© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    37/02 06. September 2002

 
Zeitschriftenkritik: Contraste
Simulation von Wirklichkeit
Werner Olles

Wir leben lagerübergreifend in Zeiten sich entwickelnder Autonomie und Selbstorganisation. Kein Grüppchen und kein Blättchen, daß nicht diese oder ähnliche Termini auf ihr zerschlissenes Banner bzw. in sein bejammernswert langweiliges Editorial schreiben würde. So hält es auch die im 19. Jahrgang erscheinende Zeitung Contraste, die sich bereits in ihrem Untertitel aussagekräftig als "Monatszeitung für Selbstorganisation" zu erkennen gibt. Selbstorganisation scheint also in der Tat der letzte gemeinsame Nenner einer radikalen Linken zu sein, deren einstmals allumfassende Gesellschaftskritik inzwischen selbst unter aller Kritik ist.

Was dem Leser zunächst auffällt, ist der hermetische Jargon, der hier gepflegt wird, der aber primär nur die Ohnmacht der Schreibenden ausdrückt. Politische Aktivität als Vorbereitung auf die eigene Verwertung ist gewiß frustrierend, wie dem jedoch über die Bildung von "Diskussionszusammenhängen zu Selbstorganisation und Herrschaftskritik" kurz-, mittel- oder langfristig beizukommen ist, erschließt sich wohl allein dem genügsamen Mitglied einer abendländischen Basisgruppe, die im "kommunitären Miteinander" ihre "eigene weitere Lebensgestaltung sucht". Wie in einer publizistischen Zeitmaschine fühlt man sich mit Contraste zurückversetzt in die siebziger und achtziger Jahre, als die innerlinke Kommunikation noch einigermaßen stimmte, wenngleich das chronische Theoriedefizit auch damals bereits nur mühsam von dem die tollsten Kapriolen schlagenden Sektensyndrom verdrängt wurde.

Contraste möchte "die Gesellschaft zur Randgruppe erklären" und auf der "Wiese der Utopie zelten". Bei freundlichem Wetter mag das ja in Ordnung gehen, aber was vielleicht für ein beliebiges "antirassistisches Grenzcamp" völlig ausreicht, taugt zur Erklärung der Warengesellschaft höchstens als Mittel der Evidenzverweigerung und Erkenntnisvermeidung. Natürlich kann man sich die traurige Wirklichkeit derart zurechtinterpretieren, daß einem die eigenen Sprechblasen und Schlagworte wie "gesellschaftskritische und herrschaftsfreie Kommunikation" erscheinen. Das universelle "Selbstorganisations"-Gebot unterschlägt dabei jedoch schamhaft, wie wenig theoretische und praktische Vorbilder und Vorläufer, die man auch ungestraft vorzeigen kann, in den Traditionsbeständen der radikalen Linken zu finden sind.

Seitdem die Linke ihre marxistische Vergangenheit leichthin entsorgt hat und gewissermaßen zur Avantgarde der kapitalistischen Warengesellschaft avancierte, nehmen ihre politischen und sozialen Experimente immer unglücklichere Verläufe. Nicht einmal ansatzweise konnte sie ihren Anspruch einlösen, durch einen kontinuierlichen Diskussionsprozeß eine Theoriebildung zu ermöglichen, die sich weder medientheoretisch noch kulturalistisch vereinnahmen läßt. Das entspricht zweifellos der Tradition eines paralysierten linken Diskurses, der die Simulation von Wirklichkeit ständig mit eben dieser verwechselt. Daran kränkelt auch Contraste.

Contraste-Vertrieb. Postfach 10 45 20, 69035 Heidelberg. Einzelpreis 4,50 Euro, Jahresabo 45 Euro.


 
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