© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    37/02 06. September 2002

 
Das eingebildete Monopol
CDU/CSU: Edmund Stoiber vernachlässigt die konservativen Wähler und hofft darauf, daß sie ihn trotzdem wählen werden
Paul Rosen

Das Wort "konservativ" vermeidet Edmund Stoiber in seinen Wahlkampfreden am allerliebsten. Sehr zum Bedauern von SPD-Wahlkampfmanager Matthias Machnig, der den CSU-Kandidaten gerne in die rechte Ecke gestellt und einen Stoppt-Stoiber-Wahlkampf geführt hätte. Aber auch viele Wähler dürften enttäuscht sein: Auf dem langen Stimmzettel für den 22. September finden sich unter den großen nur zwei sozialdemokratische Parteien: Die SPD und die CDU, in Bayern die CSU.

Unions-Wahlkampfmanager wie Michael Spreng und auch die auf Fortschrittlichkeit bedachte CDU-Chefin Angela Merkel haben dem Kandidaten jedes konservative oder rechte Profilabgeschliffen, was bei ihm allerdings ohnehin nie so klar erkennbar war wie weiland bei Franz Josef Strauß. Stoiber ist heute nur präsent als ein Politiker, der von Rot-Grün verursachte Fehlentwicklungen auf dem Arbeitsmarkt wieder auf den status quo ante bringen will. Außerdem spielt er sich als Anwalt des kleinen Mannes auf, indem er in der Finanz- und Steuerpolitik auf eine Rücknahme der die Großindustrie begünstigenden Regelungen drängt. Auch bei der Diskussion um die Fluthilfe wurde dieser Aspekt beim Spitzenkandidaten der Union wieder deutlich.

Man muß Stoiber zugute halten, daß er sein Ziel, deutlich über 40 Prozent der Stimmen zu kommen (1998 hatte die Union 35,1 Prozent erhalten), nur erreichen kann, wenn er sich nicht nur den Konservativen als ihr Kandidat präsentiert, sondern auch den traditionellen Wählern der Mitte, die 1998 in Scharen zu Gerhard Schröders "Neuer Mitte" übergelaufen waren. In diesem Segment bestehen gute Chancen, daß viele Bürgerliche am 22. September wieder ihren Weg zurück zur CDU oder CSU finden werden, weil sie von den Sozialdemokraten maßlos enttäuscht sind. Um diese Gruppe wirbt Stoiber fast ausschließlich. Damit vernachlässigt er die konservative Wählerschicht, der er sich ohnehin sicher wähnt. Alternativen für Rechtsbürgerliche sind nicht in Sicht, glauben die Unionsstrategen.

In der CDU ist es nicht erst seit der Übernahme des Vorsitzes von Helmut Kohl durch Wolfgang Schäuble zu einer Tendenz gekommen, so daß konservative Positionen immer mehr an Einfluß verloren haben. Unter der Führung von Angela Merkel verstärkte sich dieser Prozeß. Die Rostocker Pastorentochter achtet penibel darauf, daß von der ihr vorgegebenen Linie nicht abgewichen wird. Hinzu kommt ein Verlust an Persönlichkeiten mit konservativem Profil in der Union. Der heutige Typ Volksvertreter oder Parteifunktionär ist jung, dynamisch und zeitgeistig. Von konservativ redet er nicht, allenfalls gebraucht er das Wort "wertkonservativ", was schon eine Distanzierung beinhaltet. Der letzte typische konservative Vertreter in der CDU war der kürzlich verstorbene langjährige Fraktionsvorsitzende Alfred Dregger (JF 28/02). Nachgewachsen an seiner Stelle ist nichts. Heutige CDU-Funktionäre wie Niedersachsens CDU-Chef Christian Wulff oder sein nordrhein-westfälischer Kollege Jürgen Rüttgers stehen sozialdemokratischen Positionen näher als denen von Dregger.

Positionswechsel in der Familienpolitik

Das ist auch der Grund, warum sich in der Partei kein Widerspruch erhebt, wenn wieder einmal Positionen geräumt werden. Dies war im Regierungsprogramm mehrfach der Fall und wurde am auffälligsten in der Familienpolitik, wo sich CDU und CSU weitgehend der SPD-These angenähert haben, nach der Familie überall dort sei, wo Kinder sind. Aus mehreren Faktoren ergibt sich der Eindruck, daß die Position der klassischen Familie nicht mehr bei der Union zu Hause ist. Da ist zunächst die programmatische Aussage der CDU, in der er eine Würdigung der gleichgeschlechtlichen Lebensgemeinschaften ausgerechnet im Kapitel zur Familienpolitik vorkommt. Zwar haben unionsregierte Länder eine Klage gegen die von Rot-Grün eingeführte Lebenspartnerschaft für Homosexuelle eingereicht (dem Antrag auf Einstweilige Anordnung gab das Verfassungsgericht nicht statt), aber ändern will Stoiber das Gesetz nach der Bundestagswahl nicht mehr. So haben viele Familien den Eindruck, daß sie entwertet werden, weil andere Lebensformen zwar nicht nominell und juristisch, aber in der Realität auf eine Stufe mit Ehe und Familie gestellt werden.

Dazu paßt die Berufung der CDU-Abgeordneten Katherina Reiche in Stoibers Kompetenzteam. Die Abgeordnete steht für das Gegenteil konservativer Positionen, etwa in Fragen der Bioethik und des Lebensschutzes. Daß die junge Mutter nicht verheiratet ist, ist ihre eigene Entscheidung, rundet aber den Gesamteindruck ab. Eine öffentliche Debatte über die Unionspositionen bildete sich nur in einem Streit zwischen dem Kölner Kardinal Joachim Meisner und der CDU-Führung ab. Die Partei schaffte hier aufgrund eines Fehlens des konservativen Flügels schnell die Herstellung einer einheitlichen Linie. Meisner blieb mit seinem Vorwurf, die Union trage das Wort christlich zu Unrecht im Namen, weitgehend allein.

In diesen Zusammenhang paßt auch Stoibers Position zur Zuwanderungspolitik. Von der Aussage, Deutschland sei kein Einwanderungsland, hat sich die Union bereits seit langem verabschiedet. Jetzt will man auch das rot-grüne Zuwanderungsgesetz nach einer gewonnenen Wahl nicht mehr aufheben, sondern nur noch Korrekturen vornehmen, um die Integration hier lebender Ausländer zu verbessern und allzu hohe Einwanderungszahlen etwas zu reduzieren. Noch vor mehreren Jahren hatte Stoiber ganz andere Positionen vertreten und sich auch nachdrücklich für eine Bevölkerungspolitik, also gezielte staatliche Maßnahmen zur Erhöhung der Geburtenzahlen, ausgesprochen.

Selbst in der Außenpolitik scheint Stoiber Kreide gefressen zu haben. Vorbei sind zum Beispiel seine EU-kritischen Äußerungen. Dabei hätten gerade die Hochwasserhilfen Anlaß zur Kritik geben müssen. Brüssel beschränkte seine Unterstützung auf das Vorziehen ohnehin geplanter Geldzahlungen. Margaret Thatcher hätte in dieser Situation mit Sicherheit einen Beitragsrabatt für ihr Land gefordert. Aber auch gegenüber den USA veränderte Stoiber seine Position, um im Wahlkampf nicht in die Rolle des Kriegstreibers zu geraten. Zwar gebrauchte der Kandidat nie das Schröder-Wort von der "uneingeschränkten Solidarität". Zuerst redete er vom notwendigen Beistand für die USA, um jetzt mit der SPD übereinzustimmen, daß bei einem Angriff auf den Irak sofort die deutschen Spürpanzer aus Kuwait abzuziehen seien.

Die Beliebigkeit, die Stoiber Schröder stets vorzuwerfen pflegt, fällt mittlerweile auf ihn selbst zurück. Und die konservativen Wähler dürften in ihrer großen Mehrzahl am 22. September wieder ihr Kreuz bei der CDU/CSU machen, an dem sie dann vier Jahre schwer zu tragen haben werden.


 
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