besuch Akupunktur. Angenehm. Aber hilft's?

Dann beim dritten Besuch: "Immer noch nicht besser? Dann müssen wir eine CT machen." Jaja, Computer-Tomographie, soviel ist mir klar. Mit einer Überweisung marschiere ich zum nächsten Arzt, werde in eine Röhre geschoben. Man stellt eine kleine, nicht dramatische Vorwölbung zweier Bandscheiben fest. Daraufhin bekomme ich Krankengymnastik verschrieben. Sechs Mal. Dann kommt die Rechnung von der CT. 650 Euro! Meine Frau lächelt milde: "Das weiß doch jeder!" Ich wußte es eben nicht. Und nun fiel mir auf, daß ich mit der Ärztin nicht ein einziges Mal über Kosten gesprochen habe. Sie wußte nur, daß ich privat versichert bin - aber mit einer Selbstbeteiligung von 4.000 Mark!

Egal. Ich glaube, daß unser Gesundheitssystem daran krankt, daß zwischen Arzt und Patient nicht darüber gesprochen wird, was eigentlich diese und jene Aktion kostet und ob es wirklich nötig ist, diese und jene Behandlung vorzunehmen. Beim Frisör überlegt man doch auch, ob man sich trocken oder naß schneiden läßt. Doch warum sollten Kosten (außer bei Selbstbeteiligung) problematisiert werden - dem Patienten ist es Wurst, der Arzt und die Pharmaindustrie verdienen.


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