© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    38/02 13. September 2002


Wiener Regierung gescheitert
Die eigene Wichtigkeit überschätzt
Carl Gustaf Ströhm

Das Scheitern der ÖVP/FPÖ-Regierung in Österreich hat im Gegensatz zur landläufigen Medienmeinung nicht nur einen Urheber - nämlich den "bösen Haider", der aus lauter Jux die schwarz-blaue Koalition ins Jenseits befördern ließ. Vielmehr muß man zwischen menschlichen und sachlichen Problemen differenzieren, die sich zwischen den Beteiligten des Dramas aufgehäuft haben.

Da war einmal jene Gruppe, die als Haiders "Buberl-Partei" bezeichnet wurde - samt seiner einstigen Pressesekretärin Susanne Riess-Passer, zuletzt Vizekanzlerin. Das waren junge Leute, die Haider alles zu verdanken hatten und ihm bedingungslos ergeben waren. Wie Karl-Heinz Grasser, der durch Haider mit 31 Jahren zum jüngsten Finanzminister Europas avancierte - oder FPÖ-Klubobmann Peter Westenthaler, ein Wiener Proletarierbub aus dem SPÖ-Milieu, der sich, von Haider begeistert, der FPÖ anschloß.

Bei diesem "Dreigestirn", das jetzt durch seinen spektakulären Rücktritt das Ende der Regierung Schüssel - und womöglich auch das Ende der FPÖ einläutete, war der Wunsch aufgekommen, sich vom "Übervater" Haider zu emanzipieren. Da kann Verehrung rasch in Haß und Verachtung umschlagen. Haiders Fehler war, zu glauben, er könne sich auf seine Getreuen in Wien auch von Kärnten aus verlassen. In Wahrheit führte die räumliche Entfernung dazu, daß die einst Getreuen ihm entglitten und - untreu wurden. Sie glaubten, es selber besser zu wissen und zu machen als der "Alte" aus Kärnten.

Hinzu kommt, daß der 52jährige Kärntner Landeshauptmann die FPÖ durch den Generationenschub entideologisiert hat. Die "Frondeure" sind heute ohne tiefere Überzeugungen. Sie waren weder Rechte noch Linke, sondern Exponenten der "Yuppie-Generation". Sobald ihre Loyalität zu Haider zerbrach, wurden sie buchstäblich "herrenlos" und begannen in Unkenntnis der Machtverhältnisse und in Fehleinschätzung der eigenen Wichtigkeit, auf eigene Faust zu agieren - am Wählerwillen vorbei.

Haider, der Charismatiker mit politischem Instinkt (der ihn allerdings manchmal im Stich ließ), erkannte, wenn auch vielleicht zu spät, daß die Regierungsriege die FPÖ spätestens 2003 in eine schwere Wahlniederlage führen würde, denn seine einstigen Bewunderer hatten die Bodenhaftung verloren. Haider merkte, daß die FPÖ sich von ihrer Wählerbasis entfernte - von den kleinen Leuten, vielen bisherigen SPÖ-Wählern, die sich von der FPÖ soziale Gerechtigkeit und, vor allem der Mittelstand, niedrigere Steuern erhofft hatten. Das Gegenteil trat ein: unter einem FPÖ-Finanzminister wurden Steuern und Abgaben drastisch erhöht. Haider wollte eingreifen, um die "Abgehobenen" zurück auf den Boden zu holen.

Daß auch er die Situation falsch einschätzte, trug noch mehr zur Dramatik bei. Noch kurz vor dem Ende warnte er seine Getreuen, die FPÖ werde für die nächsten Jahrzehnte nie wieder an die Regierung kommen, wenn die Koalition scheitern sollte. Sie ist gescheitert.


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