© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    38/02 13. September 2002

 
BLICK NACH OSTEN
Grausamster Kapitalismus
Carl Gustaf Ströhm

Als der britische Literaturno-
belpreisträger Rudyard Ki-pling vor über hundert Jahren konstatierte, Ost sei Ost und West sei West - und beide kämen nie zusammen, meinte er mit "Osten" Indien und Asien. Heute muß man sich fragen, ob der Stoßseufzer des "Dschungelbuch"-Autors - trotz Verschwinden des Eisernen Vorhangs und bevorstehender EU-Osterweiterung - nicht auch auf den postkommunistischen Raum Europas zutrifft.

Dort bahnen sich Entwicklungen an, von denen man im Westen oft keine Ahnung hat. Beispiel Kroatien: Die in Zagreb erscheinende Zeitung der Bischofskonferenz, Glas Koncila (Stimme des Konzils), stellte dieser Tage in einem Kommentar die provokante Frage, ob die führenden kroatischen Politiker und Journalisten überhaupt noch am Wohl ihrer Bürger interessiert seien?

Als die Bischöfe Kroatiens jüngst vor der Bedrohung der Familie und der Gefahr eines Aussterbens des kroatischen Volkes warnten hätten die regierenden Kryptokommunisten nur mit der Retourkutsche reagiert, die Bischöfe seien "Stammtischpolitiker". Die meisten (im Sinne der Linken gleichgeschalteten) Medien hätten der "Familien-Problematik" überhaupt keinen Raum gegeben. Weder Politiker, noch Experten des Gesundheitswesens, noch die Medien hätten es für nötig befunden, die erschreckenden Bevölkerungsstatistiken Kroatiens zu kommentieren.

Laut Volkszählung des Jahres 2001 sind 27 Prozent der Familien in Kroatien kinderlos. Von 725.999 Familien mit Kindern hätten 421.062 nur ein Kind. "Kann dieser alarmierende Zustand jene gleichgültig lassen, denen es wirklich um das Wohl des Volkes zu tun ist?", fragt Glas Koncila. In einem Regierungsdokument zum Thema Familienpolitik werde das Problem des Geburtenrückgangs überhaupt nicht berührt. Die Frage stelle sich, so das Kirchenblatt, ob man nicht an der Gutwilligkeit und am Verantwortungsbewußtsein der politischen und medialen Klasse zweifeln müsse: "Wem dient der Staat überhaupt, wenn er sich nicht um die vitalen Interessen seiner Bürger kümmert?"

In der kroatischen Gesellschaft, so die Zeitung der Bischöfe, herrsche der "grausamste Kapitalismus": Junge Frauen müßten sich bei Antritt ihrer Arbeitsverhältnisse verpflichten, mehrere Jahre nicht schwanger zu werden - widrigenfalls würden sie entlassen. Frauen und Mütter seien gezwungen, 13 und mehr Stunden täglich zu arbeiten - und würden für nur acht Stunden schlecht bezahlt. Die Politiker seien oft mit den Arbeitgebern befreundet, unternähmen aber nichts - und die Gewerkschaften seien machtlos.

Die jüngsten drastischen Strom- und Gaspreiserhöhungen träfen in erster Linie die armen Familien. Es sei "skandalös", daß die kroatische Regierung eher die Interessen der reichen Monopol-Betriebe schütze, die demnächst ohnehin in den Besitz von Ausländern kämen. In Kroatien seien 30.000 Familien ohne Strom, weil sie die überhöhten E-Tarife nicht mehr bezahlen könnten. Und nochmals fragt Glas Koncila: "Ist es wirklich im Interesse der kroatischen Bürger, wenn die monopolistischen Energieträger in die Hände von Ausländern fallen, denen nichts heilig ist, außer ihrem Profit?"

Die katholische Kirche hat unter den Kroaten immer eine besondere nationale Rolle, ja sogar Mission ausgefüllt. Der kroatische Episkopat agiert auch nicht so ängstlich wie der westeuropäische Katholizismus. Es wäre nicht das erste Mal, daß die kämpferische Kirche zum einzigen Fürsprecher des kroatischen Volkes wird.


 
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