© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    39/02 20. September 2002


Bundestag
Die Qual der Wahl
Dieter Stein

Am kommenden Sonntag wird der neue Bundestag gewählt. Der Wahlkampf bot eine demoskopische Achterbahnfahrt zwischen wochenlanger Siegeszuversicht der Unionsparteien und einer durch Hochwasser und hochgejubelter Kriegsgefahr begünstigter Aufholjagd der rot-grünen Koalition.

Was soll man als Konservativer nun wählen? Stoiber, sagen viele. Augen zu und durch, das kleiner Übel, wie immer. Doch der Kandidat "mit Ecken und Kanten" ließ sich von seinem Medienberater Spreng rundlutschen wie einen Rheinkiesel.

Was gibt es an rechten Alternativen zur Union? Die Republikaner - seit ihrem Ausscheiden aus dem baden-württembergischen Landtag im vergangenen Jahr haben sie sich kaum von der Depression ihrer Wahlniederlagen erholt. Für die Schill-Partei - mit ihrer zunächst gestoppten, schließlich doch in letzter Sekunde beschlossenen Wahlteilnahme ohne organisatorische Basis - könnte ein klägliches Scheitern bei der Bundestagswahl das Aus bedeuten. Aber: Es gibt seit Jahren eine Grundstimmung für eine konservative Alternative zur Union. Kleine Parteien wie diese sind ein Indikator, welches Repräsentationsdefizit in unserer Demokratie existiert. Selbst wenn diese Parteien nicht über die Fünf-Prozent-Hürde kommen: Wer eine etablierte Partei nicht wählen will, weil sie nicht seine Interessen vertritt, sollte besser seine Stimme einer vermeintlich "aussichtslosen" Partei geben, als daß seine Stimme unmeßbar im großen Topf der "Nichtwähler" verschwindet.

Die wachsende Zahl von Nichtwählern kann nämlich von den letztlich politisch Verantwortlichen - ob SPD, Grüne, FDP oder CDU/CSU - ignoriert werden, da diese auf die Sitzverteilung im Parlament und auf die Verteilung der Wahlkampfkostenerstattung keinen Einfluß haben. Viele vergessen, daß die Wahlkampfkostenerstattung sich nicht an der Zahl der realen Wähler, sondern am erzielten prozentualen Stimmenergebnis orientiert.

Empörend, aber kaum überraschend sind die propagandistischen Tricks, mit denen der amtierende Kanzler seinen Kopf aus der Schlinge einer drohenden Niederlage zu ziehen versucht. Neben dem dröhnend verkündeten "deutschen Weg", der spätestens im nächsten "Aufstand der Anständigen" untergehen wird, ist die 400-Millionen-Euro-Dusche für das New-Economy-Pleiteunternehmen Mobilcom eine Frechheit. Warum nicht gleich eine Transall mit 800.000 Fünfhundert-Euro-Scheinen beladen und über einer mittleren Großstadt abregnen lassen?

Ganz doofe Frage: Was ist beispielsweise, wenn der JUNGEN FREIHEIT mal die Luft ausgeht? Dürfen wir dann auch bei Hans Eichel vorstellig werden und bekommen rasch mal eben eine Tranche von der Kreditanstalt für Wiederaufbau? Wäre nicht übel. Doch wir sind auch nur eine von zahllosen mittelständischen Firmen, bei denen die Lichter ausgehen können, ohne daß es die große Öffentlichkeit interessiert. Diese Politik hat eine Quittung verdient. Also gehe ich am Sonntag wählen. 


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