© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    38/02 13. September 2002

 
Ein winziges Stück Straße fehlt
Alltägliche Widrigkeiten bestimmen den Grenzverkehr zwischen Deutschland, Polen und Tschechien
Paul Leonhard

Wirksamer konnte die Problematik der EU-Außengrenze nicht verdeutlicht werden: Am ostsächsischen Grenzübergang Friedensstraße in Zittau war die Reise für die Mitglieder der Haushaltskommission des Europäischen Parlamentes vorerst zu Ende. Die Volksvertreter aus Spanien, Großbritannien und Deutschland mußten samt Troß ihren klimatisierten Reisebus verlassen und in zwei kleine Transporter umsteigen. Nur mit diesen konnten sie den deutsch-polnischen Auto-Grenzübergang passieren, um einen knappen Kilometer später an der polnisch-tschechischen Schranke erneut die Pässe zu zücken.

Diese wenigen Quadratmeter polnisches Gebiet erweisen sich im Dreiländereck als Haupthindernis für das Zusammenwachsen der Region und das Wiederbeleben alter Handelswege. Zwischen der Bundesrepublik und Polen gibt es in Zittau nur zwei Pkw- bzw. Fußgänger-Grenzübergänge. Lastwagen und Reisebusse müssen den Umweg über Görlitz oder Neugersdorf nehmen. Selbst wenn sie nur in die tschechische Grenzstadt Grottau (Hradek) wollen. Die EU-Parlamentarier hatten keine Zeit für den Umweg, und wichen auf Kleinbusse aus, die Unternehmer müssen sich die Zeit nehmen, wollen sie mit Osteuropa Geschäfte betreiben. Für sie ist der kleine Grenzverkehr mit immensem bürokratischen Aufwand und unendlichen Wartezeiten sowie den Unberechenbarkeiten der polnischen bzw. tschechischen Grenzabfertigung verbunden. Gründe, weswegen beispielsweise Hartmut Scholz, Geschäftsführer der SSL Maschinenbau GmbH Eibau, tschechische Betriebe "noch nicht vollständig in den Produktionsprozeß" einbinden kann, und es für Reiner Hartmann von der Zittauer Fruchtveredlungs GmbH immer ein Vabanquespiel ist, ob die Früchte aus den Nachbarländern rechtzeitig eintreffen.

Warschau lehnte jeden Vertrag ab

Milan Faltus, Bürgermeister von Grottau, kennt all diese Probleme. Schließlich verlassen jeden Tag zehn große Lastwagen das örtliche Gewerbegebiet und müssen, statt direkt über Polen zu fahren, einen 80 Kilometer weiten Umweg bis an den tschechisch-deutschen Grenzübergang bei Neugersdorf nehmen. Die Fahrzeuge fahren für die beiden in Grottau ansässigen Automobilzulieferer Metzeler und Thyssen mit insgesamt 550 Beschäftigten, denen auch der Besuch der EU-Parlamentarier galt.

Faltus weiß um die politische Bedeutung einer trilateralen Verbindung im Dreiländereck, aber er hat auch erfahren müssen, wie Warschau immer wieder jeden Vertrag ablehnte und wie ihn und seine Zittauer und Reichenauer Amtskollegen der deutsche Bundeskanzler bei seinem Besuch im vergangenen Jahr in Reichenberg einfach stehen ließ. "In der Verbindung von Nord- nach Südeuropa fehlt nur ein winziges Stück", sagt der Kommunalpolitiker und deutet dabei auf den polnischen Zipfel. Dabei verschweigt er, daß bisher allein seine Landsleute in Vorleistung gegangen sind. Denn die Tschechen haben auf ihrem Gebiet die Schnellstraße (E442) von Prag bis Reichenberg fast lückenlos realisiert. Auch die finanziellen Mittel für noch fehlende Teilstücke sind bewilligt und sollten spätestens 2004 fertig sein.

Soweit ist man auf deutscher Seite noch längst nicht. Hier fehlt eine leistungsstarke Straßenanbindung an die Bundesautobahn 4 (E40), die die niederschlesische Metropole Görlitz mit der Landeshauptstadt Dresden verbindet. Die existierende Bundesstraße 178 ist überlastet, führt durch eine Vielzahl von Ortslagen und endet - zumindest für den Lkw- und Reisebusverkehr in einer Sackgasse in Zittau.

Dabei könnte diese schon längst den aufstrebenden Wirtschaftsraum um Reichenberg mit der A4 bei Bautzen verbinden, wenn die Oberlausitz entsprechend Druck gemacht hätte. Pläne für eine Reichsautobahn über Zittau gab es bereits vor dem Krieg. Auch während der SED-Herrschaft liebäugelten die Verkehrsexperten auf der deutschen, polnischen und tschechischen Seite im Dreiländereck mit einer Autobahn, die von Stettin nach Frankfurt/Oder führen, dann westlich von Görlitz die A4 queren und schließlich über Zittau bis nach Reichenberg und weiter bis zur sogenannten Sudetenlinie führen sollte. Den DDR-Oberen waren diese Pläne allerdings nicht geheuer und Warschau verschwendete überhaupt keinen Gedanken an ein derartiges Vorhaben. Lediglich die Tschechen bauten an ihrer R35.

Die Deutschen pflegten ihre Befindlichkeiten

Nach der friedlichen Revolution wurde es nicht viel einfacher. Erste Zusagen aus Bonn zum Bau einer Autobahn schrumpften schnell zu einer Kraftfahrstraße zusammen. Dazu kam, daß der spätere sächsische Innenminister und damalige Landrat Heinz Eggert den biederen Kommunalpolitikern eine trilaterale Lösung einredete. Statt gemeinsam mit den interessierten Tschechen einen böhmisch-sächsischen Grenzübergang mit einer bilateralen Schnellstraßenanbindung zu realisieren, schwebte dem CDU-Politiker ein trilaterales Pilotprojekt für die gesamte EU vor. Allerdings erschienen die Polen dann zur Vertragsunterzeichnung nicht.

Aber auch auf Seiten der deutschen Bundesregierung war angesichts knapper Kassen wenig Lust zu verspüren, daß Straßenbauprojekt schnell voranzutreiben. Statt Druck auf die mit immer neuen Ausflüchten daher kommenden Polen zu machen, wurde beispielsweise ausführlich darüber diskutiert, wie es politisch einzuordnen sei, daß der sächsische Wirtschaftsminister Kajo Schommer (CDU) mit einem Veto zum polnischen EU-Beitritt drohte, falls Warschau nicht Grünes Licht für die Verkehrsanbindung gibt, und ob man sich dagegen verwahren müßte, wenn böhmische und tschechische (allerdings auch polnische) Lokalpolitiker von einem "Korridor" über polnisches Hoheitsgebiet sprachen. Das wecke böse Erinnerungen, warnte der sächsische Europaminister und heutige Staatskanzleichef Stanislaw Tillich (CDU). Während die Deutschen ihre Befindlichkeiten pflegten und aus Warschau immer neue, sich widersprechende Aussagen kamen, bauten die Tschechen eine moderne Straße an die Staatsgrenze heran.

Erst mit der neuen polnischen Regierung scheint sich ein Sinneswandel abzuzeichnen. Hinter dem im April unterzeichneten Positionspapier, einer Weiterführung über polnisches Territorium zuzustimmen, steckt wohl vor allem die Angst Warschaus, daß mit der sich abzeichnenden Stillegung des Kohlekraftwerkes Turow in einer ohnehin strukturschwachen Region plötzlich 6.000 Polen ohne Arbeit dastehen und mangels Straßenanbindung auch keine Chance haben, perspektivisch in der Region einen neuen Job zu finden.

Auf deutscher Seite sind inzwischen erste Ortsumfahrungen fertiggestellt. Zwischen der A4 bei Weißenberg und Löbau soll bis Ende 2002 das Baurecht vorliegen. 2003 soll das Projekt im nächsten Bundesverkehrswegeplan eingeordnet sein. Die Fertigstellung der Kraftfahrstraße sei dann noch bis 2006 zu schaffen, frohlockt der SPD-Bundestagsabgeordnete Christian Müller: "In 50 Minuten wird man dann von Zittau bis zum Dresdner Flughafen gelangen."

Voraussetzung ist allerdings, die EU gibt die für den Straßenbau nötigen Fördermittel frei. Die fließen aber nur, wenn es um eine Verbindung von Wirtschaftsräumen, sprich von Reichenberg und Dresden geht. Deswegen freuten sich Kommunal- wie Landespolitiker über die Negativeindrücke der EU-Haushaltspolitiker vom Grenzalltag im Dreiländereck. Praktisches Erleben sei eine bessere Erfahrung, als alle Theorie über Ost-Erweiterung und fehlende Infrastruktur, sagte der sächsische Ministerialdirigent Ulrich Schlicht.

Und vom "grenzüberschreitenden Verkehr" wollte Volker Maier von der Vertretung Sachsens beim Bund gar nichts mehr hören: Davon könne hier augenblicklich keine Rede sein.


 
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