© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    38/02 13. September 2002

 
Geläutert, aber getröstet
Kino: M. Night Shyamalans "Signs" zeigt viel Talent und zuviel Herz
Silke Lührmann

Irgendwie waren wir alle ein bißchen dabei am 11. September letzten Jahres, in New York ein strahlender Spätsommertag, in Berlin ein unwirscher Vorbote des Herbstes. Anders als beim Golf- oder Kosovokrieg sind es nicht nur die vor dem Fernseher und auf Betroffenheitskundgebungen verbrachten Stunden, die uns zu Überlebenden dieses Ereignisses machen. Noch war der Angriff auf das World Trade Center ein Unglück in einem Dritte-Welt-Land, in dem man sowieso nie Urlaub machen würde. "Das Erschreckende daran war nicht, daß es unvorstellbar war", schrieb Robert McCrum in der britischen Sonntagszeitung Observer. "Jeder, der schon einmal geflogen ist, jeder von uns, der je einen anderen Menschen geliebt hat, hatte sich diesen Tag tausendmal vorgestellt." Die Dreharbeiten zu M. Night Shyamalans "Signs - Zeichen" begannen zwei Tage nach den Terroranschlägen. Von den mit zu lauten Fanfaren unterlegten Anfangstiteln bis zur kitschigen Katharse der Schlußszene atmen seine Zuschauer Beunruhigung: ein Gefühl, auf der Erde nicht zu Hause zu sein, sich in ihr verbunkern zu müssen, statt sie selbstbewußt zu bewohnen.

Mit dem Tod seiner Frau hat Graham Hess (Mel Gibson) auch seinen Glauben verloren. Der ehemalige Geistliche lebt mit seinen Kindern und seinem jüngeren Bruder (Joaquin Phoenix) auf einer abgelegenen Farm, die zum Schauplatz wahrhaft unheimlicher Heimsuchungen wird. Die Getreidekreise, die über Nacht in Hess' Feldern erscheinen, das Windspiel, das auf einmal ohne Wind spielt, sind keine isolierten Phänomene, sondern versetzen auf der ganzen Welt selbst die Nachrichtensprecher, diese professionellen Überbringer von Hiobsbotschaften, in Panik. Filme, in denen der American way of life - die Familie und die Kleinstadtgemeinschaft - von Invasionen aus dem All bedroht wird, haben eine jahrzehntelange Tradition, die noch die Ängste der allerersten Siedler vor der Wildnis ahnen läßt. Nicht zuletzt das pragmatisch angewandte Wissen um dieses Genre ermöglicht den Helden in "Signs", sich zu retten.

Außerirdische, englisch aliens ("Fremde") genannt, sind zweifach Träger menschlicher Entfremdung: als Erreger jener Furcht, die sie - spektral wie Skelette - verkörpern. Der Sohn indischer Einwanderer spielt mit dem doppeldeutigen Wort, indem er in der Rolle eines dunklen Gehetzten, auf dessen Seele der Fluch einer nie zu sühnenden Schuld lastet, durch seinen eigenen Film spukt. Shyamalan zählt zu jenen Filmemachern, denen ihr Handwerk mehr Berufung als Beruf ist. Als Schamane will er die Zuschauer in den Bann seiner Schattenspiele schlagen. Als Heiler will er sie aus der Finsternis ans Licht führen. Weil er eben auch das Handwerk Regie meisterhaft beherrscht, gelingt ihm beides. Gelernt hat Shyamalan von seinem großen Vorbild Alfred Hitchcock, der noch wußte, wieviel schrecklicher als schrille Bilder die Geräusche der Stille sein können.

Der 32jährige Absolvent der New Yorker Filmschule, den die Presse als "neuen Spielberg" umschmeichelt, der seit "The Sixth Sense" (1999) weltweit 660 Millionen Dollar einnahm und für sechs Oscars nominiert wurde, wuchs fernab von Hollywood in Philadelphia auf, wo er heute noch lebt. Mit Steven Spielberg verbindet ihn nicht nur der Erfolg oder die sentimentale Ader, sondern auch die Geduld, Nachwuchstalenten wie Haley Joel Osment in "The Sixth Sense" oder Rory Culkin und Abigail Breslin in "Signs" schauspielerische Glanzleistungen zu entlocken. "Mit zehn fangen Kinder an zu zweifeln", begründet er seine Faszination für Protagonisten dieser Altersgruppe.

Seinen ersten Film "Praying With Anger" (1992) drehte der gläubige Hindu in Indien, und seither zieht sich jene Frage wie ein Leitmotiv durch sein Werk, die Hess nun ausspricht: "Glaubst du an Wunder oder ist alles bloß Glückssache?" Shyamalans Antwort ist emphatisch und unmißverständlich, doch er erweist seinem Publikum die Achtung, Schlußfolgerungen zwar nahezulegen, aber nicht aufzuzwingen: "Die Zuschauer wissen Ehrlichkeit und Integrität zu schätzen - bis hin zur sorgfältigen Auswahl eines Toneffekts." Um so mehr mußten ihn die enttäuschten und enttäuschenden Reaktionen auf "Unbreakable" (2000) verletzen. Die Kritik bescheinigte Shyamalans postmoderner Parabel eines faustischen Pakts mit Bruce Willis und Samuel L. Jackson in den Hauptrollen "viel Schneid und wenig Herz". Letzteres kann man seinem neuen Film gewiß nicht vorwerfen.

Shyamalans Kollegen David Fincher ("Sieben", "Fight Club", "Panic Room"), Spike Jonze ("Being John Malkovich") und der "Stirb langsam"-Drehbuchautor Steven de Souza setzen ihre Fantasie derzeit als Waffe im Kampf gegen den Terror ein. Im Institut für kreative Technologie an der University of Southern California, das 1999 mit Geldern aus dem Verteidigungshaushalt gegründet wurde, beraten sie die amerikanische Armee, um neuerlichen Anschlägen zuvorzukommen. Mit Methoden aus der Traumfabrik sollen militärische Abwehrstrategien entwickelt werden. Shyamalan versteht den Dienst, den er der Gesellschaft leisten kann, traditioneller. Er verfilmt Alpträume, um uns geläutert, aber getröstet aus dem Kino zu schicken - damit wir nicht in einer Welt ohne Wunder leben müssen, in der "das Leben so wertlos wird, daß der Tod wertvoller erscheint", wie die indische Schriftstellerin Arundhati Roy vor knapp einem Jahr sagte.


 
Versenden
  Ausdrucken Probeabo bestellen