© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    37/02 06. September 2002

 
Liebeswirren
Kino: "Lucía und der Sex" von Julio Medem
Ellen Kositza

Lucía und der Sex": hier bildet der Filmtitel eine Art aufschlußreiche, wenn auch nicht vollständige Inhaltsangabe. Das ist nett für den Konsumenten, immerhin kann keiner später sagen, er habe sich etwas anderes erwartet von dem Film. Es beginnt mit einem Beischlaf bei Vollmond im Meer, einer kunstlos verknäulten Unterwasseraufnahme. Der Akt endet durch eine flapsige Beteuerung, die aber enthusiastisch und gleichzeitig tief gemeint ist ("...das war der geilste f..."), als weiterhin Unbekannte trennt man sich.

Die nächste Szene zeigt deutlicher auch den oberen Körperrest des recht erfolgreichen Schriftstellers Lorenzo (Tristán Ulloa), mitteljung, weichgesichtig und mit einem seltsam fedrigen Gestrüpp als Haupthaar, der seinem Freund in der gemeinsamen Stammkneipe einen Schreibstau klagt, ihm fehle die rechte Inspiration. Da wird er von Lucía (Paz Vega) angesprochen, die unbemerkt seine Wege schon länger verfolgte, seine Romane vergöttert und ihm ganz unverblümt, wenn auch nicht unaufgeregt, ein Liebesangebot macht, das sich über eine Nacht hinaus auf ein Zusammenleben bezieht. Lorenzo fängt sofort Feuer und willigt ein. Ein wildes Miteinander beginnt, und es scheint dem Zuschauer, als sei es die Hauptintention des Regisseurs Julio Medem ("Die Liebenden des Polarkreises", 1998), mal alles herzuzeigen, was sich aus eigener intimer Erfahrung so aufgestaut hat. Dies alles sehr frontal, bisweilen die Grenzen des Softpornos überschreitend, und so, als wäre der Zugang über symbolische Andeutungen eine falsche Scham.

Dann wird es verzwickt, um nicht zu sagen: konfus. Aus jener Liebesnacht dereinst vor vier Jahren - Lorenzo zehrt trotz seiner Liebe zu Lucía noch immer von dieser Erinnerung - ist ein Kind entstanden. Die Mutter hat den Erzeuger eine Zeitlang erfolglos gesucht und lebt jetzt großstädtisch mit einem anderen Mann zusammen. Lorenzos Freund aber, der von dem Erlebnis im Meer weiß, hat durch Zufall Kenntnis von dem Resultat dieser einmaligen Verschmelzung bekommen und führt Lorenzo als Geburtstagsüberraschung auf einen Spielplatz, auf dem sich die kleine Tochter mit dem Kindermädchen Belen aufhält. Ohne sich zu erkennen zu geben und auch ohne Lucía davon zu erzählen, findet sich der Schriftsteller nun regelmäßig dort ein, beschäftigt sich mit der Kleinen und dem neuen Bewußtsein, Vater zu sein, und schließt dabei Freundschaft mit der jungen Belen.

Das Kindermädchen, ein bißchen notgeil, erzählt Lorenzo von einer sich entwickelnden Dreierbeziehung zwischen ihrer Mutter - einem Pornostar -, deren Liebhaber Carlos und sich selbst. Diese Geschichte inspiriert Lorenzo zu einem neuen Roman, den er nächtens in seinen Computer tippt. Durch sein Geheimnis hat die Liebe zwischen dem Schriftsteller und Lucía einen Riß bekommen, und eines Abends verabreden sich Lorenzo und das Kindermädchen in Elenas Wohnung.

Elena ist ausgegangen, und während Belen sehr zudringlich den noch widerstrebenden Lorenzo verführt, passiert ein furchtbares Unglück im Nebenzimmer: Der Familienhund tötet Lorenzos Tochter. Zutiefst geschockt flieht Lorenzo und kann das Geschehene, über das er mit niemandem spricht, auch in den folgenden Monaten nicht verwinden. Die beiden Liebenden entfremden sich, doch die Liebe bleibt.

Eines nachts läuft der Verzweifelte vor ein Auto. Als ein Sanitäter telefonisch Lucía informieren will ("Ich habe eine schlechte Nachricht für Sie, Ihr Freund hatte einen schweren Unfall..."), unterbricht sie das Gespräch in dem festen Glauben, Lorenzo sei tot. Lucía reißt einfach aus. Als Ziel hat sie die einsame Insel, auf der das berühmte, auch ihr bekannte Ereignis stattfand. Dort trifft sie eine Frau, die in der wüsten Einöde gerade eine kleine Touristenherberge aufgebaut hat, in der sie einen Dauergast, einen streunenden Abenteurer, unterhält, mit dem sie ein unverbindliches sexuelles Verhältnis pflegt. Der Mann ist Carlos aus der früheren Dreiecksbeziehung, und die Frau ist die verwaiste Mutter Elena, doch keiner kennt die Identität des anderen.

Schicksal, wunderbares, schmerzhaftes Schicksal, soll das alles bedeuten, und all diese kruden Wirrnisse lassen den Film zu einer epischen Breite - 128 Minuten - anwachsen, ohne daß episches Gewicht den Inhalt je durchdringt. Doch schließlich ist das nicht sein Anspruch, immerhin geht es ja um - eben Lucía und den Sex.


 
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